In welches Strassenkunstgenre ordnest du dich ein?
Schubladen sind mir nicht so wichtig, aber ich identifiziere mich weniger mit Street Art und mehr mit der Straßen-Graffiti-Kultur. Sie ist rougher, erzeugt durch ihre ungefragten und strafbewehrten Hinterlassenschaften mehr gesellschaftliche Reibung. Viele Street-Art-Fans kommen mit einer Gut-Böse-Schablone: „Ja, diesen bunten Bilder von Banksy sind echt thought provoking. Und was in den Street Art-Ausstellungen in den letzten beiden Jahren in Berlin zu sehen war, dass ist ja echt schön und kreativ, aber diese hässlichen Tags – das ist doch keine Kunst.“ Voller Altersmilde erkläre ich diesen Leuten dann immer, dass ziemlich alle, die diese „tollen, bunten Bilder mit Figuren“ malen, oft mit taggen angefangen haben und oft immer noch machen. Aber am liebsten würde ich diesen Leute … naja, du weißt schon.
Auch wenn Graffiti in der Öffentlichkeit als subkulturelles Element wahrgenommen wird, geizen die meisten Writer mit politischen Statements. Du legst in deiner Arbeiten den Fokus darauf.
Das ist erst mal kein Widerspruch. Graffiti hat vom Wesen her eine rebellische Ader, weil es die vorgefundenen Normen und Gesetze in Frage stellt. Trotzdem verstehe ich viele Writer da oft nicht: Sie schaffen sich mit der Aneignung des öffentlichen Raums so eine geile Bühne, nutzen diese aber selbst nach 35 Jahren immer noch nur für ein „I-was-here“, wobei sie immer nur die eigene Szene als Publikum laden. Ich bin ein politischer Mensch, empfinde meine Meinung als sehr relevant und halte mit ihr nicht hinter den Berg … Also nutze ich diese selbstgeschaffene Bühne auch dafür. In der ganzen Stadt wird man mit der vorherrschenden Meinung konfrontiert: Werbung, Wahlplakate, Nachrichten – Nationalismus, Chauvinismus und Sexismus. Warum das also nicht aufgreifen, andere Positionen einwerfen, Fragen stellen und sozusagen für eine andere Welt werben.
Nach dieser Logik muss Kunst ja quasi politisch sein.
Nein, das muss sie nicht … Aber natürlich hat sie eine Existenzberechtigung als solche. Rebellische Kunst, sowohl für die Ausgebeuteten und Unterdrückten als auch gegen falsche Ideen unter den Menschen, war schon immer ein Motor für positive gesellschaftliche Entwicklung. Sie generiert so viel mehr Kraft als hippe Grafikdesign in einem Startup oder in der Werbung.
Siehst du die Ergebnisse deiner Aktivitäten denn überhaupt als Kunst an?
Bei mir sieht man gleich, dass stilsicheres Malen nicht mein Ding ist. Meine Stärke liegt darin, dass ich es trotzdem mache. Und eine meiner Arbeiten für sich alleine sieht meistens nicht so spannend aus. Im Gesamtkontext Sozi36 hat sie trotzdem einen bestimmten Wert. Ob das dann Kunst ist, interessiert mich nicht.
Du und dein Kreuzberger Kiez ergänzen sich gut … Nicht zuletzt, weil nirgendwo so viele Sachen rumstehen wie hier.
Absolut! Außerhalb des S-Bahn-Rings und in kleinen Städten würde mein Konzept vermutlich erst gar nicht funktionieren. Auch die Form der Interaktion, die dabei oft entsteht, würde an anderen Orten nicht aufgehen, weil du hier einfach ein bunt gemischtes Publikum hast. Hier in Kreuzberg sind einfach immer noch viele Gruppen auf den Straßen unterwegs, die ich nerven oder ansprechen kann: Hipster, Linke, Geflüchtete, Zugezogene, Spießer, Altberliner, Neuberliner, Rapper, Punker und insgesamt eine große Gruppe an Leuten, die irgendwie mit der Straße lebt … Außerdem, das muss ich zugeben, ist die Gegend auch schon so durchgehipstert, dass du auf die Straße kacken kannst und als urbaner Künstler wahrgenommen wirst. So eine Atmosphäre kommt uns Straßenmalern selbstverständlich sehr entgegen.
Zwingt dich schon allein dein Name dazu, die Grenzen von Kreuzberg 36 nicht zu verlassen?
Nein, eigentlich nicht. Ich würde gerne mal woanders hingehen … Aber ich merke, wenn ich in andere Bezirke gehe, dass ich dort nicht so genau weiß, wo dort der Schuh drückt. Hier kenne ich jeden Winkel und alle Hintergründe. Kreuzberg ist mein Lebensmittelpunkt.
Suchst du dir deine Spots aus oder kommen die Spots, zum Beispiel in Form von Sperrmüll- Ansammlungen an Straßenecken, zu dir?
Beides. Wenn irgendwo ’ne Großfamilie auszieht und ihre halbe Wohnung rausstellt, mache ich Installationen, baue ganze Zimmer aus Sperrmüll, die sich dann durch Hinzufügen und Mitnahme über die Tage von selbst weiterentwickeln. Ich habe mittlerweile auch Stellen, an denen die Sachen von einer maximalen Zahl von Leuten gesehen werden. Zum Beispiel gibt es einen Spot am Görlitzer Bahnhof, der mehrmals täglich von Touris besichtigt wird … Den nutze ich dann auch bewusst. Ab und an muss ich die Sachen auch auch mal ein paar Meter weiter tragen, um sie besser zu platzieren.