Samy Deluxe – SchwarzWeiss

Gerade erst hat mit Casper ein Vertreter, nein, DER Vertreter eines neuen künstlerischen Selbstverständnisses im deutschen Rap, die Spitze der Charts im Sturm genommen und gezeigt, dass die junge Garde nicht nur musikalisch neue Akzente setzt, sondern auch in der harten Logik des Merkantilen endlich bestehen kann. Und nur zwei Wochen nach diesem eindrucksvoll erbrachten Beweis veröffentlicht ein Vertreter der alten Garde, der gestandenen Deutschrap-Elite, sein neues Album. Samy Deluxe – der Mann ist nicht weniger als eine Legende. Noch vor Savas hat er deutschen Rap als erster tatsächlich hörbar gemacht, hat die sperrige, umständliche deutsche Sprache geschmeidig und elegant, ja, sogar lässig geschliffen, hat drei- und vierfache Reime etabliert und ganz nebenei das Eigenlob von seinem sprichwörtlichen Gestank befreit. Ich zähle diese bekannten Tatsache nur auf, um zu verdeutlichen, womit wir es hier eigentlich verdammtnochmal zu tun haben: 14 Jahre deutsche Rap-Geschichte, von „Füchse“ bis „Poesie Album„.

Auf seinem letzten Album „Dis wo ich herkomm“ hatte sich der Hamburger Rapper neuen musikalischen Einflüssen (hauptsächlich Reggae und Soul) geöffnet. Sein neues Werk „SchwarzWeiss“ rudert in dieser Hinsicht zwar nicht direkt zurück, dennoch wird Rap wieder  deutlich größer geschrieben als auf dem Vorgänger, ohne sich jedoch musikalisch wilkürliche Grenzen zu setzen.

Eröffnet wird „SchwarzWeiss“ mit einem knapp zweiminütigen, rein instrumental gehaltenen Stück noch vor dem offziiellen Intro, das schlicht „Anfang“ betitelt ist und gut als Einmarschmusik für einen Gladiatorenkampf fungieren könnte. Dann erklingen schwere, wuchtige Trommeln, begleitet lediglich von einigen Scratches und daruntergeschraubten Urwaldklängen. Die Show kann beginnen, die markante Stimme des Wickeda MCs begrüßt den Zuhörer mit einem sägenden „Hör ma bitte zu, Mann„. Mit einigen flott hingeworfenen Zeilen läuft Sam sich erstmal warm „Ich bring die Scheiße so frisch als ob ich auf Klo sitz„, um im nächsten Atemzug jede negative Kritik gleich vorbeugend abzubügeln „Kuck, wie ich mit deiner Plattenkritik den Po wisch“ – zumindest mit dieser Plattenkritik hier dürfte das allerdings schwierig werden. Auch den etwaigen Vorwurf der Inhaltlsleere (dazu später mehr) nimmt Samy selbstironisch vorweg „Hab nichts zu erzählen/ aber check mal diese Pose„.

Es folgt mit dem bereits vorab veröffentlichten „Poesie Album“ ein knapp vierminütiges Style-Manifest, in dem der Protagonist nicht nur einmal mehr seine technischen Fertigkeiten unter Beweis stellt, sondern auch wie nebenbei ein paar bekannte Tatsachen treffend auf den Punkt bringt, zum Beispiel, dass in Deutschland „Reggae-Lieder leider immer wie Schlager kling‚“. In der dritten Strophe bringt Sam einige Wortspiele rund um das Themegebiet „Deutsche Dichter und Denker“ zum Vortrag, die sich sehen lassen können.
Ego“ wiederum ist eine mehr oder minder tiefgehende Betrachtung der inneren Widersprüchlichkeit des Menschen „Hör ich lieber auf mein Ego/ oder doch auf meine Seele/ ich hör Stimmen in mir reden/ so als ob ich schizophren bin“ – gut, neu ist das Thema nicht gerade, aber doch ziemlich stringent und der dezent rockige Beats überzeugt auch.

