Homezone #16: Auf Graffiti-Tour durch Kreuzberg mit Sozi36

Wie gehst du damit um, dass Touris und Hipster Teile deiner Kunst als „It’s so Berlin“ ausmachen und du damit die Gentrifizierung, die du in deinen Arbeiten oft ankreidest, quasi mit vorantreibst?

Das ist eine wichtige Frage, die sich der ganzen Straßenszene stellt und auf die es keine einfache Antwort gibt. Trotzdem habe ich eine: Fick‘ mit deinen Arbeiten deren Wohlfühlgefühl, wenigstens manchmal, mach nicht so viel Schönes und trotzdem Dinge, auf die du Bock hast. Ich habe mal an einem Tourispot den Slogan: „Street-Art-Tours sind wie Ghetto-Zoo“ gemalt, um zwei Wochen später an gleicher Stelle: „Scheiß Street Art bringt die Touris in den Kiez“ hinzuschreiben. Beides gehört quasi zusammen. Das ist ja ein klares Eingeständnis an diesen Widerspruch, in dem man sich selbst bewegt. Es gibt auch noch ein paralleles Phänomen: Du kritisierst etwas, und die kritisierte Partei postet dein Zeug. Die Kritik landet oft mit einem „Juhuu, wir werden gedisst“-Kommentar auf den Kanälen des Gedissten. Aber was soll’s, das ist Berlin 2018: Du kannst noch nicht mal etwas bemängeln, ohne dass es vereinnahmt wird.

Immer wieder lehnst du dich innerhalb deiner Projekte an die Texte deutscher Rapper an, hast K.I.Z., Olexesh, Ufo361, Audio88 & Yassin und Haiyti zitiert und hattest auch schon Beef mit der Antilopen Gang. Wie ist dein Zugang zu Rap?

In den 90ern wollte ich trotz Kontakten mit deutschsprachigem Straßenrap nichts zu tun haben. Das war mir alles zu aggressiv, männerdominiert und asi. Mittlerweile bin ich ein erwachsener Mann und kann damit selbstbewusster umgehen. Mein Mentor in Sachen Graffiti in den 90ern war selbst ein bekannter Berliner Sprüher, der sich später auch als Rapper im Bassboxxx-Umfeld einen Namen gemacht hat. Ein paar Jahre später kamen dann die ersten drei Aggro-Ansagen, die habe ich damals totgepumpt. Seitdem höre ich einiges an Deutschrap, weiß aber nicht, ob ich mich als Teil dieser Kultur verstehe oder doch nur so ein Hipster bin, der das von Außen mit einem Lächeln betrachtet (lacht). Auf jeden Fall bin ich kein Experte, finde das alles aber schon sehr interessant: Ufo kommt beispielsweise aus meiner Hood, ist hier sehr präsent. Wenn du hier 14-Jährigen ’ne Dose in die Hand gibst, malen sie entweder einen Penis oder ein „Ufo361“. „Ich bin 3 Berliner“ habe ich viel gehört und ihn dann halt parallel dazu auch auf einer Matratze zitiert.

Was hat dich im Deutschrap zuletzt genervt?

Ich bin ein Hater: Es fällt mir viel leichter, Dinge zu kritisieren, als auf etwas Positives hinzuweisen … Richtig Audio88-Style. Unerträglich finde ich zum Beispiel, dass Schwesta Ewa in letzter Zeit Credibilität zugeschrieben wird: In meinen Augen ist sie wie ein schwarzer Polizist, der im Görli auf Afrikanerjagd geht.

Wie meinst du das?

Menschen, die ihre eigenen Leute verraten, Kollaborateure, sind immer sehr niederträchtige Persönlichkeiten. Die Leute, die „Schubse den Bullen“ von Ewa feiern, sollen sich mal vorstellen, ihre Töchter müssten für sie arbeiten. Eine andere Sache, die mich beschäftigt hat, ist ein Track von Luciano, dessen Album bei mir immer wieder in Dauerschleife läuft. In „Berlin Favela“ heißt es: „Bitch, Nigga, übernehm‘ den Thron“ … Das bringt sehr konzentriert auf den Punkt, was Straßenrap oft unsympathisch werden lässt. Mir geht es nicht um Sprechverbote, sondern das Weltbild, dass sich durchs ganze Album zieht: „Ich-mich-mir, alles Feinde und fick die Nutten, aber verlieb‘ dich nicht.“ Eine immergleiche Leier, so erfrischend wie schales Bier. Anscheinend ist es eine Phase, durch die neunzig Prozent der Rapper im Jungmänneralter durchmüssen. Das ist schade.

Klar, gewisse neoliberale Ansätze sind da mit Sicherheit oft nicht von der Hand zu weisen …

Absolut nicht. Luciano und Kontra K texten die ganze Zeit vom „American Dream“. „Du kannst alles erreichen, musst dich nur richtig anstrengen. Ellenbogen raus, besser sein als alle anderen und hol dir das größte Stück vom Kuchen. Selbst Schuld, wenn du es nicht schaffst“ und so weiter. Ich bin mir sicher, dass jeder Flüchtling und jede alleinerziehende Mutter auf Hartz4 mehr „Blut, Schweiß, und Tränen“ abgeliefert hat. Aber die Jungs zollen denen keinen Respekt, zeigen sowieso keine Solidarität mit niemandem. Denen geht es nur um ihr eigenes Wohlbefinden und  im besten Fall noch um das ihrer Jungs. Und statt eben dieses System ficken zu wollen, was berechtigterweise angeklagt wird, wollen sie nur möglichst viel Bling Bling. Das ist kein Stück hart und real, das ist Kapitalismus, einfach langweilig. Für mich ist Street Credibility, wenn du was für die Leute auf Straße machst. Und Straße ist weit mehr als nur die Jungs vom Corner … Das sind unsere Eltern, Geschwister, Nachbarn, Gefangenen, Leute auf’m Jobcenter und in den Asylheimen, Mütter die Putzen gehen. Sie brauchen etwas, dass sie nach vorne bringt und Rapper könnten ihnen dafür den Soundtrack liefern. Aber wenn die Künstler selbst sowieso nur abkassieren wollen, sollen sie das ruhig machen … Dann haben sie aber auch nicht die Berechtigung zum Rumheulen.

Gibt es denn trotzdem gute Aspekte, die du Rap in letzter Zeit abgewinnen konntest?

Klar: Der positive Bezug zur Straße, so eingeschränkt er auch ist, und die Fuck-You-Attitude ist ein gewisses Alleinstellungsmerkmal vom Strassenrap in der Popkultur. Die Mucke hat viel Wut und damit Kraft, lullt einen nicht so ein. Diese Kraft wäre halt ungleich stärker, wenn sie dabei noch progressiv wäre. Stell dir vor, Luciano, um beim Beispiel zu bleiben, würde mit seinen Lyrics die Menschen vereinen, statt zu spalten: Sein eh schon geladenes Albums hätte eine noch viel größere Wucht, viel mehr Menschen könnten sich damit identifizieren. Die Künstler unterschätzen, was die Leute da draußen brauchen und auch wollen. Ich wünsche ihnen mehr Mut, neue Wege zu beschreiten, anstatt immer auf dieses „Ich-Mich-Mir-„Pferd zu setzen.

Das ist eigentlich ein schönes Schlusswort. Gibt es von deiner Seite noch irgendwas loszuwerden?

Ja: Beste Grüße an und kein Knast für Valtonyc!

Danke für das ausführliche Interview!

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