Neukölln Unlimited

rap.de: Wie seid Ihr denn überhaupt auf diese Familie gekommen?

Agostino: Das war eigentlich mehr Zufall. Also, ich war bei der Recherche für einen anderen Film, den ich machen wollte, das war auch in Neukölln, im Rütli Kiez, und dann bin ich mal bei einem Breakdance-Battle eingeladen worden. Beim Jugendclub Manege von der Rütli-Schule. Da hab ich dann Maradona als ersten kennen gelernt, der war damals 12 Jahre alt und so der Mittelpunkt des ganzen Geschehens. Alle anderen waren älter als er und er hat sie trotzdem auf der Tanzfläche geschlagen. Zuerst wollte ich eigentlich einen Film über Jugendkriminalität und Jugendgewalt machen, mit ausländischen Jugendlichen aber auch mit welchen aus dem Osten, die in die Fänge der Neonazis geraten sind.

Was mir gefiel war die Idee, dass man beim Breakdance auf der Tanzfläche seine Aggression auslebt, statt auf der Straße mit Fäusten. Ich habe also Maradona kennengelernt und ein paar Wochen später auch den Hassan und dann habe ich sie eben gefragt, ob sie daran interessiert sind, mit mir einen Film zu machen. Maradona hat sofort Ja gesagt, aber die anderen waren so ein bisschen skeptisch. Ich habe dann über die Familie so ein bisschen recherchiert und da gab es schon zuvor Berichte in den Medien.
Die haben schon mal Interviews gegeben, weil sie von der Abschiebung bedroht waren. Ich brauchte nur zu googlen und hatte schon genug Informationen. Diese ganze Kampfansage von denen, dass sie Deutschland lieben und hierher gehören, hat mich auch sehr begeistert. Die Drei haben ihren Platz in  der Gesellschaft schon gefunden, aber die Gesellschaft will sie da zum Teil nicht haben. Ihr Kampf ist es eben, sich diesen Platz nicht weg nehmen zu lassen.

Dietmar: Es ist auf jeden Fall ein schwieriges Thema. Es ist schwierig zu entscheiden, wie hart man Asylverfahren umsetzt, aber ich hoffe dass der Film zeigt dass es ein Unding ist, eine Familie, die hier aufgewachsen ist und 15, 16 Jahre hier lebt, abzuschieben. Das ist ein Unding. Die können perfekt Deutsch und haben niemals wirklich mit einem Libanesen geredet. Sie haben da keine Freunde, sie kennen die Kultur nicht – wie will man die abschieben? Wenn jemand ein halbes Jahr hier ist und dann in diesem Strudel der Bürokratie hängt und aus Arbeitsüberlastung nicht abgeschoben werden kann, ist das was anderes. Nach 16 Jahren sollte man aber eine andere Regelung finden.

rap.de: Wie löst man diesen Wiederspruch jetzt auf, dass viele von diesen Leuten trotz allem den Libanon als  Heimat betrachten, und sich hier nicht so ganz zu Hause fühlen?

Agostino: Es gibt bestimmt solche, die von den Eltern und Großeltern aus irgendwie diese Kultur nicht akzeptieren wollen, oder nicht akzeptieren wollen, dass sie halt Deutsche sind oder dass sie in Deutschland leben. Es gibt auch die, die mit einer Trotzreaktion antworten, weil sich selber nicht gemocht oder gewollt fühlen. Das geht vom Jugendlichen, der eine Arbeit sucht und keine findet, weil er Mustafa heißt, bis zu Leuten, die eine Wohnung suchen, und keine finden, weil in der Wohnung oder in der Gegend nur Deutsche oder Nicht-Muslime oder welche aus irgendwelchen anderen Kulturenkreisen wohnen.
Das ist nicht erst seit heute, das hat es seit den 60er, 70er Jahren schon gegeben, als die ersten Einwanderer gekommen sind. Wenn man die Leute immer nur als Menschen zweiter Klasse abstempelt, dann ist klar, dass das Trotzreaktionen hervorruft und viele dann sagen, dass sie mit Deutschen nichts zu tun haben wollen.

Was der Film für mich als Message hat ist, dass das drei Jugendliche sind, die sich hier zuhause fühlen und trotzdem ihre kulturelle Identität bewahrt haben.
Das sind ja Muslime, die trotzdem ohne Probleme in beiden Kulturen aufgewachsen sind und sich da wohlfühlen. Wenn sich Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen den Film anschauen, und dann merken, dass sie trotzdem ihre kulturelle Identität behalten und gleichzeitig ein bisschen deutsch beziehungsweise westlich leben können und Allah sie nicht dafür bestrafen wird – dann haben wir was weiter gegeben.
Das ist auf jeden Fall nicht nur ein Film für Deutsche, damit die Deutschen denken, nicht alle Ausländer sind böse. Das ist auf jeden Fall ein Film für Ausländer und Leute aus anderen kulturellen Kreisen, damit die merken, dass nicht alles, was deutsch ist, schlecht ist.