Homezone #16: Auf Graffiti-Tour durch Kreuzberg mit Sozi36

Innerhalb der letzten 13 Monate habe ich mit meinem Format „Homezone“ immer wieder Rapper und Crews durch ihre Kieze und an ihre Lieblingsorte begleitet. Die Interview-Reihe bescherte mir unvergessliche Ausflüge nach Hamburg, Dortmund, Rostock, Ferropolis und in die hintersten Ecken Berlins. Für die sechzehnte Ausgabe fiel die Wahl des Ortes verhältnismäßig unspektakulär aus … Eigentlich habe ich nur einen Spaziergang durch meine Nachbarschaft gemacht. Herausstechend war diesmal vielmehr die Selektion meines Gastes: Mit Sozi36 habe ich erstmals einen Künstler getroffen, der sich weder durch gnadenlosen Sprechgesang noch durch die Konstruktion von Beats oder die innovative Arbeit im Feld des Rap-Markes einen Namen gemacht hat.

Sozi ist Sprüher und Straßenkünstler, schmücht seine Kreuzberger Nachbarschaft seit vielen Jahren regelmäßig und flächendeckend mit kreativen und politischen Botschaften. Besonders die ungewöhnliche Auswahl seiner Leinwände macht sein Alias zu einem Phänomen, das aus dem Stadtbild des Szene-Kiezes kaum mehr wegzudenken ist.

Ich habe mit Sozi einen Vormittag in seiner Hood verbracht, habe mir eine Menge seiner Bilder zeigen und erklären lassen und mit ihm ein ausführliches Gespräch über die Hintergründe seines aufwändigen Hobbies, seine Vergangenheit und deutschen Rap geführt. Viel Spaß mit dem ersten (und vermutlich einzigen) Homezone-Graffiti-Special!

Wer die Berliner Graffitiszene beobachtet, dürfte den Alias „Sozi 36“ schon seit den Neunzigerjahren kennen. Wann hast du das Tag zum ersten Mal gesetzt?

Das war 1996. Ich muss aber dazu sagen, dass ich heute anders arbeite als in den Neunzigern: Damals habe ich nur getaggt, wenn auch möglichst viel. Während die Sprüher immer „nur“ auf der Straße und an Bahngleisen unterwegs waren, habe ich einfach überall Spuren hinterlassen, auch bei der Hausärztin oder beim Anwalt. Das ist kein Alleinstellungsmerkmal, aber ich würde schon behaupten, dass ich das mit meinem damaligen Partner UTE sehr intensiv betrieben habe. Ich habe bis 2004 gemalt und dann bis 2014 eine Pause eingelegt.

Warum die lange Durststrecke?

In der Zeit zwischen meinem 15. und 25. Lebensjahr gab es nur wenige Tage, an denen ich nicht entweder verhaftet wurde, auf Bewährung war, Sozialstunden abgeleistet oder auf den nächsten Prozess gewartet habe. Als dann wegen einem Edding-Tag meine Bewährung verlängert wurde, habe ich erstmal die Reißleine gezogen.

Wie kam es dazu, dass du trotzdem wieder angefangen hast?

Es war tatsächlich so, dass mir jemand einen Marker geschenkt und es mich wieder gepackt hat. Zuerst habe ich nur ein bisschen rumgeschmiert, um an Leute von damals das Signal zu senden, dass ich immer noch lebe. Ich habe schnell gemerkt, dass die Menschen das auch wahrgenommen haben: Irgendwelche Alt-Autonomen, die ich gar nicht persönlich kannte, kamen zu mir und meinten: „Gut, dass du wieder da bist“. Das hat mich definitiv angespornt. Ich habe zunehmend auf Wahl- und Werbeplakaten rumgekritzelt. Vor vier oder fünf Jahren bin ich dann auf Sperrmüll-Zeug umgestiegen … Spots, die vorher nur wenig genutzt wurden.

Womit wir auch schon bei einem wichtigen Erkennungszeichen sind: Du nutzt Matratzen und anderen Sperrmüll als deine Leinwände. Worin begründet sich diese Passion?

Nachts an Wänden aktiv zu werden kann ich mir nicht mehr leisten. Aber ich bin einer von denen, die an Graffiti chronisch erkrankt sind, das lässt mich einfach nicht los. Der Sperrmüll war am Anfang eine Art Kompromiss, aber mittlerweile liebe ich dieses Medium. Der gewöhnliche Berlinbewohner ist die vollen Wände gewohnt, nimmt sie gar nicht mehr so richtg wahr. Aber der Sperrmüll steht mitten im Raum, ist quasi unerwarteterweise bunt. Manchmal ist es nur Schrott, aber wenn du vier Matratzen nebeneinander aufstellst, ergibt das schon ’ne geile Leinwand, auf der du dann auch aufwändigere Sachen platzieren kannst. Die Leute fragen mich ständig, woher ich die Matratzen habe, als ob ich immer mit ’nem vollen Rucksack rumlaufen würde. Sie peilen die Dinger erst, wenn sie angemalt sind. Vorher sind sie unsichtbar.

Trotzdem gibt es sicherlich Leute, die sich selbst über die Schmierereien auf Sperrmüll aufregen …

Natürlich. Ich führe immer wieder Diskussionen mit der Berliner Stadtreinigung, quasi meinem natürlichen Fressfeind. Ihrer Meinung nach stellen mehr Leute Zeug dorthin, wo ich gemalt habe. Ich kann das nicht beurteilen, sehe das aber nicht als meine Verantwortung und find‘ es auch nicht so wild. Versteh‘ mich nicht falsch: Ich habe mehrere afrikanische Städte bereisen dürfen und weiß, was für ein Luxus es ist, wenn die Müllabfuhr alle Stadtteile abfährt und es so geschmiert läuft wie hier. Insofern liebe ich die BSR. Aber die könnten sich bei einigen Werken etwas kulanter zeigen und sie länger stehen lassen. Vielleicht planen sie aber auch eine Ausstellung mit meinem Zeug – die Best-of’s haben sie ja alle (lacht).