Neukölln Unlimited

rap.de: Würdet Ihr die These von Thilo Sarrazin bestätigen, dass es Migrationsgruppen wie zum Beispiel Asiaten gibt, die sich sehr viel leichter integrieren?

Agostino: Das soll ja wohl ein Witz sein! Geh mal zu den Asiaten, DIE sind wirklich in Parallelgesellschaften. Thilo Sarrazin soll einfach die Fresse halten, der hat von Tuten und Blasen keine Ahnung.

Dietmar: Ich finde es nicht richtig, wenn man Leuten einreden will, wie viele Kinder sie zu machen haben. Buschkowsky hat sogar über unsere Familie im Film gesagt, dass er es unverantwortlich findet, in dieser Situation Kinder in die Welt zu setzen!

Agostino: Er hat gemeint, dass die Mutter durch ihre Kinder auf den Staat emotionalen Druck ausüben möchte, damit sie da Unterstützung bekommt. Das ist absoluter Quatsch und für mich zeigt das, wie menschenverachtend jemand sein kann. Das hat schon fast soziopathische Züge, wenn man so denkt. Als ob jemand bewusst Kinder in die Welt setzt, damit er mehr Sozialhilfe empfängt!

Dietmar: Es mag ja solche Leute auch geben, aber speziell bei der Familie ist es ja so, dass sie von den Sozialhilfe-Leistungen nur 50 Prozent kriegen. So groß ist der Anreiz da also nicht, Kinder in die Welt zu setzen und mit denen den großen Reibach zu machen.

rap.de: Buschkowsky hat denen doch unterstellt, dass sie damit moralisch Druck machen, oder?  Und nicht noch, wegen dem…

Agostino: Ja genau! Was totaler Quatsch ist. Der eine hat einen Job als Sozialarbeiter, die andere hat eine Ausbildung angefangen, die Drittälteste fängt jetzt auch eine Ausbildung an und Maradona ist im letzten Jahr von der Realschule und will danach auch eine Ausbildung anfangen. So was zu behaupten sagt also mehr über Buschkowsky aus, als es über die Familie aussagt.

rap.de: Einerseits seid Ihr Filmemacher, andererseits ist das eine sehr politische Diskussion, in die Ihr da reinschlittert. Ist Euch bewusst gewesen, dass Ihr damit quasi zum Anwalt einer toleranteren Ausländerpolitik werdet? Wolltet Ihr das auch?

Agostino: Wir sind ja keine Journalisten im eigentlichen Sinne, wo man eine Reportage oder Dokumentation macht, in der man sehr sachlich sein muss und nicht zur einen oder anderen Seite hin tendieren darf. Wir sind Künstler, als Künstler hat man eine Meinung und hätte ich zu dem Thema keine Meinung gehabt, hätte mich diese Familie vielleicht auch gar nicht interessiert. Du brauchst als Filmemacher auch eine gewisse politische oder soziale Message, die du rüber bringen willst.

Dietmar: Es hätte aber auch in anderen Milieus spielen können. Es ging ja darum, dass diese Familie für etwas kämpft und Werte vertritt, hinter denen wir stehen können. Dass es jetzt gerade diese politische Botschaft ist liegt daran, dass es eben ihr ganz spezifisches Problem ist. Wir sind keine Filmemacher, die sich einem speziellen Thema widmen, sondern wir wollen ja eine Geschichte erzählen und die ist jedes Mal eine andere. Wir wollen eine Dramaturgie rein bringen, das heißt, die Hauptfiguren sind unsere Helden und unser Antiheld ist dann eben der Staat.

Agostino: Die politische Meinung kommt auch nur daher, dass der Film von den Protagonisten lebt und deren Meinung, ihre Gefühle und so weiter machen den Film aus. Wir haben uns nicht gedacht "Das ist unsere politische Meinung, die kommt da jetzt rein“, sondern so ist die Familie halt.

rap.de: Wie viel Geduld braucht man denn speziell für so einen Film?

Agostino: Für Maradona sehr viel. (Gelächter)

Dietmar: Da braucht man unendlich viel Gefühl, das fällt uns immer auf. Auch wenn wir Leuten erzählen, dass wir da drei, vier Jahre dran gearbeitet haben: Das ist vielen gar nicht bewusst, wie viel Arbeit in so was steckt. Gerade im Journalismus wird ja vom einen Tag in den nächsten gearbeitet und wir arbeiten über Jahre an einem Thema. Das sind wir aber so gewohnt. Da kann man nach 20 Jahren sagen "Ich hab an sieben Filmen gearbeitet und die gingen darüber, darüber und darüber“.
Wenn ich zwanzig Jahre im Journalismus war, kann ich nur sagen "Ich habe zwanzig Millionen Themen abgedeckt“. Da hat man alles gemacht, aber nichts richtig. Wir können morgen die Haltung vertreten und übermorgen wieder eine andere – das ist auch schon das Spannende im Entstehungsprozess eines Films gewesen. Jeder Satz, jedes Bild muss auf die Goldwaage gelegt und diskutiert werden, damit es diesen gesamten Prozess überhaupt übersteht.