Seine Augen hellwach, das faltige Gesicht erzählt Geschichten von einem Leben mit Höhen und Tiefen. M.W. (Name gekürzt) hat viel erlebt, das ist mir bereits vor unserem ersten intensiven Gespräch klar. Das Berliner Urgestein stellt sofort klar, dass sein wahrer Name nicht genannt werden soll – primär aufgrund seines Freundeskreises, erklärt er ruhig, ohne den Blick zu heben – „Da gibt es viele mit Familie – die stehen mitten im Leben und haben keine Lust, dass es Ärger gibt“. Sobald er seinen Mund öffnete, ist der nachdenkliche Schwermut, der seine Augen befällt, verschwunden. Mit beinahe jugendlichem Eifer erzählt er mir von seiner Geschichte in Ost-Berlin. Vom Leben in der ersten HipHop-Gang der DDR, den Berlin Crips. Eine Geschichte geprägt von Leichtsinn, Gewalt, Abenteuer und der Suche nach Zusammenhalt.
Wenn man das Wort „Gang“ hört, verbindet man das leicht mit Revierkämpfen. Wie sah das bei euch aus? Wer waren eure Erzfeinde?
Es gab ständig Revierkämpfe. Wir kamen aus Berlin-Altglienicke – das lag damals am Rand von West-Berlin. Wir waren sozusagen die einzige Bastion. Die einzige Gang fast in ganz Ost-Berlin, bei der es sich nicht um Skinheads handelte.
Das muss man so deutlich sagen. Du konntest nach Westen fahren – Rudow, das war kein Problem. Bist du aber nach Adlershof gefahren, Baumschulenweg, Treptow – zack, gab es sofort Probleme.
Überall standen Nazis – abends, wenn es dunkel war. Es waren fast überall nur Glatzen unterwegs und kaum Polizei.
Unsere Erzfeinde waren die Doc Martens aus Berlin-Köpenick. Viele Leute, die ich auch heute noch kenne, waren Mitglieder. Alle in unserem Alter. Die waren rechts – mit Stahlkappenstiefeln – und da gab es ständig Reibereien. Darum ging’s eigentlich – jeden Tag. Jeden Tag ging es darum, ob wir zu denen fahren oder ob die uns attackieren.
Du durftest keinem von denen alleine begegnen. Für uns war der Radius, in dem wir uns gefahrenfrei bewegen konnten, sehr klein. Weil er sich im Prinzip nur auf Altglienicke beschränkt hat. Und danach – das war dann Nazi-Gebiet. Da waren nicht nur die Doc Martens für uns gefährlich – da gab es noch genügend andere Nazis.
Kam es auch mit anderen rechtsextremen Gruppierungen zu Auseinandersetzungen?
Nicht regelmäßig. Die kannten uns nicht, wir kannten die nicht. Es gab mehrere Gruppierungen, aber auf die waren wir nicht fixiert. Aber mit den Doc Martens, das fing mit ein paar Problemen an – und steigerte sich dann.
Ab da waren wir in einen von diesen endlosen Kämpfen verwickelt, wie man das jetzt kennt von amerikanischen Gangs. Da hört es ja auch nie auf. Dann hast du Krieg mit denen und zwar lebenslang.
Was war der Antrieb hinter der Rivalität? Hattet ihr politische Motive?
Die grundlegende Motivation war unterschiedlich. Für den einen, der auf die Musik fokussiert war, stand der Konflikt Afroamerikaner gegen Rassisten im Vordergrund. Für andere war es das unterschiedliche Erscheinungsbild – zwischen uns und den Skinheads, mit ihren Springerstiefeln, Glatzen und so weiter. Ohne die politischen Hintergründe überhaupt zu kennen oder wirklich beleuchten zu können. In diesem Kontext waren wir zu Ost-Schulzeiten nicht gebildet. Schließlich wurde uns nur erzählt, was uns erzählt werden sollte.
Ihr hatte also keine politische Bildung?
Wir hatten eine riesige politische Bildung!
In Bezug auf die DDR.
Nicht nur in Bezug auf die DDR auch auf eine manipulativ gestreute Meinung über die Welt. Nicht anders als es heute ist. Das waren keine dummen Jungs in der DDR.
Wie wurdet ihr manipuliert?
Wir wussten über die politischen Themen Bescheid, die in der DDR eine Rolle gespielt haben.