Neukölln Unlimited

Am 08. April 2010 feierte ein Film Premiere, der sich mit dem Schicksal einer libanesischen Familie auseinandersetzt. 
Der Film dokumentiert einen Alltag zwischen der Angst abgeschoben zu werden, den Problemen mit der Ausländerbehörde, Leben auf engstem Raum und trotzdem jeder Menge Spaß, Freude und Kreativität.
Wir sprachen mit den Filmemachern Agostino Imondi und Dietmar Ratsch über den langen Atem, den man haben muss, um ein solches Projekt zu realisieren, über Ausländerpolitik und warum Thilo Sarrazin die Fresse halten soll. 

rap.de: So, bleiben wir mal kurz bei diesen Kritiken stehen, weil das interessiert mich schon sehr. Also, der Film, so wie ich das mitgekriegt habe, ist eigentlich eine eins zu eins Darstellung von Alltagssituationen, Alltagsleben. Er will da jetzt auch nicht großartig reininterpretieren oder?

Agostino: Er erzählt einfach wie das ist. Was von den Kritikern reininterpretiert wird ist, dass der Film Klischees bedient, gegen die er eigentlich ankämpfen will, was eigentlich gar nicht stimmt. Wenn du einen Film zeigst und du zeigst eins zu eins so wie das Leben halt ist, dann gibt es nicht nur das Gute und "sie sind voll schön integriert“ und so, sondern es gibt auch andere Sachen, vor allem bei Jugendlichen halt. Wenn man jung ist, dann baut man auch viel Scheiße und wir haben auch das gezeigt. Einigen Leuten hat das entweder nicht gepasst oder die haben das nicht verstanden, dass es halt ein Film ist, der den Anspruch hat authentisch zu sein und denen gefällt das halt nicht, wenn Jugendliche jetzt irgendwie mit einer Knarre, auch wenn es eine falsche ist, rumballern oder solche Sachen.

rap.de: Also, ich habe eben auch meine Erfahrungen und gerade das bisschen off the record wie man so sagt. Aber neulich hatten wir auch ein Interview und plötzlich stehen die dann da, hatten ihre Palästinenser Tücher um den Hals, haben den Hitler-Gruß gemacht und haben rumgegröhlt. 

Dietmar: Das mögen 13- bis 16-Jährige sein.

rap.de: Nö, nö, das waren schon ein bisschen Ältere. Also, die haben sich natürlich auch da so ein bisschen aufgeputscht. Was macht man denn als Filmemacher wenn man auf diese Klischees trifft? Ich als Sozialdemokrat komme dahin und will natürlich Integration und finde das alles ganz toll und dann erklären mir so Leute: "Ja, warum denn? Abschiebung ist doch voll korrekt? Wenn die sich nicht korrekt verhalten, dann gehören die alle weg.“ Solche Stimmen kommen gerade aus diesen Ecken. 

Agostino: Diese Rufe nach der harten Hand kommen ja meistens, weil man nur eine Version von den Tatsachen kennt und man hört in den Medien immer nur: Die kriminellen Jugendlichen, die auf die schiefe Laufbahn geraten oder die schlecht Integrierten, die kein Deutsch können oder von der Schule suspendiert werden. Was wir halt mit dem Film zeigen wollten ist, dass es auch noch andere Sachen gibt.
Es gibt auch Jugendliche, die ihr Abi machen, es gibt auch Jugendliche, die hart arbeiten, es gibt auch Jugendliche, die sich hier zugehörig fühlen, sich als Deutsche fühlen und trotzdem gibt es, wie im Leben eben, auch die negativen Schattenseiten und so wollten wir das halt zeigen. Ich glaube einige Leute, egal jetzt ob sie von der linken Ecke oder der rechte Ecke kommen, fühlen sich dann bestätigt, wenn sie doch noch die Schattenseiten sehen und die Anderen sind dann empört, dass wieder so etwas gezeigt wird, die Klischees gezeigt werden. Es gibt nicht nur die guten und es gibt nicht nur die schlechten Seiten. Es gibt Beides. Das zu zeigen war unser Anspruch.

Dietmar: Letztendlich ist das natürlich auch Zufall. Wir sind ja keine Journalisten, die vorher wissen, welche Meinung sie transportieren wollen und sich fragen, welche Familie sich am besten dazu eignet. Man lernt erst die Familie kennen und über die Familie wird dann auch das Thema mitgebracht. So gesehen ist das schon ein bisschen etwas anderes, sich auf diesem Weg einer Sache anzunähern.

 

rap.de: Meine Frage war eigentlich: Gab es Situationen für Euch als Filmemacher, wo Ihr gedacht habt: Oh nee, das will ich jetzt eigentlich gar nicht sehen und das will ich auch eigentlich gar nicht filmen?

Dietmar: Nein. Ich glaube nicht. Nee. So was muss immer zugelassen werden. Da muss man immer irgendwie tolerant sein. Man darf sich nur nicht von den eigenen Vorurteilen oder von den Vorurteilen, die in den Medien sind, tangieren lassen, sich leiten lassen, sondern wir wussten: Das wird ein Film über diese Familie, also ein Portrait. Und dann war uns erstmal irgendwie zweitrangig, was die für eine Meinung haben. Die Stärke kam aus der Familie, ihren ganz spezifischen Charakteren, die sie da mitgebracht haben und das hätte auch anders ausgehen können, aber die waren uns sympathisch, die haben ihre richtige Meinung vertreten und sie haben bestimmte Werte vermittelt, die wir besonders gut fanden.

Agostino: Es gibt ja noch ein Treatment, also Drehbuch, an das man sich eigentlich halten muss, damit man den dramaturgischen Bogen behält. Am Schluss hatten wir 160 Stunden Material, wir haben also die Kamera immer laufen lassen. Wir haben uns gesagt, dass auch wenn wir das jetzt filmen, es ja nicht unbedingt in den Film kommt. Deswegen haben uns die Protagonisten auch vertraut, dass wir nichts falsch oder verdreht darstellen.