Hip Hop Never Dies!

Gut abgehakt. Ein weiteres Jahr ist um und man kann jetzt nicht behaupten, dass es besonders scheiße war. Gut war es aber eben auch nicht und so bleibt ein etwas schaler Geschmack im Mund, wenn man sich die abgelaufenen 365 Tage auf der Zunge zergehen lässt. Große künstlerische Utopien gab es keine (bis auf Kanye West vielleicht), waren aber vielleicht auch nicht zu erwarten. Diese und jene Musiker machen zwar ganz spannende Sachen, aber der neue Trend, die neue Bewegung, die uns allen mal wieder so richtig den Kopf wegpustet, darauf warten wir dann doch noch. Insofern leisten wir hier tatsächlich nur so etwas wie eine Bestandsaufnahme und rechnen ab. Die Lebenden und die Toten und von denen gab es im letzten Jahr eine ganze Menge. 

Guru ist tot

Eine der schockierendsten Todesmeldungen und eines der krassesten Ereignisse für Hip Hop im Jahr 2010 war mit Sicherheit das Ableben von Gang Starr Urgestein und Jazzmatazz Gründer Guru. Nach einer lange Zeit geheimgehaltenen Krebserkrankung verstarb Keith Elam am 19.04.2010 im Alter von nur 48 Jahren – das Ende einer Ära.

So bestürzend der Tod der Raplegende war, die nach seinem Ableben einsetzende Schlammschlacht war für viele noch schockierender. Dass man nämlich so wenig über die genauen Umstände von Gurus Krankheit und seinen Gesundheitszustand erfahren hat, lag zu einem Großteil an der restriktiven Informationspolitik seines Geschäftspartners und besten Freundes Solar.
Die Wahrheiten und Gerüchte, die in den Folgemonaten auftauchten, warfen ein beklemmendes Licht auf das Verhältnis und die Freundschaft der beiden Musiker. So sprach als erste Tasha Denham, eine Exfreundin von Solar, die mit diesem sogar ein Kind hat, über die Freundschaft der beiden Männer, die wohl eher einem gewalttätigen Abhängigkeitsverhältnis glich. So habe Solar den Rapper konsequent von der Außenwelt und auch von dessen eigener Familie abgeschirmt, sein Handy überwacht und die Kontakte zu anderen Rappern limitiert. Solar habe Guru psychisch unter Druck gesetzt, ihn gedemütigt und der Trompeter Brownman, aus dem Jazzmatazz-Projekt sprach sogar von körperlicher Gewalt. So sei er Zeuge geworden wie Solar den legendären Rapper geschlagen habe, ohne dass sich dieser zur Wehr gesetzt habe.
Aufgebrachte Guru Fans gründeten daraufhin die Seite fucksolar.com und hackten sich in den myspace und twitter Account des Managers ein, wo neben Schmähreden auf Solar auch diverse interne e-mails und Abrechnungen des Labels 7 Grand Records, das von Solar geleitet wird, veröffentlicht wurden. Diese internen Dokumente legen den Schluss nahe, dass auch die Geschäftspraktiken von Solar äußerst suspekt und undurchsichtig sind und dass auch der Verdacht der Untreue im Raum steht.

Im letzten öffentlichen Interview, das Solar am 01.05. der britischen Hip Hop Seite conspiracyworldwide gab, bestritt der Manager und Produzent noch alle Vorwürfe, doch tauchte er kurze Zeit darauf ab und meidet bis heute offensichtlich das Licht der Öffentlichkeit.

Die Realness im Game: Echte Gangster machen Musik

Rapper und Verbrecher, zwei Berufsgruppen, die sich auch in Deutschland einer interdisziplinären Zusammenarbeit erfreuen. Zum einen natürlich aus dem Grund, weil die Berufsganoven den Geschichtenerzählern erst mal das nötige Material liefern und zweitens weil die Stars wiederum für das nötige Rampenlicht sorgen, in dem man sich als Unterweltkönig sonnen darf, auch wenn man ansonsten das Licht der Öffentlichkeit meidet.

