Nazar

rap.de: Bist Du regelmäßig im Iran?

Nazar: Ich war's. Das letzte Mal war vor ungefähr sechs Jahren dort. Da bin ich am Flughafen verhaftet worden und musste mich drei Monate lang dort herumschlagen.

rap.de: Warum?

Nazar: Wegen der iranischen Armee. Zu dem Zeitpunkt kam ein neues Gesetz, das festlegte, dass Leute, die im Ausland leben, sich nicht mehr von der Armee freikaufen können. Ich hab halt Glück gehabt, dass ich zwei Onkel habe, die sehr, sehr hohe Positionen bei der Armee haben, aber sogar die haben drei Monate gebraucht, um mich da rauszubekommen.

rap.de: Warst Du da im Gefängnis?

Nazar: Nein. Das war eben das Glück, durch meine Onkel, dass es da nicht so weit gekommen ist.
Wir haben jetzt auch das Glück, dass viele meiner Verwandten sowieso schon im Ausland leben und wer noch dort lebt, hat zumindest die Möglichkeit, uns zu besuchen. Ich weiß jetzt auch nicht, was mit mir wäre, wenn ich jetzt in den Iran fliegen würde. Ob sie mitbekommen, was ich hier mache und wer ich bin. Dann würde es kein Zurückkommen mehr geben, glaube ich.

rap.de: Wie ist denn die iranische Gesellschaft? Wie ist das gekommen, dass eine kleine Minderheit von Irren die Macht an sich gerissen hat und den Großteil einer relativ aufgeschlossenen Bevölkerung unterdrückt?

Nazar: Naja, man kann sie nicht wirklich "aufgeschlossen" nennen. Teheran ist sehr aufgeschlossen, eine Metropole so wie Istanbul in der Türkei. Man darf ja auch nicht vergessen in den Dörfern sieht's natürlich schon anders aus. Teheran versucht, sehr modern zu sein, vor allem durch die neue Generation, die sehr viel Fernsehen kuckt, studiert und viele Bekannte im Ausland haben, die ihnen berichten, wie's tatsächlich aussieht. Aber es gibt halt auch tatsächlich diese Hisbollahs, die komplett geistesgestört sind.
Es gab da auch so einen Fall mit der Frau meines Onkels. Deren Schwester hat einen Typen geheiratet, den hab ich sogar kennen gelernt, als ich unten war. Das war echt ein netter Typ und den haben wir auch alle gut aufgenommen in der Familie. Dann plötzlich, sieben Jahre später, als die schon zwei Kinder hatten, hat er in seiner Arbeit einen Typen kennen gelernt, der sich in diesen Kreisen bewegte. Und dann war's ein Prozess von ein paar Monaten, bis er dann auch nur noch ganz schwarz gekleidet mit Vollbart herumgelaufen ist. Er hat dann auch seine Frau geschlagen und sie gezwungen, einen Schleier zu tragen – solange, bis meine ganze Familie ihn gezwungen hat sich von ihr scheiden zu lassen. Für mich ist es schwer zu verstehen, wie sie da genau ihr Netz aufbauen und wie sie die Menschen in ihren Bann ziehen. Mir sind so krasse Sachen im Iran passiert. Das aller erste Mal, als wir unten waren, da war ich zehn und mein Bruder war 14. Der hatte damals lange Haare, die zu einem Pferdeschwanz gebunden waren. Wir waren da mit unseren beiden Cousins in einer Einkaufspassage, und plötzlich kamen Soldaten und haben meinem Cousin mit der Waffe auf den Kopf geschlagen und meinem Bruder die Knarre an den Kopf gehalten. Die wollten uns aufs Revier mitnehmen. Die haben sehr viele Jugendliche aufgesammelt, weil diese Einkaufscenter immer die Plätze sind, wo die Jugendlichen versuchen, sich mit den Mädels zu connecten. Dann haben sie mich und meinen Bruder freigelassen, weil wir eben Ausweise aus dem Ausland hatten. Meinen älteren Cousin, der auch lange Haare hatte, haben sie mitgenommen, ihm den Kopf rasiert und ihn am nächsten Morgen mit Kiefer- und Nasenbruch nach Hause geschickt.
Ein Jahr später war ich auf der Straße, und auf der Mitte von einem Platz war so ein Riesen-Podest, mit drei Holzpfosten. Dann kam ein Auto und dann stand plötzlich ein Moderator auf der Bühne mit einem Mikrofon und ich hab mich nur gefragt, ob da jetzt Disco kommt oder eine Live-Show oder so. So was gibt's ja bei uns nicht. Plötzlich kamen vier Sträflinge mit Stoffhauben übers Gesicht gezogen auf die Bühne. Dann hat er jeden einzelnen vorgestellt, was der für eine Straftat begangen hat und hat dann noch erzählt, wie viele Peitschenschläge der jetzt bekommt – 200, 300, oder ob er jetzt gehenkt wird. Einer wurde gehenkt und drei andere ausgepeitscht. Du musst Dir vorstellen: Da stehen die ganzen Menschen und kucken sich das an, als ob das ein Auftritt von Rihanna wär!

Zwei Jahre später war ich bei meiner Tante, meiner jüngeren Cousine und meinem älteren Cousin im Iran. Wir waren in einem Nissan Patrol unterwegs, so einem schwarzen Jeep, der dort sehr beliebt ist. Wir sind im Stau gesteckt und plötzlich haben wir drei Schüsse aus einem Gewehr gehört. Meine Tante hat sofort gewusst, was war, ist ausgestiegen und hat dann an der Motorhaube gesehen, dass auf unser Auto geschossen wurde und dann rennt so ein 15-jähriger Junge mit sechs Älteren auf unser Auto zu, richtet die Waffen auf uns und sagt, wir müssen aussteigen und uns auf den Boden legen. Die durchsuchen dann das Auto, und meine Tante fragt: "Was war denn jetzt?", und die antworten so: "Ja, so ein ähnliches Auto wie Eures hat vorhin einen Juwelier ausgeraubt."
Das war diese Hisbollah-Garde. Das sind halt diese kleinen Bastard-Kinder auf der Straße. Da gibt's sehr, sehr krasse Zustände. Ich bin sehr oft aufgehalten worden, wenn ich mit meiner Cousine im Auto war und sie herumgefahren ist. Es gibt diese Nachtsperren, wo die dann auf der Straße stehen und du zu zweit aussteigen musst. Dann befragen sie dich getrennt, in was für einem Verhältnis ihr zueinander steht und wenn du sagst: "Das ist meine Cousine", dann musst Du den Namen ihres Vaters, ihrer Mutter und noch weiterer Verwandter wissen und sie umgekehrt auch, bis sie Dich weiterfahren lassen. Wenn Du Pech hast, fangen sie an, das Auto zu durchsuchen, ob Du zum Beispiel westliche Musik bei Dir hast. Das ist so 'ne krasse Scheiße! Ich denke, jeder, der ein bisschen Ahnung vom Iran hat, weiß, was das für ein gebildetes und gutes Volk ist. Eigentlich entwickelt sich im Iran alles sehr stark zurück, seit das Regime die Macht übernommen hat.