Phlatline Russia

Michi: Es gibt  vier bis fünf  Indie-Labels, auf denen dann die bekanntesten Rap-Acts sind. Und selbst diese Label nutzen die Künstler mit unfairen Mitteln nur aus, um Geld zu machen. Es gibt einfach keine professionellen Strukturen.    

Dima: Sie leben für den Moment. Sie denken nicht bis morgen. Das Geld wird noch am selben Tag ausgegeben. Die denken sich: „O.K, für heute hab ich 10 Rubel und morgen? Ach, da versuch ich einfach jemanden ein Interview zu verkaufen.“ Aber vielleicht will morgen schon niemand mehr dein Interview kaufen, weil Leute wie Ron kommen, zu dem die Leute abgehen. Worin sich ein russischer und ein deutscher DJ unterscheiden? Als ich Ron zum ersten Mal auflegen sah, sah was er machte, wie er die Tanzfläche füllte, hab ich verstanden, was einen guten DJ ausmacht. Warum brauche man dann also noch drei russische DJs, die die Tracks bis zum Ende laufen lassen und dann als nächstes einen Song mit einem völlig anderen Rhythmus spielen? Die haben da ihre Tracks, die sie einfach an einem Stück durchziehen. Da passieren dann solche Ding wie „Gasolina“ direkt nach „Drop It Like It’s Hot“. Was für eine Party! Ron ist nicht so. Er schaut sich das Publikum an und reagiert dann auf das Publikum. Weißt du, als Ron das erste Mal hier aufgelegt hat, waren die Leute danach total begeistert. Sie kamen zu mir und meinten, dass er ein geiler DJ ist. Nicht ein Track wurde zweimal gespielt. Das meine ich, wenn ich von europäischem Standard spreche, den wir versuchen hier zu etablieren.    

rap.de: Um noch einmal auf die Situation der Rapper einzugehen: Macht es denn dann für russische Rapper überhaupt Sinn professionell Musik zu machen?

Michi: Schon, es sieht dann nur folgendermaßen aus: Du gehst zu einem Label, oder besser gesagt, zu einem Produzenten, der dann an dir verdienen wird. Er weiß, dass du auftreten willst, also versucht er dich den Leuten zu verkaufen. Und auch wenn du davon dann nicht so viel sehen wirst, macht er das große Geld. Das sind im Grunde alles Menschen, die normale Strukturen zerstören, denn weder der Künstler, noch die Produzenten können davon lange leben. Der Produzent macht so etwas ein, zwei Mal, danach hat er alle Karten verspielt und ist auch weg. Das ist wie gesagt der Grund, warum sich hier nichts entwickelt und verbreitet: Die Leute denken nur für den Moment und verbrennen das Geld sofort. Du kannst hier Musik machen, aber du wirst nicht unbedingt reich damit.  

Dima: Wobei ich aber trotzdem meine, dass es sich ein kleinwenig verbessert hat.   

rap.de: Wenn es dann ein Künstler geschafft hat, dass ihn ein Produzent ausnutzen will, welche Images werden dann in der Regel repräsentiert? Was wird dann gelebt: Glamour, oder Underground?    

Valera: Wie wir schon gesagt haben: Hier gibt es faktisch keinen HipHop. Das heißt, wenn du es dann wirklich „geschafft“ hast und auf den Musikkanälen läufst, giltst du offiziell als Popstar. Du hast dann keinen Einfluss mehr. Der Produzent bestimmt alles für dich.    

Dima:  Tracks in denen geflucht wird, laufen zum Beispiel auf keinem Kanal.    

Valera: Hier mit uns am Tisch sitzt auch ein Mensch, der schon dutzende geile Videos einfach scheiden und zensieren musste. Derzeit gibt es nur eine Sendung in ganz Russland, in der man dann diese Videos auch sehen kann. Aber auch nur für eine Stunde und nur die Videos, die bei den Leuten ankommen. Du musst also erstmal die Sendung finden, die nicht Russland weit ausgestrahlt wird und kannst auch nur eine Stunde Videos sehen, die eh schon zensiert und geschnitten sind. Außerdem verschwindet selbst diese eine Stunde von Zeit zu Zeit aus dem Programm.    

Dima: Es gibt einen Radiosender, der einem Produzenten gehört. Er benutzt seinen Sender, um seine Künstler, die er als „wahre“ HipHopper bezeichnet, zu promoten. Er versucht aber auch, HipHop besser zu verkaufen und zu kommerzialisieren. Dafür nimmt er sich aber auch Künstler auf sein Label, die dann in seinem Klub auftreten und auf seinem Sender laufen.    

Valera: Guck mal, hier mit uns sitzt Wanja. Er hat für Telfa und Jaleel das Video zu „Ihr Junge“ gemacht. Das ist ein gutes Produkt. Es gibt also auch gute Beispiele, wie Wanja, mit denen sogar Deutsche zusammen arbeiten wollen, weil die Qualität einfach stimmt. Auch in Russland und Weißrussland haben die Leute den Clip gesehen und sind der einheitlichen Meinung, dass es ein gutes Produkt ist. Aber er läuft trotzdem nicht im Fernsehen! Das ist für sie Untergrund. Aber Tefla und Jaleel sind nicht Untergrund. Hier in Russland versteht das aber niemand und wird ankommen und sagen, „Ja, das ist ein sehr gutes Produkt. Wir wollen das in unserer Sendung ausstrahlen.“ Das wird hier nicht gesucht, das ist nicht gefragt. Das ist zu HipHop.

Dima: Es hängt auch wirklich viel mit der Wirtschaft zusammen. Wenn wir die wirtschaftliche Barriere überwinden, können wir auch anfangen von der Ausbreitung und Entwicklung von HipHop zu sprechen.    

rap.de: Wo seht ihr russischen Rap im internationalen Vergleich? Und seht hier ihr einen Act, oder eine Persönlichkeit, der/die es europaweit reißen könnte?    

Valera: Ich will hier jetzt nicht arrogant rüber kommen, aber die einzigen, die wirklich dem westlichen Standard entsprechen sind wir, das Splash!-Festival. Das kennt jetzt einfach jeder.    

 

Dima: In Russland gab es früher keine Klamotten. In den Sechzigern konntest du keine echten Jeans bekommen. Das konnten sich nur die wohlhabenden Leute leisten, die auch Verbindungen ins Ausland hatten. Jetzt ist das nicht mehr so. Jetzt gibt es diese Grenzen nicht mehr, du kannst überall hinfahren und dir angucken, wie es da aussieht. Das heißt, auf dem Niveau der Klamotten gibt es eigentlich keinen Unterschied mehr. Mit der Musik ist es ähnlich: Die Leute hatten keine Möglichkeit, sich mit anderen Künstlern auszutauschen und zu schauen, wie sie das machen, doch es entwickelt sich langsam alles. Vorher stand alles einfach nur auf einer Stelle.    

Michi:  Ja, das ist auch was Valera schon gesagt hat: Das Splash! gab russischen Künstlern die Möglichkeit, mit Leuten wie Saian auf der Bühne zu stehen. Diese Möglichkeit gab es vor uns nicht.    

rap.de: Gut, also gibt es in dem Sinne keinen Künstler, oder Produzenten, der dem westlichen Standard entspricht?    

Alle: Nein.