Juicy Gay im Interview: „Ich sehe die Musik als mein Sprachrohr”

Credit: Hauke Gerlach

Nachdem Juicy Gay zuletzt auf einen bunten Regenbogen in den sonnigen Himmel hochblickte, zieht mit seinem neuen Album nun ein dunkles Unwetter mit stürmischen Gewitterwolken auf. „Blitz & Donner” umgibt dabei ein geradezu melancholisches Soundbild, für das der Sounddesigner MOSA als Executive Producer die Lorbeeren ernten darf und das gewissermaßen auf die knallenden Texte des Rappers maßgeschneidert zu sein scheint. Zwischen derbem Trap und spacigem Hyperpop gewährt Juicy Gay seinen Zuhörer:innen einen persönlichen Einblick in die Tiefen seiner Gefühlswelt und nutzt seine geschriebenen Zeilen im selben Augenblick als eine Art mündliches Tagebuch. Dabei hat er nicht nur ehrliche Themen, sondern auch politische Statements auf Lager – und einige Feature-Gäste im Gepäck. Wir haben mit dem Wahl-Berliner über die Bedeutsamkeit der Reflexion, To-Do-Listen an Selfcare-Tagen und vorteilhafte Spotify-Algorithmen gesprochen.

Dein neues Album heißt „Blitz & Donner”. Kommt die Platte also einem musikalischem Gewitter gleich?

Ja. Wir haben sehr viele Banger drauf und es knallt, aber gleichzeitig gewittert es auch in meinem Kopf. Das hört man auf Songs wie „Allein manchmal” oder „Ohne dich ist alles doof”. Letztes Jahr habe ich das Album „Rainbow Trap” gemacht, da soll der Regenbogen im positiven Sinne dafür stehen, was Gutes in meinem Kopf entsteht. Bei „Blitz & Donner” ist es die Gewitterwolke in meinem Kopf.

Das Soundbild ist gemeinsam mit MOSA als Executive Producer entstanden. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

2018 haben wir zusammen mit AlphaMob den Song „Villa & Yacht” gemacht, der auch auf dem Album ist. Tatsächlich ist der auch in dem deutschen Kinofilm „Bonnie & Bonnie” gelandet – da pumpen den Jugendliche aus dem Auto heraus (lacht). Als ich 2020 nach Berlin gezogen bin, haben wir uns getroffen und er hat mir ein paar Beats gezeigt. Ich hatte Bock mit ihm gemeinsam eine EP zu machen, die wir nach einem halben Jahr relativ schnell fertig hatten. Dann haben wir uns entschlossen daraus ein Album zu machen.

Wie kann man sich eure gemeinsame Arbeit vorstellen? 

Dennis beziehungsweise MOSA ist Sounddesigner und hat musikalisch einfach ein sehr gutes Verständnis. Dementsprechend hat er ein krasses Studio, in dem viel Equipment, eine krasse Booth und eine schöne Arbeitsatmosphäre ist. Ich bin sehr oft zu ihm ins Studio gesteppt, das zum Glück nicht mal zwei Kilometer von mir entfernt war. Wir haben auch echt von jedem Song tausend Versionen. Wenn man sich die Demos vom Anfang anhört, merkt man, dass wir uns sehr viel Zeit genommen und sehr viel Mühe gemacht haben, damit der Sound einfach gut ist.

Wie lange hat es gedauert, bis aus einer groben Skizze der finaler Song wurde? 

Das hat tatsächlich Monate gedauert (lacht). Wir haben uns auch immer mal wieder verrannt. Als die EP fertig war, dachten wir, dass es nicht schwer wird daraus mit vier, fünf Songs noch ein Album zu machen. Dann haben wir doch wieder ein Jahr gebraucht (lacht). Aber es lag nicht daran, dass wir nicht kreativ genug waren, sondern weil wir am Sound gefeilt haben, bis wir hundert Prozent zufrieden waren.

