Damion Davis

rap.de: Was man immer mitkriegt, wenn man mit Akteuren aus der Zeit spricht, ist, dass es wohl immer eine ziemlich starke Unterteilung gab zwischen Rap aus Westberlin und Rap aus Ostberlin. Warum war das so?

Damion Davis: Oah, ich habe mich immer so aufgeregt über so was. Zu sagen "Du Ostrapper!“, das fand ich immer so peinlich. Wir waren auch als Kinder oft im Westen und sind in Lübars oder im Märkischen Viertel Skateboard gefahren und dann kamen immer so Leute und haben gefragt, "Wo kommt ihr den her?“ und wir dann immer so "Aus’m Osten“ und die meinten dann "Oh, krass. Merkt man euch gar nicht an!“. Die Ostler waren immer so die Opfer für die Westler. Das hat mich auch total traurig gemacht, man fühlt sich dann auch immer total minderwertig. Und als ich dann in der Kaosloge mit vielen Westlern zusammen gerappt habe, oder auch bei Creaturen der Nacht, da habe ich dann gemerkt, "Die sind so cool, da geht’s gar nicht mehr um Ost oder West“ Und viele von den Jungs kamen auch aus’m Osten, die sind da abgehauen, bevor die Mauer geöffnet wurde. Und für die war es dann angenehm, auch sagen zu können, "Ich komme auch aus dem Osten!“.

So wie sido jetzt, aber da hatte das wohl eher Marketing-Gründe. Der war auch immer einer der lautesten, die "Scheiß Ostler“ gebrüllt  haben. Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich mal zum Aggro Berlin-Videodreh gegangen bin und sido dann sagte, "Aber nicht den Jungen, nicht den!“ und dann mussten wir alle wieder gehen, mit Kaosloge. Weil ich ihn damals bei dem Battle besiegt habe und er nicht darauf klar gekommen ist, dass er vor den Augen der Sekte ein Battle gegen einen Ostler verliert. Und da gabs schon Beef. Wir hätten auch zusammen Musik machen können, also jetzt nicht ich und sido, aber Kaosloge und Aggro Berlin, wir hatten ja auch Connections zu denen, weil wir uns gegenseitig krass respektiert haben. Gerade Asek und Mike Fiction, die waren schon down mit denen. Aber es hat halt nicht funktioniert, kein Plan, warum.

Ich war auch erst mal krass geschockt, als sido dann gesagt hat, dass er aus’m Osten kommt. Aber es war cool, er wird auch erwachsen. Ob das jetzt aus Promotion-Gründen war oder nicht. Aber wie gesagt, dass ist ja mittlerweile alles kein Problem mehr. Die wohnen jetzt auch alle im Osten. Fler wohnt gegenüber von mir an der Eberswalder Straße, sido hat in der Lychener Straße gewohnt. Und das sind ja auch so Bezirke, Prenzlauer Berg und Friedrichshain, wo übelst viel geht und krass viele Parties sind und so. Nee, der Konflikt hat sich erledigt. War ja auch totaler Schwachsinn.

 

rap.de: Wie habt ihr eigentlich diesen Berlin-Hype mitgekriegt, also erst Royal Bunker und danach Aggro Berlin?

Damion Davis: Na ja, man kannte die Leute alle noch aus den Zeiten, als die eben nicht viel Geld hatten und es nur eine miese Infrastruktur gab, insofern war man schon krass geflasht. Aber es wurde natürlich auch gehated, ist ja immerhin HipHop, und auch zu unseren Kaoslogen-Zeiten haben wir die wirklich gut gehatet. Zumal unsere Auffassung von Rap sehr technisch fixiert war, also viele Reime. Das andere entstand halt eher aus diesem Aufrschreiben von Gefühlen, "Ich sitz hier und kiffe“, das war uns immer zu simpel.

Ich fand diese Künstler auch nicht so spannend, ehrlich gesagt. Die waren technisch für mich nicht so inspirierend, dass ich gesagt hätte, "Oh krass, ich will unbedingt mit denen arbeiten!“. Ich war halt zufrieden mit dem was ich hatte, es war halt auch nicht so meine Musik. Als dann 2004 der richtige Boom losging, habe ich auch ehrlich gesagt ein bisschen den Überblick verloren, wer jetzt bei Aggro ist oder nicht. Es war mir auch egal. Ich habe mich dann eher mit Musikern oder Rappern beschäftigt, die für mich interessant waren. Im Großen und Ganzen haben die Medien so ein Riesenspektakel daraus gemacht und natürlich auch Aggro selbst. Die wussten ganz genau, wie sie provozieren können und wie sie die Jugend in den Dörfern erreichen, die alle über das Ficken Bescheid wissen wollen und über das E’s schmeißen. Die einfach diesen Film über ihre Kopfhörer fahren wollten und dann mit breitem Kreuz durch die Stadt laufen. Die wussten, was sie taten.

Das war eine Zielgruppenorientierte, strategische Marketing-Musikproduktion und da ich ein Anti-Kapitalist bin, fand ich das für mich immer uninteressant. Aber ich habe natürlich Respekt davor. Das ist kapitalistischer Rap. Und in Amerika, Eazy-E, Ice Cube und Tupac, die haben auch über solche Sachen wie Geld gerappt, aber da war es halt richtiger Ghetto-Rap, auf Leben und Tod. Und das hörst du auch in den Tracks. Und es gibt eben keinen deutschen Rapper, der da rankommt. Deshalb verstehe ich auch so deutsche Rapper nicht, die jetzt sagen, dass sie auf einer Stufe wie Jay-Z stehen. Das ist einfach lächerlich. Wer schon mal in New York oder Los Angeles in den richtigen Bezirken war, der weiß einfach, dass das ein ganz anderes Leben war. Vor allem vor 10 Jahren, das war das einfach knallhart. Die haben da einfach mal Knarren und kein CS-Gas. Da gibt’s keine Boxereien, da gibt’s Schiessereien. Das ist da Life or Death. Das ist da auch eine ganz andere Musik. In Deutschland ist eher so 60 % aus dem Ami-Lebensstil, und der Rest ist halt deutsches Lebensgefühl. Das ist einfach peinlich. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die ganzen Old School-Rapper, dieser lustig-poetische Stil, die deutsche Jugend viel besser reflektiert. In Deutschland ist halt alles besser abgesichert, als in den afroamerikanischen Ghettos.

