Tua – Raus aus allen Schubladen

rap.de: Hat dir singen schon immer mehr Spaß gemacht als rappen?

Tua: Ich würde gar nicht sagen, dass es mir mehr Spaß macht. Es ist einfach ein bisschen was anderes. Allein vom Texteschreiben her. Man muss nicht so viel Text schreiben, aber es ist deshalb nicht einfacher. Es muss eben echt on point sein. Man muss mehr in einzelne Zeilen legen. Wenn du vier Zeilen hast, dann müssen die vier halt knallen. Die müssen alles sagen, was du sonst in 32 oder 64 Zeilen sagen könntest. Früher fand ich das geil, dass man so viel Platz hat, um so viel zu sagen. Heute will ich manchmal nur eine Kleinigkeit sagen, die für mich aber schon groß genug ist, um daraus einen Song zu machen. Wenn du aber vier Zeilen zwölfmal in einem Song rappen würdest, würde es unfassbar langweilig werden. Aber mit Gesang kann man die Melodie variieren, da kann man aus weniger Inhalt einen ganzen Song machen – um es mal rein technisch zu erklären.

rap.de: Und man kann mit der Melodie noch eine andere Stimmung reinbringen.

Tua: Absolut, klar. Ich kann aber trotzdem nicht sagen, dass es mir mehr Spaß macht. Für das, was ich gerade ausdrücken möchte, was in mir ist, ist es der bessere Weg. Ich habe auf der EP auch nicht nur gesungen, sondern auch Vocals bearbeitet. Habe sie nur auf einer Tonlage eingesprochen und dann auf dem Midi-Keyboard gespielt. Oder sie mit Melodine bearbeitet oder durch die Talkbox gejagt. Deswegen ist es auch falsch zu sagen, ich wäre ein Sänger oder ein Rapper. Eigentlich ist mir immer wichtig, was am Ende als Gesamtding herauskommt.

rap.de: Du bist der Komponist.

Tua: Naja, das hört sich jetzt so hochgestochen an. Nee, der Produzent trifft's schon am besten. Für mich ist die ganze Vocalgeschichte auch mehr ein Instrument, um einen Inhalt zu vermitteln.

rap.de: Etwas zu vermitteln, mitzuteilen, ist schon ein wichtiger Punkt in deiner Musik, oder?

Tua: Ja. Ich will keine Politik machen, oder nur ganz selten. Aber ich will die Leute berühren. Ich mache auch eigentlich nur nachdenkliche Sachen. Mein Spezialgebiet ist eher, sich viele Gedanken zu machen, tief reinzugehen und mich darauf zu fixieren. Vielleicht mache ich irgendwann aber auch mal was ganz anderes, weiß ich nicht…

 
rap.de: Nur "ficken" und "Fotze" sagen…

Tua: Das wahrscheinlich nicht, aber vielleicht doch (lacht). Aber vorerst zumindest habe ich mich in diesem Bereich gefunden. Dazu will ich noch was sagen, was auch so eine Sache von Kategorisierung ist: Ich merke auch, dass Leute das Wort depressiv sehr schnell benutzen. Die hören meine Mucke und sagen, boah, das ist krasse Depri-Mucke. Und das ist verrückt. Denn eigentlich ist es nachdenkliche Musik. Es hat schon Inhalt und fordert dich zum Zuhören auf. Aber das allein macht doch keine depressive Musik! Aber für viele Leute ist es so: Oh nee, ich denke jetzt nach, das ist gar nicht gut, dann geht's mir jetzt schlecht. Das ist eine komische deutsche Eigenschaft, dass man sagt, ich will lieber etwas hören, was mich gar nicht fordert. Ich will mich lieber Fernsehprogrammmäßig zerballern lassen, nicht nachdenken müssen, damit ich nicht meine schlafenden Hunde wecke. Und dann kommt meine Mucke und weckt voll die schlafenden Hunde, mit traurigen Ostblock-Melodien, die das Herz öffnen und dann noch den entsprechenden Worten, die dafür geschrieben sind, dass man anfängt, sich zu öffnen. Und dann kommen den Leuten Gedanken und dann werden sie depressiv. Und das wundert mich eigentlich. Wieso ist in Deutschland Nachdenklichkeit gleich Traurigkeit?

rap.de: Also depressiv nicht, aber düster darf man deine Musik schon nennen?

