Review: Chapo102 x Kasimir1441 – Rotzlöffel

Kasimir1441 und Chapo102 sind Teil einer neuen Generation von Rappern, die gerade für ordentlich Alarm sorgt. Chapo und seine Jungs, die 102 Boyz, konnten mit Single-Hits wie „Bier” oder „New Kids” auf sich aufmerksam machen, während der Diloman-Schützling Kasimir den meisten Fans spätestens seit seiner „Kickdown EP” ein Begriff ist. Jetzt haben die beiden zusammen das Album „Rotzlöffel” veröffentlicht, das neben zehn kollaborativen Tracks je einen Solotrack beinhaltet.

Assi-Rap Level-Up

Ohne Zweifel gehören Kasimir1441 und Chapo102 zu den lautesten Stimmen ihrer Generation – sowohl im übertragenen, als auch im wörtlichen Sinne. Ihre Texte, ihre Delivery und nicht zuletzt die damit verbundene Rotz-auf-den-Boden-Attitüde brachten den beiden Künstler-Vergleiche á la 6ix9ine oder Casper ein. Dass solche Parallelen nicht selten weit hergeholt sind, ist nichts Neues, sie gehören im Musikjournalismus aber einfach zum Alltag.

Ob Assi-Rap als Genre-Bezeichnung eine Daseinsberechtigung haben sollte, muss wohl jeder für sich selbst entscheiden. Wahrscheinlich ist es aber der knackigste Begriff, um das zu beschreiben, was die Jungs machen. Denn tatsächlich ist „Rotzlöffel” nicht bloß die Kopie von einem Sound, den wir schon kennen – so wie es im Deutschrap viel zu oft vorkommt – sondern ein frischer Wind mit gehöriger Alkoholfahne, der sich von verschiedenen Motiven inspirieren lässt.

Wer laut schreit, wird doch gehört

Kasimir und Chapo hauen auf „Rotzlöffel” ordentlich drauf. Vor allem die Tracks „Fuffis”, „14102”, „Pussy As F4ck” und „Replay” geben den Takt vor – jede Menge Bass, aggressives Auftreten und mehr oder weniger triviale Texte. So weit, so gut. Noch interessanter sind allerdings die Titel, bei denen sich die Atmosphäre verändert. Auf „Parkbank”, „Wach” und zum Teil auch auf Chapos Solotrack „Woanders” geht es nämlich weniger um reine Provokation, als um die fortschreitende Selbstzerstörung und Betäubung durch Drogen, garniert mit einer kleinen Portion Herzschmerz. Auch die Beats sind hier der jeweiligen Stimmung angepasst. Kasimirs antithetischer Solotrack „Zeit ist Geld” genießt diesbezüglich eine Sonderstellung. Während die Lyrics in gewisser Weise bestehende Rap-Klischees bedienen, hat Lucry als verantwortlicher Producer einen Beat gebaut, der Disco-Bezüge aufweist.

Insbesondere die vorab als Singles erschienenen „Dicke Bahn” und der Titeltrack „Rotzlöffel” sind bezeichnend für den Ton und die vorherrschende Thematik des Albums. Es geht um Alkohol- und Drogeneskapaden, vor allem geht es aber darum, so richtig anzuecken. In der heutigen Zeit ist eine Schockwirkung nur noch schwer zu provozieren. Wenn man mit der eigenen Musik ein gelegentliches Naserümpfen hervorruft, kann das aber durchaus Ausdruck dafür sein, dass man etwas richtig gemacht hat.

In der Kunst kann eine Message über unterschiedliche, teils unangenehme Wege vermittelt werden. Der stellenweise sicherlich gewöhnungsbedürftige Rap-Stil von Kasimir und Chapo ist hier vielmehr der Ausdruck einer Rastlosigkeit und Unzufriedenheit. Wenn Kasimir in „Pussy As F4ck” davon spricht, dass er nicht ans „System” glaubt, dann ist das natürlich eine überspitzte Äußerung, drückt aber etwas aus, das viele junge Menschen genauso empfinden. Rap kann nämlich auch das formulieren, was in der Vergangenheit vor allem im Punk thematisiert wurde.

Punk-Rock-Attitüde

Dass Rapper die neuen Rockstars sind, ist mittlerweile auch im Feuilleton der letzten Lokalzeitung angekommen. Die damit verbundene Erkenntnis zielt allerdings vor allem auf den kommerziellen Erfolg vieler Künstler*innen ab. Chapo102 und Kasimir1441 drücken auf „Rotzlöffel” eine Attitüde aus, die sich nicht unbedingt auf den kommerziellen Aspekt ebendieses Daseins bezieht, sondern die aussagt: Ist mir scheißegal was ihr denkt, ich mach mein Ding und wem das nicht gefällt, der interessiert mich nicht. In einer Zeit, in der wir darüber sprechen, wie neoliberal Deutschrap ist, ist dieser Habitus eine angenehme Abwechslung zu Millionärs-Fantasien, AMGs und perfekt gestylten Frisuren.

Bei allem Lob darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass ebendiese Attitüde gelegentlich in geschmacklosen Sexismus abdriftet. Obwohl sich die beiden nicht auf allzu viele Hip-Hop-Klischees einlassen, ist das dann doch eine unnötige Reproduktion von Denkmustern, die im Deutschrap leider immer noch allgegenwärtig sind. Natürlich lässt sich darüber streiten, ob es sich hierbei nur um überspitzte Provokationen, statt um blanken Sexismus handelt. Trotzdem haben Kasimir und Chapo solche Imitationen nicht nötig.

Thematisch haben Chapo102 und Kasimir1441 mit „Rotzlöffel” das Rad nicht neu erfunden. Stilistisch bringen die beiden aber definitiv einen neuen Schwung in die Deutschrap-Szene. Als Teil der neuen Generation gehören sie spätestens jetzt zu den zahlreichen Wortführer*innen. Wir dürfen auf die weiteren Schritte gespannt sein, die Chapo und Kasimir in der nächsten Zeit machen werden. Wir gucken auf jeden Fall genau hin.