Dadurch, dass die Jugend jetzt so durch Ego-Shooter motiviert ist und jeder gerne Rambo wäre, hat sich dass alles geändert. Es gibt natürlich auch Schwachstellen in deutschen Städten, wo es hart ist und Leute erschossen werden, aber es ist definitiv kein Vergleich zu Amerika. Und es ist auch kein Vergleich zu den Favelas in Südamerika oder den Banlieues in Frankreich. Da ist es echt eine ganze Ecke härter. Das hört man auch im französischen Rap, das ist einfach richtig brutal. Die Jungs flowen aber auch wie die Hölle, die haben den Riddim im Blut und den Blues in der Stimme. Das hört man bei denen in der Stimme, in der Stimmfarbe, wenn die real sind, es ernst meinen. Das höre ich bei den deutschen Gangsta-Rappern nicht unbedingt raus. M.O.R. haben das cool gemacht, das war halt dreckig, deutsch, berlinerisch. Das passt schon viel mehr ins Deutsche. Die Art wie da über Ghetto und Gewalt und Jugendprache gerappt wurde, das war geil. Wie Savas. Der war nie Gangster, hatte aber wirklich harte Lines.

rap.de: Ich glaube, dass die Franzosen auch deshalb immer so krass klingen, weil die einfach ein anderes Verhältnis zu ihrer Sprache haben. In Frankreich wird ja ihre Sprache als einzig wahre Sprache angesehen. Die würden keine drei Anglizismen in einem Satz verwenden, dafür mögen die ihre Sprache viel zu sehr.

Damion Davis: Ja, ich glaube, da geht es auch oft gar nicht so um den Reim, sondern um diese Dringlichkeit, etwas zu erzählen, etwas auszudrücken. Da ist Druck, das inspiriert viel mehr. Die scheißen einfach auf krasse Reime. Die wollen ihre Fresse aufmachen, bauen sich dazu einen traurigen Beat, da ist viel mehr Bedürfnis und Unterdrückung. In Deutschland setzt man sich halt gemütlich ins Studio in Lankwitz. Der Druck ist hier nicht so groß, der ist nicht vernichtend brutal. Aber da sind auch viele Einwanderer, viele Algerier, Nordafrikaner oder Leute aus dem Nahen Osten, die eine ganz andere Art haben zu reden. Die reden viel härter und kräftiger. Ich bin aber von dieser Musik krass inspiriert, man hört da die Tränen und die Wut. Das ist für mich realer HipHop. Für mich ist französischer HipHop auf internationaler Ebene die Nummer Eins. Ich feier’ auch die Ami-Rapper, die sind auch stylish, aber die Franzosen sind pure Angst, was Straßenrap angeht.

rap.de: Ich glaube auch, dass sich mittlerweile mehr deutsche Rapper vom französischen Rap inspirieren lassen, als von amerikanischen Rappern.

Damion Davis: Ja, Bushido ist ja das beste Beispiel. Der wurde ja sehr stark von Booba beeinflusst. Ist auch gut.

rap.de: Viele sind denke ich auch erst auf den Frankreich-Trichter gekommen, als sie "La Haine“ gesehen haben. Glaubst du, dass "Wholetrain“ dass selbe sein könnte, nur halt für die Graffiti-Szene?

Damion Davis: Für die Graffiti-Szene, ja auf jeden Fall. Aber die sozial benachteiligten Jugendlichen, von denen sind nur ein Paar in dieser Szene, das ist ja eine eher kleine Subkultur, deshalb hatte dieser Film da nicht so die große Strahlkraft. Aber international ist der Film ja wirklich krass ausgezeichnet worden, von daher hat der natürlich eine krasse Berechtigung auch innerhalb der Graffiti-Szene gehabt. Aber "La Haine“ ist natürlich massentauglicher, den können sich auch ältere Leute angucken. Bei Graffiti ist es dann wahrscheinlich für manche Leute schon zu speziell. Aber klar, der Film hat natürlich eine krasse Strahlkraft, vor allem weil der Regisseur aus so einer Gegend kommt. Und das ist natürlich wichtig, dass ein Regisseur entweder sich so krass in eine Gegend hinein denken kann oder aber aus so einer Gegend kommt. Und der hatte halt auch das richtige Gefühl dafür und hat die Jungs einfach machen lassen.

Er hat die Charaktere genommen, die dieses Ding wirklich kennen und verkörpern können. In manchen deutschen Ghetto-Filmen werden halt Leute genommen, die es meiner Meinung nach nicht richtig verkörpern können, sondern die, die einen guten Namen haben und schneller gefördert werden. Und bei "La Haine“ gib es auch einfach Sprengstoff, das ist der absolute Automatismus. Wenn du so ein Ghetto hast und so viele Leute, die dort leben, dann kannst du nicht einfach einen schmalzigen Schauspieler dahin stellen, da muss man diese harten Fressen nehmen…Ach, ich schweife gerade ein bisschen ab.

rap.de: Wir haben ja jetzt auch schon lange gesprochen. Vielen Dank für das Interview.