Verharmlosung vs. Doppelmoral: Darf man Musik von Sexualstraftätern mögen?

Ein schönes Gemälde, oder? Vielleicht ein bisschen kitschig. Ich würde es selbst nicht kaufen, aber sollte meine Mitbewohnerin vom Flohmarkt kommen und ein vergleichbares Aquarell in unserem Flur platzieren, gäbe es von meiner Seite keine Einsprüche. Wahrscheinlich würde ich im Alltag beim Vorbeigehen innehalten, das Bild ansehen und die friedlichen und romantischen Gefühle genießen, die es auslöst. Mir würden Tage meiner Kindheit einfallen, an denen ich gemeinsam mit meinem besten Freund Stronghold gespielt habe, vielleicht würde Filmmusik von „Der Herr der Ringe“ in meinem Ohr ertönen oder die Erinnerung aufkommen, wie ich mit meinen mittlerweile verstorben Großeltern am Edersee in Hessen alte Schlösser besucht habe. Schöne Gedanken sind das.

Das Gemälde stammt übrigens von Adolf Hitler, der – vor seiner Karriere als Diktator und Massenmörder – einmal Kunst studieren wollte und viel gemalt hat.

Darf man Kunstwerke von Hitler mögen?

Tja, was nun? Das Bild ist immer noch das selbe, aber Hitler hat den zweiten Weltkrieg verursacht und systematisch ca. sechs Millionen Juden töten lassen. Was macht das mit Hitlers Kunstwerken? Ein anderes Beispiel, Brücke zum Rapgame:

XXXTentacion – Jocelyn Flores

Ein schönes, trauriges Lied, oder? Der Song stammt vom 2017 erschienen Album „17“ und ist in den USA mittlerweile mit Platin zertifiziert. Ein Urteil im laufenden Prozess ist zwar immer noch nicht abzusehen, doch seine Vorstrafen und aktuellen Anklagen sprechen für sich: XXXTentacion ist ein gefährlicher und gewalttätiger Mensch, der anderen Menschen seit seiner Kindheit immer wieder schwere körperliche Schäden zugefügt hat. Raubüberfälle und psychische Gewalt exklusive.

Was macht das mit dem Lied? Darf man es jetzt noch schön finden oder sogar weiterhin gerne anhören? Um einmal ganz allgemein zu fragen: Ist es in Ordnung, leidenschaftlich Kunst von Menschen zu konsumieren, die im privaten Leben Dinge tun, die moralisch nicht zu rechtfertigen sind?

Kriminalität im Stargame

In der US-amerikanischen Rapszene ist XXXTentacion ja bei weitem kein Einzelfall. Tekashi69 – der selbsternannte neue King of New York – schlägt sich seinerseits mit Vorwürfen herum, an der Vergewaltigung einer 13-jährigen beteiligt gewesen zu sein. Kodak Black sitzt derzeit im Gefängnis, weil er (unter anderem) in Gegenwart eines Kleinkindes Drogen konsumiert hat. Quavo (Migos) wurde vor ein paar Wochen in Gewahrsam genommen, weil er einen Juwelier verprügelt hat, der von ihm ausstehendes Geld für Schmuck verlangt hat. Im Zuge seiner Entfernung aus sämtlichen Spotify-Playlisten veröffentlichte XXXTentacion über Twitter eine Liste mit vergangenen Straftaten bzw. laufenden Anzeigen von Superstars der US-amerikanischen Musikbranche. Ganz schön große Hausnummern stehen da.

Aber es muss ja nicht immer gleich der sexuelle Missbrauch am Hollywoodfirmament sein. Was ist mit Musik von Menschen, die Goldtransporter ausrauben bzw. wegen Raubüberfällen im Knast saßen? Die auf Bühnen mit minderjährigen Groupies rumknutschen? Die auf öffentliche Kritik mit demagogischen Hetzkampagnen reagieren? (Ja, jetzt sind wir im Deutschrap gelandet). Das waren keine Suggestivfragen. Vielleicht sind die letzten Beispiele auch ein bisschen weit hergeholt. Aber strukturell ist es ja das gleiche Problem.

Von charismatischen Goldräubern

So eine ungefähre Tendenz scheint es aber schon zu geben: Aus persönlicher Erfahrung sind die Straftaten von XXXTentacion für viele Grund genug, seine Musik zu meiden. Die Kriminalität von Xatar oder der 187 Straßenbande hingegen wird ja eigentlich durchweg als sympathisch und zumindest entschuldbar wahrgenommen. Vielleicht liegt das an der Art der Straftat, vielleicht an den Personen. Keine Ahnung. Aber etwas stutzig macht mich das schon: Wieso ist das eine Verbrechen cool und das andere nicht? Leid wird doch überall verursacht.

Meiner Meinung nach ist die Frage nach der Moral eigentlich immer eine, die man sich in erster Linie selbst stellen muss. Wer die Musik von XXXTentacion hören kann, wissentlich, wer er ist, soll das tun können. Ich zum Beispiel kann und tue das; seine Musik höre ich als Musik eines kranken Kriminellen – Künstler und Kunst sind für mich persönlich nicht zu trennen. Ich höre seine Musik, versuche dabei zu verstehen, wer er ist und finde seine Kunst sehr schön. Wenn durch mich andere Leute auf seine Lieder aufmerksam werden, weise ich immer darauf hin, wer er ist. Ein Bild von Hitler würde ich mir aber nicht in den Flur hängen und seit Kollegahs reißerischem Umgang mit den Vorwürfen des Antisemitismus‘, möchte ich mit ihm und seinem künstlerischen Schaffen keine Berührungspunkte mehr haben.

Aber das bin nur ich und meine Meinung. Darf man Musik von Kriminellen mögen und hören? Ich finde schon. Ab welchem Punkt ist eine Straftat ein Grund, sich von der Kunst des Straftäters zu distanzieren? Das ist persönliche Ermessenssache.

Verharmlosung und Doppelmoral

Denn sind wir mal ehrlich: Jeder Rapfan sollte wissen, wie viele Szenekünstler keine weiße Weste tragen. Im Prinzip lassen wir uns alle darauf ein, dass Kunst existieren und schön gefunden werden darf, auch wenn die Künstler kritische Dinge in ihrem Leben tun. Es geht dabei überhaupt nicht darum, Kriminalität in irgendeiner Weise zu legitimieren oder zu verharmlosen: Wenn die aktuellen Anklagen gegen XXXTentacion der Wirklichkeit entsprechen, hat er schreckliche Dinge getan und muss dafür zur Verantwortung gezogen werden. Wenn Rap (oder die Superstarszene der Musikbranche) eine hohe Dichte an Kriminalität und moralisch inakzeptablem Verhalten aufweist, ist das ein ernstzunehmendes Problem, das dann aber flächendeckend und vor allem an anderer Stelle adressiert werden muss (z.B. am Starkult).

Sich nur über die Musiker zu echauffieren, die medienwirksam an den Pranger gestellt werden, während auf anderer Seite etliche andere Künstler vergleichbare Register vorzuweisen haben und die Vergehen deutscher Straßenrapper als authentisches Image weggefeiert werden, finde ich ganz schön inkonsequent. Anders gesagt: Doppelmoral.