Majoe steckt noch ein paar 20-Kilo-Gewichte auf die Langhantelstange, stemmt das Ding ein paar Mal mit spielerischer Leichtigkeit über die Brust und wuchtet die Hantel schließlich zurück auf die dafür vorgesehenen Halterungen, die unter dem Gewicht ächzen. Er schlendert hinüber zu seinem Mentor Farid Bang, der wenige Geräte weiter an seinem vielgepriesenen Stiernacken arbeitet und gelegentlich verstohlen zum Beintrainer herüberschielt. Die beiden versinken gerade in ein Pläuschchen über Nahrungsergänzungsmittel, als ein schmaler, geschmackvoll gekleideter Typ mittleren Alters das Studio betritt – der ist nicht zum Pumpen hier, das sieht man auf den ersten Blick.
Zielstrebig steuert er das muskulöse Duo an. „Ich wusste, dass ich sie hier antreffen würde„. Ein Grinsen entblößt seine weißen Zähne. „Herr Mayjuran Ragunathan“ beginnt er wichtigtuerisch zu referieren und wendet sich Majoe zu. „Ich möchte Ihnen ein Angebot unterbreiten: Sie haben die Möglichkeit, am ultimativen Rapper-Fünfkampf teilzunehmen. Heißt: Sie fertigen ein Album an, das fünf Songkonzepte und Styles unter einen Hut bringt. Punchline-Representer, Liebeslieder, persönliche Songs, etwas Lustiges und tiefsinnige Storyteller. Wir suchen den kompletten MC, der all das kann. Sollten Sie es schaffen, die Konditionen zu unserer Zufriedenheit zu erfüllen, winkt ihnen und ihren Kollegen eine Zusammenarbeit mit Super-Mega-Ultra-Universal Music.“
Ohne zu zögern wird die Teilnahme per Unterschrift besiegelt. Majoe ist guter Dinge, als er mit Farid ins Studio fährt.
„… und dann ein Song darüber, dass ich es von der Straße in die Charts geschafft habe, dann noch einen in dem ich über meine Muskeln rappe und einen, in dem ich eine traurige Geschichte über eine Mutter und ihr Kind erzähle…“ „Majoe!“ unterbricht das Banger-Oberhaupt seinen Protegé streng. „Schalt‘ mal ’nen Gang runter, wir machen das schon“ . Wenige Stunden später versammelt sich das gesamte Banger Musik-Team und brütet über einem Schlachtplan. „Also ich kümmere mich darum, dass ‚Fallschirm‘ richtig tiefsinnig wird!“ verkündet KC Rebell. „Vielleicht kriegen wir Tim Bendzko an Bord. Oder zumindest Phillippe Heithier. Das wird richtig deep, mit Metaphern und so!“
Der Plan geht auf: Heithiers Kastraten-Hook gibt dem Song einen herrlich schmalzigen Anstrich, Majoe wirft in rauer, kratziger Stimmlage mit motivierenden Bonmots der Marke „Ein Meer voller Tränen / und dich hindert die Furcht / Wirf deine Ängste von Bord / und wir schwimmen hindurch / Überleg‘ nicht und tu’s / Ob du es schaffst oder fällst“ um sich. Das garantiert einen fetten Kloß im Hals – tiefsinniger Song Nummer eins – check.
Auch die Idee, die Majoe im Auto hatte, wird umgesetzt. Eine Mutter und ihr Sohn. Das hat Potential, aber es fehl an Salz in der Suppe. „Fang erstmal an“ kommandiert Farid “ Uns rennt die Zeit davon, uns fällt schon noch was ein“ . Okay, Storytelling-Skills ausgepackt: Eine einsame, arme Frau gebärt einen Sohn. Sie arbeitet übertrieben viel, um ihrem Sohn Markenklamotten kaufen zu können. Der Sohn ist undankbar – „Er zog aus und nahm alle seine Sachen mit / Seine letzten Worte: Mama, ich hasse dich!“ Im dritten Part muss aber noch ein Plottwist rein. Dann – der Geistesblitz! Die Mutter stirbt einfach plötzlich, ihr Sohn kreuzte aber nie wieder auf. Das hat Moral, deswegen wird der Song auf kurzerhand „Nichts bleibt ewig“ getauft. Das ist intensiv – Gänsehautgarantie – muss ein Bonustrack werden.