Credit: Pia Henkel

Musikalisch bewegst du dich zwischen Trap und Hyperpop. Was fasziniert dich an diesen verschiedenen Genres?

Eigentlich weiß man ja, dass ich aus dem Trap komme und damals durch Money Boy so groß geworden bin. Ich bin auch extrem großer Ami-Rap-Fan und habe die letzten zwei, drei Jahre fast nur Hyperpop und Hypertrap gehört. Hypertrap ist eigentlich wie ein eigenes Genre: das sind Rapper, die auf Hyperpop-Beats rappen (lacht). Das mag ich sehr gerne, weil es mal wieder etwas Neues ist. Da gibt es zum Beispiel Künstler wie Yeat. Der macht kein Hypertrap, aber hat einen ganz eigenen Sound und ich versuche mich von soundtechnisch neuen Sachen beeinflussen zu lassen.

In deinen Songs tauchen immer wieder Amerika-Referenzen auf. Siehst du es als das Land der unbegrenzten Möglichkeiten oder ‚land of broken dreams‘?

Beides, das finde ich so interessant in Amerika. Ich war einmal in Los Angeles als ich bei Germany’s Next Topmodel war, und es hat mich schon sehr fasziniert, dass alles aus den Kindheitsfilmen in Wirklichkeit genauso ist. Du läufst die Hollywood Hills hoch und siehst die Superreichen und zwei Straßen weiter sind extrem viele Obdachlose.

Credit: Jonas Zeitfang

Du zeigst auch thematischen Facettenreichtum. Wie schaffst du es die Balance zwischen Unbeschwertheit und Melancholie zu halten?

Ich glaube, dass diese beiden Seiten einfach aus meiner Persönlichkeit kommen. Wenn ich mit Leuten bin, kann ich sehr unbeschwert sein und wenn ich alleine bin, kann ich auch sehr melancholisch sein. Ich habe das Gefühl, dass ich das auf diesem Album noch besser und klarer nach außen präsentieren konnte. Obwohl das Album nicht so krass viel Unbeschwertheit hat, aber diese Seite will ich in Zukunft auf jeden Fall nicht vernachlässigen.

Brauchst du dabei einen Ausgleich zwischen den zwei Extremen?

Ja, ich habe diese zwei Extreme leider sehr doll. Ich bin echt den ganzen Tag damit beschäftigt in meinem Kopf die Balance zu finden und in der Mitte anzukommen. Aber ich weiß aus Erfahrung und Gesprächen mit Leuten aus meinem Umfeld, dass ich sie nur schwer finden kann. Entweder bin ich todtraurig oder superglücklich – leider, ich wünschte es wäre nicht so. Genau das spiegelt sich dann in der Musik wider.

Würdest du andere Musik machen, wenn du diese Mitte hättest?

Gute Frage, ich denke schon.

Auf dem Album zeigst du auch persönlichere Nuancen. Was hat dich zu dieser Offenheit bewegt?

Ich reflektiere mit der Zeit immer mehr, aber auf dem Album hat es auch viel mit den Beats und dem Soundbild von MOSA zutun. Als die EP fertig war, haben wir gemerkt, dass vier von sechs Songs eher melancholischer waren. Dann haben wir versucht, das für das ganze Album als Soundbild durchzuziehen. Oft arbeite ich auch mit Produzenten zusammen, die einfach stumpfe Trap-Beats machen oder eher in die glückliche Richtung gehen – da zeige ich eine andere Seite.

Auf „Allein manchmal” verwandelst du depressive Verstimmtheit in einen Moment des Innehaltens. Was gehört für dich zu einem typischen Selfcare-Day?