Es ist ja auch durchaus faszinierend zu spekulieren, welche arabische Großfamilie jetzt hinter welchem Rapper steht und wer wen aus diesem Grund dissen oder nicht dissen darf.
Für Außenstehende dürfte das Ganze so undurchschaubar sein, wie für die Deutschen Asylbehörden in den 80er Jahren, als Dutzende Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Libanon mit Asylsuchenden aus der Türkei verwechselt wurden, nur weil diese denselben Nachnamen tragen. Spannend bleibt es trotzdem und wird uns wahrscheinlich auch im Jahr 2011 noch ein bisschen begleiten.
Noch spannender allerdings ist, wenn sich Rapper nicht nur mit sogenannten Halb- oder Unterweltgrößen umgeben, sondern selbst solche sind. Bero Bass aus Köln steht zum Beispiel in diesem Ruf, auch wenn die Tat sowie die dazugehörige Strafe sich eher wie die Folgen einer rein privaten Auseinandersetzung anhören. Zwei Jahre Haft auf Bewährung, lautete das Urteil im November für den Rapper aus Köln und zumindest das Interesse der Medien war groß.

Noch größer allerdings ist das Interesse der Bürgerlichen und auch das unsere im Fall Xatar. Dieser muss sich seit September vor dem Stuttgarter Landgericht verantworten, weil ihm vorgeworfen wird, im Dezember letzten Jahres einen Goldtransporter überfallen und Gold im Wert von 1,5 Millionen Euro gestohlen zu haben. Die anschließende Flucht über Moskau in den Nordirak, wo der Rapper von Deutschen Zielfahndern gefunden und verhaftet wurde, liefert Stoff für Legenden. Das ist dann zwar so, wie wenn "keep it real“ ein bisschen aus dem Ruder läuft, aber real ist es auf jeden Fall.
Bleibt nur zu hoffen, dass es die anderen deutschen Sprechsänger bei weniger Authentizität belassen. Wir wollen ja nicht unbedingt lesen, dass die Orsens bei illegalen Computergeschäften erwischt wurden oder Kollegah wirklich in Kokaingeschäfte verstrickt ist. Wer würde uns dann unterhalten? 

Was zum Teufel haben Motorradclubs im Hip Hop zu suchen?

Zu den ärgerlichsten Momenten im Hip Hop Game 2010 gehörte mit Sicherheit das Auftauchen diverser Motorradgangs auf Konzerten, Festivals oder auch in Videos. Ganz schlüssig ist das Konzept noch nicht und man fragt sich, was Rocker mit Rappern zu tun haben sollen? Anscheinend aber bieten die Clubs jedem eine Heimstatt an, der aufgrund seiner Herkunft und Geburt keinen Zugang zu oben beschriebenen Großfamilien hat und sich trotzdem nach der Geborgenheit einer großen Gruppe sehnt.
Das ist in Zeiten der gesellschaftlichen Endsolidarisierung, wie sie in der kapitalistischen Welt stattfindet durchaus verständlich. "Wenn die Gesellschaft nicht für uns sorgt, dann bauen wir unsere eigene“ – schon klar.
Auf der anderen Seite ist die Unterwerfung unter quasimilitärische Hierarchien mit Rangabzeichen und Dienerschaft auch ein bisschen armselig und würdelos.

Unser Vorschlag deshalb: Es gibt eine Crew, mit massig Macht und Einfluss. Wenn die durch die Stadt fährt, dann steht der Verkehr still, aber mal so richtig. Wenn die in die Disko kommen, dann geht erst mal die Musik aus und jeder steht stramm. Auch die haben Motorräder und die fahren sogar damit. Die zahlen ihren Leuten darüber hinaus jeden Monat Gehalt und das auch nicht wenig, Krankenkasse und Altersvorsorge inklusive. Die haben sogar Kutten, auf denen hinten der Crewname drauf steht: "Polizei“.
Gibt’s in jeder Stadt und die geben richtig Gas. Anscheinend suchen die auch immer Leute. Das wär doch was, oder?