Interview mit Casper über „XOXO“

Staiger: Aber du lässt bewusst offen, was genau du damit meinst.

Casper: Ja klar, ich will halt, dass man das auf sich beziehen kann. Viele nehmen ja gegebene Dinge einfach so hin, ob das Nachrichten oder irgendwelche Alltagssituationen mit den Eltern oder im Beruf sind. Entweder a) Och, das is ja total scheiße, was soll ich jetzt machen? Oh, ich sitz zuhause, häng einfach den ganzen Tag rum und finde mich damit ab.“ Oder b) Ich gehe auf die nächste Flatratesaufparty. Das ist ja momentan der Konsens, der auch durch Medien und durch den gesamten Alltag vermittelt wird. Selbst wenn alles scheiße ist, du kannst dich ja wahnsinnig bunt anziehen und saufen ist hier extrem billig. Tanz es weg! Alles an Musik ist auch einfach wahnsinnig glücklich zurzeit, es wird ja auch nur Musik als krass oder super akzeptiert, die cool zum Abgehen ist. Und dafür will ich einfach nicht stehen, ich will gegen den Strom schwimmen.

Marquart: Also doch mehr eine gefühlsmäßige denn eine politische Revolution?

Casper: Ja, genau! Von Politik hab ich auch viel zu wenig Ahnung. Also, so war’s auch nie gemeint. Man kann dieses sich-frei-Sprengen auf alles beziehen.

Staiger: Aber in dem Video gibt diese Situation, die Leute rennen aufeinander zu und man erwartet eine Lösung oder wenigstens einen Hinweis. Aber dann kommt das Datum von deiner Veröffentlichung. Vor der eigentlichen Aussage hast du dich gedrückt, stattdessen wird es quasi ein Werbeclip.

Casper: Es bricht ja absichtlich genau in dem Moment ab, weil’s ja eigentlich ein Trailer sein sollte. Godzilla kommt rein, bummbummbumm, und dann wird ein Datum eingeblendet. Aber die Fans haben den Link sofort gefunden, und so war halt sofort einer breiten Öffentlichkeit klar: Okay, das Album kommt. Womit der Trailer schon als offizielles Video angesehen wurde. Außerdem wollte ich es offen halten. Es kann sein, dass die jetzt den Block da sprengen, es kann sein, dass die wahnsinnig aufs Maul kriegen, es kann aber auch sein, dass die kurz voreinander anhalten und sich Blumen in die Hand drücken.

Staiger: Welche Alternative hättest du denn gewählt?

Casper: Ich bin ja für die Blumenvariante, natürlich. (lacht)

Staiger: Ich fänd’s ja super, wenn die sich einfach geküsst hätten.

Casper: Das wäre dann der K.I.Z.-Ansatz. In K.I.Z.-Videos küssen sich Männer ja neuerdings…

Staiger: Neuerdings? Das ist schon uralt.

Casper: Hast du das neue Video gesehen? „Fremdgehen„? Da wird auch wieder im großen Stil ein Mann geküssst.

Marquart: Gut zu wissen. Aber ist es nicht allgemein so, dass du es in deinen Texten bevorzugst, nicht so polarisierende, klare Aussagen zu machen, sondern das lieber ambivalent und mehrdeutig hältst?

Casper: Ja, das finde ich wichtig und gut. Ich fand immer Musik gut, die vage war. Wenn man sich alte Bands anguckt, Dackelblut, Oma Hans oder …But Alive, das sind Bands, die beschreiben sehr offen und vage, und das, was du dir daraus ziehst, ist das, was du dir selber dabei denkst. Natürlich schreiben die auf ein bestimmtes Thema, aber so abstrakt und kodiert, dass es alles sein kann. Und das fand ich immer gut.

Staiger: Es gibt keine konkrete Aussage dabei?

Casper: Nö, wenn du dir ein Turbostaat-Album anhörst, das kann alles sein. Aber natürlich gibt es Themen, über die du dich auch mit denen drüber unterhalten kannst. Aber ich find’s einfach dämlich  den Leuten alles so vorzukauen. Zum Beispiel „Michael X„. Da sagen viele: „Ich habe erst verstanden, dass es um einen toten Freund geht, als der Chorus kam“. Da meine ich so: „Ja, ist doch voll geil.“ Der Ansatz von jedem anderen Rapper wäre gewesen: „Du bist tot! Ich vermisse dich! Wir sind andauernd an deinem Grab! Du warst ein Krieger, Bruder! Wir sehen uns im Himmel wieder und feiern da!“. Das ist doch alles so vorgekaut, das es schon völlig emotionslos ist.