Review: Rin – Kleinstadt

„Kleinstadt” ist das dritte Studioalbum von Rin. Nachdem 2017 sein Debütalbum „Eros” erschien und er mit „Bros” eine Kult-Hymne der feierwütigen 90er- und 2000er-Kids schuf, veröffentlichte der Bietigheim-Bissinger ein Jahr später das Mixtape „Planet Megatron”. Als er vor zwei Jahren seine letzte Platte „Nimmerland” releaste und es 2020 mit lediglich drei Single-Veröffentlichungen zunächst musikalisch ruhiger um den Division-Künstler wurde, ist er nun mit 18 Songs zurück. Getreu dem Motto ’neue Frisur – neues Album‘ scheint sich Rin zusammen mit seiner Haarfarbe und -länge auch auf diesem Longplayer wieder neu zu erfinden. Nach schwarzen Braids und feuerrotem Buzzcut ist er zwar mit einer schlichten Frisur zurück, tritt dafür aber mit einem abwechslungsreicheren Sound in den Vordergrund.

Internationale Einflüsse

Bei den meisten Tracks waren wieder die üblichen zwei Produzenten am Werk, mit denen Rin auch schon bei seinen vorherigen Projekten zusammengearbeitet hat – Alexis Troy und Minhtendo. Doch statt mit den sonst so gern genutzten Flöten-Beats auf Nummer sicher zu gehen, übertrifft sich das eingespielte Team wieder einmal selbst. So überrascht der Rapper mit etwas mehr musikalischer Diversität und lässt Trap auf R&B, Rock oder Reggae treffen. Auch wenn der Titel „Kleinstadt” fälschlicherweise einen eher provinziellen Sound vermuten lässt, klingt der Longplayer nicht bloß nach Bietigheim-Bissingen. Im Gegenteil: die Verbindung zur Kleinstadt in Baden-Württemberg ist lediglich dezent erkennbar. Nur „Dirty South” klingt annähernd nach einer Hommage an die schwäbische Provinz, indem er das Subgenre des Hip-Hops aus den südlichen Staaten der USA auf den Süden Deutschlands überträgt und Adlibs wie „BBS” einbaut.

Doch Rin lässt sich nicht nur von den Vereinigten Staaten inspirieren – obwohl in seinen Tracks und sogar bei den Songtiteln keinesfalls an Anglizismen gespart wurde. In „1976” bringt er mit Zeilen wie „Die Gendarmerie weiß nicht, wo wir sind” und „Auch am Vendredi fahren wir durch die Nacht” französische Einflüsse hervor und vereint sie in der Bridge mit dem Reggae-Vibe des Dancehall-Künstlers Busy Signal. Aber dabei bleibt es nicht. Was man sonst eher von Rap-Kollegen wie Haftbefehl oder Summer Cem kennt, scheint nun auch Einzug in Rins Kosmos zu halten. Der Ex-Life-from-Earthler redet über Para, seine „Brüder sagen Wallah” und versieht Aussagen wie „Mashallah, du hast jetzt Prada entdeckt” mit einem ironischen Unterton.

Ganz wie er selbst wirkt Rin jedoch vor allem auf seinem ersten und letzten Track, denn auf „Yugo” und „Mrznja” bröckelt die Fassade des sonst eher sorglos auftretenden Rappers. Mit Lyrics wie „Niemand kann mich heute so hassen wie ich es grade selbst mach” oder „Die Umarmung meiner Mutter hilft mir gegen Panik” bringt er eine ungewohnt verletzliche Seite zum Vorschein. Dabei ist es sicherlich kein Zufall, dass sich diese beiden Lieder auf seine bosnischen und kroatischen Wurzeln beziehen. Indem er seine Selbstzweifel offenlegt und auch über seine Familie sowie Heimat spricht, spiegeln die Songs gewissermaßen seine Identität wider, die das Album wie eine Klammer umschließt.