Doch Majoe kann auch anders: „Passt auf, dieser Salat-Kram und dieses HipHop-Teil mit Toni haben doch super funktioniert. Diese Selbstironie mögen die Kids irgendwie. Wir brauchen wieder sowas!“ Farid blickt erwartungsvoll in die Runde. „Na dann machen wir erstmal wieder Witze über HipHop, das wird nicht alt. KC, bist du dabei?“ Der eher unspektakuläre Song „Hip Hop“ wird den Anforderungen aber doch nicht gerecht. Da muss doch noch mehr gehen, viele Kids sind schließlich nicht so empfänglich und brauchen es brachialer, eindeutiger, krasser. „Die Leute nennen dich doch ‚der tamilische Affe‘“ wirft Summer Cem in den Raum. „Wie wär’s damit?“ . „Tun sie?“ Majoe schaut etwas beleidigt drein und zückt sein Smartphone. Seine verdießliche Miene hellt sich abrupt auf: „Ich wurde zurückgehalten damals!“ jubelt er. Schnell schustert Banger-Produzent Juh-Dee einen aufdringlichen, synthetischen Club-Beat zusammen, der auch als David Guetta-Parodie durchgeht. Hook zum Mitgrölen, ein paar spaßige Anekdoten, in denen Majoe etwa seinem Lehrer erklärt, er wurde vom Hausaufgaben machen zurückgehalten damals – fertig! Ein entwaffnend lustiger Clubhit. Sympathisch.
Zufrieden grinsend verlässt Majoe die Booth. „Gut ,Alter, mittlerweile triffst du echt stabil den Takt“ lobt Farid, womit er Majoe ein noch breiteres Grinsen auf die Lippen zaubert. Motiviert positioniert Majoe sich wieder vorm Mikrofon, um die Liebeslieder einzurappen. Mit „Die ich immer haben wollte“ entsteht ein lockeres Loblied auf eine sportliche, fitte Frau, die Majoe offenbar alles bedeutet. Aber Achtung: Doppelter Boden! Wer hätte das gedacht? Es geht gar nicht um eine Frau, sondern – nicht um Gras, nicht um die Musik – um Majoes Hantel. „Haha das wird so witzig, wenn die Leute das Lied hören und denken ‚voll schwul‘ und dann is‘ plötzlich gar nich‘ für ne Frau“ lacht der stolze Hantelbesitzer schadenfroh. „Ist gut, Bruder – jetzt kommt aber ‚Jedes deiner Worte‘.“ „Ach stimmt, gibt ja noch ein richtiges Liebeslied. Wenn man große Muskeln hat is‘ das aber nich unmännlich, wa?“ „Nein, alles gut. Los jetzt! Haben extra nochmal Phillippe rangeholt“ . Die wahre Liebe schön und gut, ein ganz kleines bisschen schnulzig vielleicht, aber richtig persönlich wird es, wenn Majoe auf „Dreams“ sein spektakuläres Leben Revue passieren lässt.
Die Klassische vom-Tellerwäscher-zum-Millionär Geschichte. Genau die wird auch für „Bewegung“ nochmal ausgegraben. „Ich bin meinen Fans halt mega dankbar! Ich hätte mir all das hier nie erträumt“ gibt Majoe demütig zu Protokoll, während Summer Cem außer Atem hineinplatzt. „Können wir jetzt endlich mit den Battletracks anfangen?“ keucht er. Farid wirft einen prüfenden Blick auf die To-Do-Liste. „Ich glaube, ansonsten haben wir alles. Liebeslieder – Check, persönliche Songs – Check, etwas Lustiges – Check, tiefsinnige Storyteller – Check“ . Voller Vorfreude studiert das Trio die mitgebrachten Textblätter. „‚In deinem Rap ist der Wurm drin, wie in nem faulen Apfel‘ – hahaha richtig heftig!“ prustet Farid los. Die berühmt-berüchtigte Lache steckt direkt an – einige Minuten lang ertönt herzhaftes Lachen aus dem Tonstudio. „Die müssen wir ans Ende vom letzten Part packen und dann noch einen Beatbreak, damit die richtig zur Geltung kommt!“ Gesagt, getan.
