Vasee über seine Pilgerreise

rap.de: Bis Venedig bist du gelaufen und von da ging es mit dem Schiff weiter. War das alles so vorher geplant?

Vasee: Festgelegt war, dass ich bis nach Venedig laufen wollte, das war mein Ziel. Was dann passiert, wusste ich nicht. Ich wusste, dass ich die Fähre nehmen werde, aber nicht, wo die Fähre in Griechenland anlegt. Da gibt es nämlich zwei oder drei Möglichkeiten. Ich dachte, ich mache es einfach mit meiner Geldbörse aus, letztendlich war es aber meine körperliche Verfassung. Ich hatte wie gesagt den betäubten Oberschenkel, das war schon zu anstrengend. Also bin ich halt auf die Fähre, ich hatte fast kein Geld mehr, gerade noch genug, um mir ein Ticket für die Fähre zu kaufen. Meine Karte war kaputt. Auf der Fähre hat sich dann die gesamte Besatzung um mich gekümmert, das waren Griechen, ich konnte mich also wieder frei verständigen, nach einem Monat. Das war richtig geil, zwei Tage auf der Fähre. Ich bin dann nach Athen, eigentlich deshalb, weil ich auch die Demonstrationen dort miterleben wollte. Aber da war nicht eine einzige.Die Stadt war komplett leer. Normalerweise fahren da extrem viele Taxis, als ich dort war, fuhr kein einziges, die haben alle gestreikt. Was den Vorteil hatte, dass du locker durch die Stadt kurven konntest und nicht, wie sonst, Stunden gebraucht hast. Ich war auch genau an den Plätzen, wo Sokrates abgehangen und unterrichtet hat. Das war so ein bisschen mein Pilgerding.

rap.de: Du meintest gerade, dein Geld war dann alle. Wie hast du dich durchgeschlagen?

Vasee: Ich habe niemanden angeschnorrt. Die ersten drei Tage hat mich ein Bruder von meinem Kumpel beherbergt, dem habe ich gleich gesagt, pass auf, ich hab kein Geld, ich habe eine Karte, da sind vielleicht noch 30, 40 Euro drauf. Aber griechische Gastfreundschaft – der meinte gleich, Ey, Alter, mach dir gar keinen Kopf, die nächsten drei Tage gehen auf mich. Er hat mich fast jeden Abend zum Essen eingeladen. Danach habe ich gleich wieder jemanden getroffen, eine Griechin, die mal wegen mir in Reutlingen war, oder in Stuttgart, extra aus Athen, um mich live zu sehen. Und der hatte ich versprochen, wenn ich mal nach Athen komme, besuche ich dich. Die habe ich angerufen, wie gesagt, die hatte ich erst einmal gesehen, die hat mich dann beherbergt. Die meinte auch, Vasi, mach dir keinen Kopf, das kriegen wir alles hin. Danach bin ich dann nach Kreta, und dort habe ich meinen besten Freund getroffen, der dort ein Appartment hatte. Er hat mir angeboten, zu ihm zu kommen, wenn ich kein Geld habe, er sei vom 31. bis zum 13. dort. Dann bin ich zu ihm und wir haben zusammen Kreta auseinandergenommen. 

rap.de: Auseinandergenommen?

Vasee: Das heißt, wir haben seine Verwandten besucht. Gar nicht so auf touristisch. Nicht in Clubs oder so. Wir waren auch nicht an diesen Clubstränden. Dafür sind wir viel gelaufen, durch eine ganz besondere Schlucht zum Beispiel. Ich habe den Pilgermodus schon versucht beizubehalten. Mich weiter bewegen anstatt einfach am Strand zu chillen. Es war kein Urlaub. Ich war immer noch sehr befasst mit meiner Reise, war immer noch im Pilgermodus. Meine Beine haben gezittert, wenn ich nicht gelaufen bin. Ich musste es mir erstmal langsam abgewöhnen (lacht).

rap.de: Wie war der Moment, als du dein Ziel ereicht hast?

Vasee: Es gab für mich zwei entscheidende Momente während der Reise. Einmal am Reschenpass, wo nach zwei Wochen zum ersten Mal die Sonne gescheint hat, das hat mich so geöffnet. Da habe ich Heulkrämpfe bekommen, ich kann's nicht anders sagen. Vor Freude. Wow, Mann, ich bin in Italien, ich bin nach Italien gelaufen. Auf einmal wurde mir alles so klar. Ich war so voller Freude, das war ein so krasser Moment, der mich zwei Wochen lang begleitet hat. Die Jahre davor waren so viele schöne Momente gewesen, die ich aber gar nicht richtig fühlen konnte, weil ich immer in diesem Arbeitsprozess gesteckt habe. Das kam alles da hoch. Auf einmal wurde mir erst klar, boah Alter, was für eine geile Zeit mit Tua. Was für 'ne geile Zeit mit den Orsons. Zum ersten Mal konnte ich das so richtig fühlen. Gleichzeitig kamen auch die Tränen, weil ich gemerkt habe, ich bin daran völlig emotionslos vorbeigelaufen, auch deshalb habe ich geweint. Das Gefühl hat bis Venedig angehalten, da war ich dann frei davon. Das war ein richtig geiles Gefühl. Da liefen dann wieder Glückstränen, vor Befreiung und Erlösung.

rap.de: Die totale Erleichterung.

Vasee: Ja, genau. In Griechenland bin ich, nach Athen und Kreta, dann auf die nördlichste Insel des Landes. Samothraki heißt die. Da war ich auch noch mal drei oder vier Tage. Das ist eine ganz besondere Insel, da gibt es nur Wasserfälle, die sind auch im Video zu "Lauf" zu sehen. Und von da bin ich dann in das Dorf meiner Eltern, Ormenio  das ist das allernördlichste Dorf, im Dreiländereck Griechenland-Bulgarien-Türkei. Mein Bruder lebt seit drei Jahren in Griechenland, und der hatte ein Auto, das wieder zurück nach Deutschland musste. Ich hatte keine Kohle, ich hätte mir kein Flugticket leisten können. Mein Bruder meinte aber nur, geil, dann fährst du das. Ich zahl Bezin, ich zahl alles, denn das muss hier weg. War ein richtig geiler Roadtrip zurück.