Hamburg ist das neue Berlin
Nate57, Telly Tellz, BOZ, Bonez MC, Sa4, Achtvier, Gzuz und und und. Eine wahre Armada junger, hungriger Rapper aus dem Norden, fiel in diesem Jahr über Rapdeutschland her. Wofür in der vergangenen Dekade vor allem Berlin bekannt war, nämlich authentischen Rap von der Straße mit Migrationshintergrund, kam in diesem Jahr vor allem aus Hamburg. Wild und zumeist aggressiv verkauften sich die Nordlichter auf Alben und Mixtapes wie “Stress Aufm Kiez“ oder “187 Strassenbande“ und laufen der gewaltbereiten Hauptstadt somit immer mehr den Rang ab.
Berlin scheint da gerade nicht wirklich gegen halten zu können und so kam nichts wirklich Relevantes, um die Straßenrap-Krone weiterhin für sich beanspruchen zu dürfen. Der dreckigste Platz Deutschlands in diesem Jahr, so scheint es, ist nicht mehr das Kotti in Kreuzberg, sondern die “Waffenfrei Zone“ auf St. Pauli.
Integrationsdebatte und Rap
Okay. Die große Talkshow mit Thilo Sarrazin trifft Massiv und Haftbefehl haben wir bislang auch noch nicht hinbekommen, aber zumindest war das Thema doch immer wieder Gegenstand der Interviews, die wir in diesem Jahr geführt haben.
Da ein Großteil der Hip Hop Aktiven ja dann doch aus der, von Herrn Sarrazin so geschmähten, Gesellschaftsschicht mit Migrationshintergrund stammt, lag dieses Thema des öfteren auf der Hand und spielte in fast allen Gesprächen eine Rolle.
Ärgerlich ist lediglich, dass die Diskussion zuweilen stark aus dem Ruder läuft und in den Weiten des Internets einfach verpufft.
An dieser Stelle wollen wir aber auch noch mal darauf hinweisen, dass Hip Hop mal so als pseudo-hippieskes Ding angefangen hat, wo es niemals darum ging, woher und aus welchem Land du kommst, sondern darum, was Du kannst.
Das klingt jetzt alles vielleicht ein bisschen soft und nicht ganz so hart, wie sich das die meisten wünschen, aber das sollte man sich bei Gelegenheit dann doch noch mal durch den Kopf gehen lassen.
Auch die Diskussion im eigenen Lager ist durchaus mal eine Betrachtung wert und so geriet Harris mit seinem Song "Nur ein Augenblick“ ganz gut zwischen die Fronten und bekam dann auch den einen oder anderen Gegenwind zu spüren. Vielleicht waren es aber auch eher die Medien, die den Song zum Problem machten, denn bei sämtlichen Reportagen, waren dann doch auch immer nur dieselben paar Zeilen a la "Wenns dir hier nicht gefällt, kannst du nach hause gehen“ zu hören. Hier besteht auf jeden Fall noch Gesprächsbedarf.
Auf jeden Fall rechnen wir auch im nächsten Jahr noch mit Deiner Anwesenheit, liebe Integratiosndesbatte und das nächste mal, wenn wir Familienministerin Kristina Schröder bei der Einweihung eines O2 gesponsorten Workshop-Projekts treffen, bei dem hauptsächlich Menschen mit Migrationshintergrund mitmachen, dann müssen wir sie auf jeden Fall fragen, ob sie die Worte "Multikulti ist gescheitert“ von Frau Merkel, unterstützen oder bestreiten würde?
Die Printmedien – Umstrukturierung oder Krise
Webseiten, Zeitschriften, TV-Berichte und Radiosendungen. Wie kaum eine Generation zuvor, sehen wir uns heutzutage einer Vielzahl von Informationsquellen ausgesetzt. Doch welchem Medium sollte sich ein Fan der deutschen Rap-Szene annehmen?
Das Internet ist ideal, um sich auf schnellem Wege über den aktuellen Stand innerhalb der Szene zu informieren. Einen Suchbegriff eingeben, mit einem Klick bestätigen und Sekunden später werden die gewünschten Informationen auf dem Bildschirm dargestellt (mal abgesehen davon, wenn sich jemand mit einem 56k Modem herumschlagen muss). Auf der Suche nach Informationen regiert im Internet oftmals die Schnelllebigkeit. Durch eine unglaubliche Fülle an Informationen löschen User bestimmte Mitteilungen schon nach kürzester Zeit aus ihrem Gedächtnis.
Da haben es die Printmedien natürlich schwer und altgediente Weggefährten wie die JUICE und die Backspin müssen offensichtlich neue Wege beschreiten. Zwar konnte die Backspin nach ihrem Verschwinden im Jahr 2009, in diesem Jahr verkünden, dass das Magazin wieder regelmäßig erscheinen wird, aber an die alte Größe hat das Heft aus Hamburg noch nicht angeschlossen.
Auch die JUICE musste umdenken und verkündete im Herbst 2010, dass man erstens nach Berlin umziehen würde und zweitens in Zukunft nur noch 2-monatig erscheint. Das ist im Zeitalter des oben beschriebenen schnelleren Informationsflusses durch das Internet nachvollziehbar und eröffnet hier durchaus die Chance, nachhaltig und mit einer gewissen Distanz aktuelle Strömungen und Themen zu kommentieren und zu bewerten.
Damit gewisse Sachen dann doch noch ein bisschen länger im Kopf bleiben, als bis zum nächsten Klick auf das nächste unwichtige Internetthema.
JUICE Umfrage „Wer ist der beste…“
Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der beste im ganzen Land? In diesem Jahr veranstalteten die Kollegen der JUICE zweimal einen "JUICE Poll“ und befragten zu diesem Zweck eine Jury von 100 Experten, wer denn der "beste Rapper“ und der "beste Produzent“ in und aus Deutschland sei.
Die Ergebnisse wurden dann auch relativ kontrovers aufgenommen, was aber zumindest die gewählten besten Rapper nicht daran hinderte, permanent darauf hinzuweisen, dass man ja zum besten Rapper gewählt worden und deshalb nun auch der beste Rapper sei.
Über Sinn und Unsinn solcher Abstimmungen kann man getrost streiten, Fakt ist, dass es die Menschen zu interessieren scheint und dass es ein Supergesprächsstoff für lange Streitabende unter Hip Hop Heads war. Außerdem haben wir, zumindest was die Produzenten anbetrifft, durchaus ein paar Künstler unter den ersten 10 gefunden, von denen wir zuvor noch nie, nie, nie etwas gehört hatten. Insofern hat sich die Aktion schon alleine deshalb gelohnt und das finden wir gut.