Der bullige Tamile muss nun ersteinmal eine Fitness-Pause einschieben – denn eine Handvoll Muskel-Songs darf natürlich nicht fehlen. Doch Zweifel plagen den jungen Künstler „Ey Farid, wenn ich auf ‚Prototyp Banger 2‚ rappe ‚Es ist M-A der Banger, trotz meiner Homophobie / gleicht ein begehbarer Kleiderschrank einer Modeboutique“ ist das dann nicht ein bisschen komisch, wenn ich die ganze Zeit überall ausgezogen und eingeölt für Fotos posiere?‚“ – eine wichtige Frage, die der Chef aber mit einem unbekümmerten „Ach, der Song ist schon im Kasten, scheiß drauf. Die Kids merken das eh nicht“ beiseite wischt. Da hat auch Majoe kein Gegenargument, der nun wieder guter Dinge „Breiter als 2 Türsteher„, „Utopischer Körperbau“ und „Größter Bizeps weltweit“ einrappt. Eine Punchline jagt die nächste und der Körperbau als Leitmotiv ist ein super Alleinstellungsmerkmal – davon ist das ganze Label überzeugt, als man die Arbeiten präsentiert.
Die letzte Hürde jedoch scheint unüberwindbar. Ein griffiger Albumtitel muss her. Doch wie fasst man etwas zusammen, das so gar nicht zusamen passt? Traurige Storyteller neben testosteronschwangeren Muskel-Representern – irgendwie muss man das doch umschreiben können. Heureka! Triumphierend grinsend beugt Farid sich vor. „Wisst ihr was, Jungs? Wir nennen das Teil einfach ‚Breiter als 2 Türsteher‘, das ist doch voll witzig!“ Dass die Jungs das Projekt einfach nur vom Tisch haben wollen, scheint Majoe gar nicht aufzufallen. Er ist begeistert. Ein weiteres eingeöltes Nackt-Fotoshooting später steht auch das Cover – der Büffel, den Majoe auf seine breiten Schultern geladen hat, stellt eine Anspielung auf seinen Stiernacken dar. Gewitzt.
Die Aufregung steht Majoe ins Gesicht geschrieben und auch die Anspannung seiner Kollegen ist deutlich sichtbar, als dem ominösen Herrn aus dem Fitnessstudio die erste Pressung von „Breiter als 2 Türsteher“ überreicht wird. Mit befremdeter Miene mustert er das Cover, doch sein Tonfall spricht Bände. „Nun gut, sehr originell. Wollen wir mal reinhören in das gute Stück.“ Begeistert nicken die Banger zum Takt, als die ersten Töne erklingen. Der Gesichtsausdruck des Super-Mega-Ultra-Universal-Scouts verfinstert sich allerdings mit laufender Spieldauer immer mehr. „All das habe ich schon hunderte Male gehört! Wenn Sie diese Songkonzepte nicht brauchbar umsetzen können, dann nehmen Sie solche Aufgaben nicht an! Wir suchen Hits, keine Kopien von Kopien. Machen Sie mit diesem durchwachsenen, unstimmigen Machwerk, was Sie wollen, aber bleiben Sie mir damit bloß vom Leibe!“
Niedergeschlagen trottet die vierköpfige Truppe davon. Majoe murmelt zerknirscht „Du, Farid? Was meint er mit ‚durchwachsen und umstimmig‘?“ Farids unwirsche Antwort folgt sofort „Ach, was versteht der Hurensohn denn von Rap? Man kann doch niemanden, der einen Anzug trägt ein Rapalbum hören lassen! Wir bringen das über Banger Musik raus, ganz normal, mit unserer patentierten Promophase! Blogs, TV Strassensound, #Waslos, fertig. So kriegen wir dich sowieso wieder auf Platz 1“ . Und so geschah es dann auch.