Interview mit Verrückte Hunde: „Wenn der Mensch Macht hat, wird er ekelhaft.“

Kommen wir zu dem Track „Schaukelstuhl“. Thematisch geht es darin um die Probleme der Welt mit Hunger, Polizeigewalt usw. Darauf gibt es die Line: „Ich will nur meine Ruh‘, was soll ich schon alleine tun?“ „Könnte was dagegen tun, aber habe keine Lust.“ Bedeutet das, dass ihr euch mit diesen Problemen nicht beschäftigen wollt?

Scu: Damit bist du gemeint! Wir alle sind damit gemeint. Wir schocken mit solch einem Song gerne. Weißt du, der Mensch ist eine Bitch, weil er etwas dagegen tun könnte, aber nichts dagegen tut. Wir alle können uns davon nicht ausnehmen. So ist der Song gemeint. Eigentlich sollte man darüber gar nicht so viel erzählen, damit noch Interpretationsspielraum bleibt. Aber genau so ist es gemeint: Der eine tut mehr dagegen der andere tut weniger dagegen. Aber die Ausrede ist immer die gleiche: „Was soll ich schon dagegen machen?“ Nach dem Motto: „Komm, lass uns mal lieber ein Bier trinken gehen.“ . Natürlich ist es dann so: Es ist ein geiler Song und trotzdem ist er von den Klick-Zahlen nicht so weit nach oben geschossen. Weißt du, es will einfach keiner hören, dass er ein Wichser ist. Aber der Mensch ist eigentlich in der Masse ein Wichser. Das ist zumindest meine Meinung. Ich kann mich da selbst auch nicht herausnehmen.

Wie geht ihr persönlich mit solchen Problematiken um?

Scu: Fernseher aus. Man kann es einfach nicht mehr sehen. Diese ganze Korruption usw.. Wir kennen nur die Spitze des Eisberges. Ich bin kein Verschwörungstheoretiker.  Ganz und gar nicht. Aber, wir wissen ja alle, was abgeht. Was hinter den Kulissen gespielt wird. Da passieren viele Dinge, die wir über die Medien gar nicht so mitbekommen.

Wenn der Mensch Macht hat, wird der Mensch ekelhaft. Es entstehen Hierarchien. Oben befinden sich viele Menschen mit ganz viel Kapital, unten viele Menschen mit ganz wenig Kapital. Mehr muss ich dazu nicht sagen.

Je älter ich werde, desto trauriger macht mich das. Deshalb habe ich auch den Song „Abstellgleis“ geschrieben. In diesem Song rappe ich aus der Sicht eines S-Bahn-Sitzes. Ich erzähle dabei die Geschichte eines Obdachlosen, der sich kurz auf mir aufwärmt, bis der Kontrolleur kommt. Die Idee zu diesem Song habe ich insgesamt acht Jahre mit mir herumgetragen. Aber ich habe mir meine Zeit genommen, um es so umzusetzen, damit es nicht peinlich klingt.

Auf diese Bedeutung des Songs wäre ich im ersten Moment gar nicht gekommen.

Scu: Ja, das ist ja auch unser Style. Wir schreiben gerne Songs, in denen auch zwischen den Zeilen lyrisch einiges steckt. „Lass sie gehen“ ist da ein Beispiel. Einer unserer Hits, bei dem Live immer jedes Wort mitgesungen wird. Das ist auch kein Liebeslied. Da sprechen wir zur Vergangenheit und alle sagen: „Boah, das ist ein geiles Liebeslied!“ Es ist kein Liebeslied. Es ist nur zur Vergangenheit gesprochen, wie zu einer Frau. Wenn wir einen deepen Song machen, dann auch genau mit diesem Anspruch. Dass Interpretationsspielraum bleibt.

Bei „Long Ago“ spannt ihr einen Bogen zwischen den aktuellen Geschehnissen rund um die Flüchtlingskrise, Fremdenhass und den Ereignissen des 2. Weltkriegs. Dabei warnt ihr, dass es „nur eine Frage der Zeit“ sei, „bis es wie damals abgeht.“ Befürchtet ihr also, dass ähnliche schlimme Verhältnisse wie während des dritten Reichs entstehen könnten?

Scu: Nein, das nicht. Das wird in der heutigen Zeit kaum möglich sein. Aber wenn man ein paar Sachen auf die Spitze treibt, dann wird einem eher zugehört. Wenn du es nicht überspitzt darstellst, dann wirkt es auf die Leute lapidar. Jedoch sind wir von der Ausgangslage schon ein bisschen da, wo wir in den 1920er Jahren waren. Die Armut ist zwar nicht ganz so groß wie damals.

Aber die AfD hat ja um die 15 % bekommen, oder? Das ist schon krass, was für ein Wandel in der Gesellschaft und den Köpfen abgeht.

Ich habe mir mal vorgenommen, dass ich solche Songs nicht schreiben werde, weil ich nich mit politischem Halbwissen um mich werfen will. Dann habe ich aber diesen Beat gemacht und dazu ist mir diese Idee gekommen, dass man dieses aktuelle Thema mit Bildern aus dem dritten Reich verknüpfen kann.

Wenn ich die ganzen Aufmärsche sehe, nicht nur von dummen Menschen, sondern auch von Menschen mit Bildung. Das ist ganz gefährlich. Das vermischt sich alles immer mehr. Heute siehst du auf rechten Demos nicht mehr nur Glatzen. Das hat sich alles gewandelt. Wer weiß, was passiert? Ich hoffe es passiert nichts. Ich denke auch nicht, dass etwas passiert.

Habt ihr sonst noch etwas, das ihr zum Schluss dem Leser mitgeben wollt?

Da Kid: Hört das Album vom Anfang bis zum Ende. Ich ertappe mich ja selber dabei, wie ich mich durch Ami-Playlisten klicke und nur noch die Singles höre. Dabei geht jedoch das ganze Feeling verloren.

Scu: Unser Album erzählt eine Geschichte – auch vom Sound her. Wenn du es durchhörst, dann sind immer wieder Überraschungseffekte enthalten. Du kannst an keiner Stelle sagen: „Ah, OK. So sind die Typen drauf.“ Plötzlich kommt so ein nachdenklicher Song wie „Schaukelstuhl“ um die Ecke oder ein Song der live alles abreißt wie „Mein Partner mit der kalten Schnauze“. Diese Mischung ist uns wichtig. Die Leute sollen sich mal wieder ein Album in Ruhe anhören, auf dem geilen Raps, Cuts mit super freshen Beats zu finden sind.

Vh (Ltd. Fanbox)
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