Tua: Ja. Düster ist schon auf jeden Fall richtig. Allein die ganze Tonästhetik ist ja düster. Viel Hall auf knarzigen Tönen vermittelt einfach immer das Gefühl von einem riesigen Maschinenraum. Und wenn du dann irgendwelche seltsamen Flächen wie beispielsweise bei "Vadata" oder eigentlich bei jedem, auch bei "Scheiß auf alles" bringst. Da kommen so seltsame chorartige Synthieflächen mit ganz viel Hall, da hat man einfach das Gefühl, in einem Endzeitfilm zu sein. Düster mag ich, das ist meine persönliche Vorliebe, ich mag düstere Filme, düstere Musik, düstere Kunst. Düster lehne ich nicht ab. Aber es ist nicht immer depressiv, weißte? Es ist auf jeden Fall nicht happy, es ist auch nicht immer nur positiv. Aber es hat auch einfach sehr viel Power. Es ist manchmal aggressiv oder hart, aber nicht immer nur Selbstmordmusik. Portishead haben da ein ganz andere Level an Selbstmordmusik erreicht (lacht).

rap.de: Aus welcher Stimmung heraus entstehen deine Songs? Gibt es dafür bestimmte Momente?

Tua: Bei "Moment" zum Beispiel habe ich am Bahnhof in Stuttgart auf den Zug gewartet und bin gerade runtergekommen oder sowas, wahrscheinlich hatte ich am Vortag gesoffen, ich weiß es nicht mehr genau. Auf jeden Fall habe ich da einen Moment erlebt, in dem mir ganz viele Dinge klargeworden sind. Ich saß eigentlich nur belanglos rum, hab aber plötzlich ganz viele Filme geschoben. Alles hat für mich plötzlich Sinn ergeben. Meine Wahrnehmung war kurz sehr geschärft, was weiß ich, wie das chemisch zustande kam. Von dieser Wahrnehmung war ich geflasht. In den folgenden Stunden im Zug habe ich darüber nachgedacht, wie geil ein Moment sein kann und was der perfekte Moment ist. Über das Wort perfekt (lat. abgeschlossen – Anm. d. Verf.) bin ich zum Schluss gekommen, dass der perfekte Moment eigentlich das Nichts ist. Der absolute Abschied. Der eine maximal kleine Punkt auf der Zeitleiste. Das ist jetzt sehr abstrakt. Jedenfalls ist es kein sich bewegender Moment, sondern ein abgeschlossenes Ding. Perfekt eben. Daher auch der Gedanke an den Tod. Dann habe ich Lyrics geschrieben, die es beschreiben, aber offen lassen. Ich sage extra nicht, der perfekte Moment ist, wenn du in dein Auto steigst mit einer hübschen Frau, was weiß ich. So was möchte ich nicht mehr machen, es so konkret beschreiben, sondern eher wie ein Regisseur außen herum fahren. Und die Leute sollen dann selber kucken, was ihr perfekter Moment ist.

rap.de: Weil es zu schwierig wäre, das auf den Punkt zu bringen?

Tua: Nee, das ist voll einfach, aber auch voll plump, es auf den Punkt zu bringen. Und auch viel zu subjektiv. Ich finde es nicht so cool, jemand meinen perfekten Moment aufs Auge zu drücken. Denn mein perfekter Moment ist definitiv ein anderer als deiner. Jedermann unterscheidet sich da. Wenn man einen Song über den perfekten Moment macht, liegt es natürlich nahe, den zu beschreiben und zu sagen, hey, es war gestern, es war Sonne usw. Aber das ist für mich Kindergarten. Ich will so was offen lassen und nur sagen, es geht um den perfekten Moment, aber was das tatsächlich ist, müsst ihr selber fühlen.