Zwischen melancholischem Grunge, softem R&B und straightem Rap

Die Melancholie seiner Texte wird in den meisten Songs durch einen wehmütigen Grunge-Sound unterstrichen. Von einem Sample des Nirvana-Klassikers „Heart Shaped Box” auf „Meer” bis zu einer Akustikgitarren-Melodie auf „Rot” inklusive Zigaretten-Referenz (ein Muss auf jedem seiner Alben) – die Einflüsse der Rockmusik ziehen sich durch den Longplayer, sind aber nicht allein. Egal ob softer R&B, straighter Rap oder partytauglicher Dancehall: Rin bedient sich querbeet an diversen Musikgenres. Ob er damit Entscheidungsunfähigkeit oder doch Facettenreichtum demonstriert, sei dahingestellt.

Sicher ist jedoch, dass sich der Rapper bei der Auswahl seiner Feature-Gäste treu bleibt. Schon bei dem Track „Nimmerland” mit Bilderbuch wurde deutlich, dass er gut mit Bands harmoniert, die einen subtilen Indierock-Einschlag haben. Mit Giant Rooks auf „Insomnia” setzt er dieses Erfolgskonzept fort. Ansonsten bleiben die Features mit seinem Labelkollegen Schmyt auf zwei weiteren Songs wie immer überschaubar.

Auf den klassischeren Rap-Tracks dürfen natürlich seine ikonischen – teilweise auch absurden – Adlibs „Oh Junge”, „Okay” oder „Ey” nicht fehlen. Neben den Standard-Vokabeln sind auch die obligatorischen Wortwiederholungen oder zusammenhängenden Kommentare im Stil von „Bass” aus seinem Debütalbum „Eros” wiederzuerkennen. In typischer Rin-Manier flext er mit ungewöhnlichen Luxusgütern wie Massivholzdielen, seinem Silberbesteck oder einer Designer-Couch und stellt dabei allerdings mit den Aussagen „Laufe nicht auf dem Parkett ohne meinen Hausschuh” oder „Duftkerzen, die Bücher im Regal” nicht gerade den Inbegriff eines Statussymbol-Rappers dar. Doch das im Game gern genutzte Namedropping wird auch Rin wohl nicht mehr ablegen. Auf diesem Album reihen sich unter anderem die Musik-Größen Frank Ocean, Gunna oder Led Zeppelin in seiner Hall of Fame ein.

Weniger Autotune, mehr Inhalt

Auch wenn Deutschraps-Goldjunge in der Vergangenheit oftmals durch den fehlenden Tiefgang seiner Texte brillierte, zeigt er sich auf „Kleinstadt” mit ungewöhnlich viel Redebedarf. Darüber hinaus unterscheidet sich das neue Album auch inhaltlich von seinen Vorgängern: etwas weniger Wortaneinanderreihungen, dafür persönlichere Geschichten. Seiner Kreativität freien Lauf zu lassen, ohne sich von Hypes oder Trends beeinflussen zu lassen, stellt sich auch hier wieder als sein Erfolgsrezept dar. Denn mit dezenterem Autotune und ausgereifterem Songwriting findet Rin die perfekte Balance zwischen seichten Feelgood-Nummern und gehaltvolleren Tracks – und spielt damit musikalisch in seiner eigenen Liga.

Obwohl der selbsternannte King of Ljubav nicht selten als Sprachrohr einer ganzen Generation betitelt wird, erzählt er auf seiner bisher längsten LP nicht nur die genretypischen Geschichten, sondern seine eigene Story. Zuletzt sind es nicht nur die starken Beats und der abwechslungsreiche Sound, sondern auch die offensichtliche Weiterentwicklung seiner Songwriting-Skills sowie seine Detailverliebtheit die aus „Kleinstadt” sein mit Abstand bestes Album machen. Somit schlägt Rin ein vielversprechendes neues Kapitel auf und erschafft ein gelungenes Werk, das sich in keine Schublade stecken lässt und definitiv zum On-Repeat hören einlädt.