Ich meditiere morgens und mache irgendetwas Schönes für mich – sei es ins Kino oder Planetarium gehen oder auch nur meinen Lieblingsdöner zu essen. Ich mache mir eine To-Do-Liste, damit ich alles in meinem Kopf frei räumen und abhaken kann. Dann mache ich auch Haut-Selfcare und mir irgendwelche Cremes drauf (lacht). In die Natur gehe ich auch sehr gerne, weil ich mich nur damit beschäftigen kann, was in meinem Kopf ist. Ich wohne in der Großstadt und da ist immer so viel los, dass man sich damit einfach nicht auseinandersetzten kann, weil immer irgendwas dazwischen grätscht. Wenn ich schlafen gehe, mache ich Gehirnwellen-Musik an, da komme ich auch nochmal richtig runter.

Du thematisiert in mehreren Songs auch das Alleinsein. Würdest du sagen, dass du diese Kunst beherrscht?

Ehrlich gesagt habe ich da mega Probleme mit. Wenn ich niemanden um mich habe, komme ich viel schneller in diese Gedankenspirale. Ich habe eine Zeit lang alleine gewohnt und gemerkt, dass ich da sehr schwer wieder rauskomme und mich fast schon darin suhle. Aber zum Glück habe ich ein paar Freunde, mit denen ich über solche Themen reden kann. Ich sage im Song ja auch „Ich weiß, es wird nicht für immer so sein”, aber es ist superschwierig alleine bis zu diesem Gedanken zu kommen. Deswegen bin ich froh, dass ich das im Song sage und einen Reminder für schlechte Tage habe. 

Hörst du dir deine Songs dann auch immer wieder selber an?

Phasenweise. Jetzt, wo ich die ganze Zeit mit dem Album beschäftigt bin, das Master ganz oft gehört habe und Interviews mache, höre ich meine Musik fast gar nicht. Aber wenn ich wieder Abstand dazu habe, höre ich auch meine alten Songs sehr gerne. Das ist wie ein Tagebuch, in dem man checken kann, wie ich zu diesen Zeitpunkten drauf war. Das ist irgendwie ganz cool.

Für den „Fresher denn je Remix” hast du dir Dissy, Pink Viagra und Fatoni mit ins Boot geholt. Warum diese drei Künstler:innen?

Weil wir dafür einfach richtig dope Rapper gesucht haben. 2019 war ich mit Fatoni auf Tour, deswegen ist er drauf. Als wir mit dem Album angefangen haben, hat Dissy die ersten Singles seines Albums releast. Weil wir auf der Suche nach Features waren, kamen wir auf ihn. Vorher hat er mich auch zu dem Musikvideodreh von „Sexy Depression” eingeladen. Pink Viagra ist einfach eine gute Freundin von mir, die ich sehr talentiert finde. Es war von Anfang an der Plan drei Features zu machen und MOSA und ich haben uns für genau diese drei Artists entschieden.

Dein anderes Feature ist Futurebae auf dem Song „Ohne dich ist alles doof“. Kam die Inspiration von der kultigen 2000er Geschenkartikel-Marke mit dem Schaf?

Ja, das war die Inspiration. Den Song habe ich 2018 gemacht und wusste schon immer, dass der super hittig ist, aber habe ihn nie fertig gestellt. Weil wir ja ein Album machen wollten, habe ich nochmal in meinem Skizzen rumgekramt und den gefunden. Dann habe ich ihn MOSA vorgespielt und der meinte „Das ist auf jeden Fall eine mega hittige Melodie“. Nachdem wir den ausgearbeitet haben, wussten wir echt lange nicht wen wir drauf nehmen. Dann kamen wir irgendwie auf Futurebae, weil ich mit ihr über das Internet Kontakt hatte – über ICQ (lacht). Die hatte direkt Bock und wir haben zwei, drei Tage später den Song aufgenommen.

Du verkaufst dein Album ja auch als Tape. Bist du selbst eher der Typ für analogen Musik-Konsum oder ein Fan von Streaming-Plattformen?