Eines Tages“ verfolgt inhaltlich ein ähnliches Thema („Eines Tages/ wird mein Traum zur Wirklichkeit/ und ich bin endlich mit mir selbst im Reinen„), geht musikalisch aber in eine ganz andere Richtung. Im Stile eines Max Herre croont Sam sich durch drei Strophen. Drum singe, wem Gesang gegeben, und singen kann er, der Sam.
Richtig schlimm wird es dann aber bei „Wer wird Millionär?„, das zwar dick elektronisch produziert ist, aber textlich leider versagt. Ein weiteres Mal scheitert Samy an dem Versuch, substantielle Sozialkritik anzubringen. Zeilen wie „Die Menschen hams schwer/ die Welt ist nicht fair“ sind einfach zu ausgelutscht, als dass sie einem mehr als ein müdes Gähnen entringen könnten. Mit hanebüchenen Aussagen wie „Wie kann man das Gerechtigkeit nennen?/ 10 Prozent geht’s gut und dem Rest geht es schlecht“ übertrifft Samy sogar die Linkspartei in Sachen falscher Sozialromantik und billigem Populismus. „Die Leute in der Hochhaussiedlung wollen auch nen Benz/ doch können ihn sich nicht leisten und fühlen sich ausgegrenzt“ – Luxuskarossen für alle also? Interessanter Vorschlag. Entschuldigung, aber das ist Quatsch.

Dann doch lieber der Storyteller „Straßen Musik„, bei dem sich Sam zu bluesigen Klängen in die Sichtweise eines Obdachlosen hineindenkt bzw. -rappt. Da gewinnt der Satz „Das Leben auf der Straße ist hart“ eine ganz neue Bedeutung. „Zurück zu wir“ fährt dann Breitwandsoul in der Tradition von Marvin Gaye sowie einen ausgeschlafenen Max Herre (dem einzigen Featuregast auf dem Album) an der Hook auf und zeigt, dass Samy doch auch Inhalt kann. Atemlos und verknappt haut er hier seine kritischen Anmerkungen raus „Kein Punkrock mehr, alles Ballade/ Klingt schön, aber schade/ Mainstream, Subkultur’n/ formatgerechter Einheitsbrei/ ich hab‘ keine Zeit für den gleichen Scheiß/ gib mir was neues, zeig mir jemand‘, der sich etwas traut“. Auch „Keine Wahre Geschichte“ erzählt in klaren Bildern eine einfach gestrickte, aber umso eindringlichere Geschichte über Gewalt, Perspektivlosigkeit und den einzigen Ausweg Musik. Ein wenig naiv, aber sehr schön.

Und gerade, als man langsam das Gefühl bekommt, es wird alles ein bisschen zu melancholisch, legt Mr. Deluxe den Schalter wieder um, dreht den Swag auf und haut dem verdutzten Hörer das herrlich primitive, ignorante und überhebliche „Rapgenie“ auf einem simplen, bouncenden Südstaaten-Beat inklusive Falsch-Verbunden-Signal um die Ohren: „Und meine Beats sind wie Foxy Brown – jetzt doppelt so dick„. Hehehe.
Allein“ schlägt ungewohnt persönliche Töne an und beschreibt den Rapper als notorischen Einzelkämpfer, das Instrumental ist passenderweise wieder sehr soulig ausgefallen. Noch ein Stück weiter lässt Sam die tiefsitzenden Hosen dann bei „Vater im Himmel“ runter, das sich mit dem Tod seines Papas sowie seinem glücklicherweise quicklebendigem Sohn  beschäftigt. Kurz vor Schluss verortet sich Samy dann im Titeltrack zwischen den Kulturen, aus denen er stammt (Mutter deutsch, Vater Sudanese) und zieht das gut sozialdemokratische Fazit: „Gegensätze ziehen sich an„. Damit liegt man nie falsch.

Abgesehen von den besagten inhaltlichen Schwächen (alle Texte findet ihr zum Nachlesen übrigens hier) präsentiert „SchwarzWeiss“ also einen Samy Deluxe, der, wenn schon nicht mit sich im Reinen, so doch recht nah bei sich ist und seine bekannten lyrischen Stärken gekonnt ausspielt. Ob man den aufreizend lässigen, manchmal nuscheligen Rapstyle des Hamburgers nun feiert oder nicht – die satten, ausgefeilten Produktionen sind im Grunde unhatebar.
So langsam setzt sich eben auch im deutschen Rap  wieder die Erkenntnis durch, dass Beats nicht nur vernachlässigbare Begleitmusik, sondern durchaus musikalischer Selbstzweck sind. Und das nicht nur bei der neuen Generation, sondern auch bei den alten Hasen – siehe das letzte Album von Bushido oder eben auch „SchwarzWeiss„.