Ich habe früher extrem viele CDs gesammelt. Anfang der 10er-Jahre habe ich für dreißig Euro im Monat Zeitungen ausgeteilt und mir davon zwei, drei Deutschrap-CDs gekauft (lacht). Schallplatten habe ich mir erst später mit Anfang zwanzig geholt. Tatsächlich arbeite ich zurzeit auch in einem Schallplatten-Lager, aber ich höre Musik eigentlich nur noch digital über Spotify, weil mich da einfach die guten Algorithmen catchen und ich dadurch viele Künstler kennenlerne. Aber klar, Spotify ist auch scheiße. Für dieses Album kamen wir auf die Idee physische Tonträger herzustellen, weil AlphaMob die Tape-Reihe „Swaffle Phonk 1-3” hat. Ich habe das noch nie gemacht und finde es cool, aber es ist mega viel Plastikverschwendung – das regt mich übertrieben auf.

Mit der Line „Geht’s um Klicks spiel ich da nicht mit” auf „Villa & Yacht” suggerierst du gewissermaßen ein Desinteresse an den Social-Media-Spielregeln. Wie wichtig sind dir digitale Plattformen wie YouTube, Instagram oder Twitter?

Die sind mir superwichtig. Es gehört zu meinem Alltag jeden Tag irgendwelche Stories zu ballern und Content hochzuladen, aber mir macht es auch Spaß. Ich bin ja auch irgendwie ein Internet-Kind. Bei TikTok ist das anders. Ich bin selbst viel auf TikTok und weiß, wie man einen Song promotet, aber da habe ich leider einfach nicht die Motivation und will mich auch nicht dazu zwingen. Ich bin eher der Typ, der auf Twitter hängt. Mittlerweile ist mir aber ein bisschen peinlich, wie viele Tweets ich in meinem Leben schon rausgehauen habe (lacht). Deshalb nutze ich das immer weniger. Twitter ist auch gar nicht da, um seine eigene Musik zu promoten, sondern um lustigen Content zu machen. Da interessieren sich nur wenige für die Musik. 

Also beziehst du dich mit Klicks eher auf die Streamingzahlen?

Es geht mir allgemein nicht so krass um Klicks. Klar gucke ich da auch drauf – wegen Patte machen. Aber im Endeffekt liebe ich es Musik zu machen und deswegen ist es mir nicht so extrem wichtig. Ich bin oft froh, wenn Songs einfach draußen sind, weil ich sie mag und selbst wenn nur fünf Leute den Song mögen, bin ich superglücklich darüber.

Credit: Pia Henkel

Du äußerst dich in einigen Songs auch wieder politisch. Ist es für dich unumgänglich, dich in so unbeständigen Zeiten klar zu positionieren?

Allgemein finde ich es okay, wenn Leute nicht politisch sind. Ich persönlich sehe die Musik als mein Sprachrohr. Natürlich kann ich auch Social-Media-Seiten bedienen und mich da aktiv beteiligen oder in meiner Freizeit auf Demos gehen. Dadurch, dass ich politisch interessiert bin und etwas bewegen will, möchte ich das aber auch in meine Musik einbinden. Ich wollte nicht, dass es ein super politisches Album ist und habe deswegen hier und da ein kleines Zeichen gegeben, wie ich politisch stehe. Bin da allerdings nicht ausgeschwenkt. In Zukunft werde ich auf jeden Fall Songs haben, in denen ich mich mehr damit befasse.

Nach einem Gewitter mit „Blitz & Donner” ist die Luft wieder frisch. Erwartet uns als nächstes also der Sonnenschein mit klarer Sicht?

Stimmt, nach Blitz und Donner kommt eigentlich schon wieder ein Regenbogen, falls die Sonne rauskommen würde. Vielleicht wird es eher wieder in Richtung „Rainbow Trap” gehen, weil ich zurzeit noch super unbeschwerte Songs auf Lager habe – mal gucken, was die Zukunft dann bietet. Mit MC Smook kommt ein Album, das eine ganz eigene Thematik und einen roten Faden hat, aber für diesen Sommer habe ich ein paar sommerliche Tunes parat.