Review: Rhymin Simon – Essi duz it / Letzte Liebe

Man kennt den Struggle des Mittvierziger Untergrundrappers: Im Chemielabor läuft es bei der Herstellung des nächsten pharmazeutischen Wundermittels nicht ganz rund, die Kollegen spuren nicht, der Chef nervt und zuhause warten Frau und Kind auf ihn. Zu allem Überfluss nutzte die werte Gemahlin die Wartezeit nicht zur Zubereitung eines ernstzunehmenden Abendessen, sondern um die hart synthetisierte Kohle für Sofas und Wandfarbe (Traube – dabei war doch Gelb vereinbart) zu verprassen. 

Simon in der Midlife Crisis?

Wie nun soll man damit umgehen? Andere hätten sich vielleicht ein Motorrad gekauft, den Bart etwas verwegener stehen lassen oder sich der Bosstransformation unterzogen, aber ein Rhymin Simon entfacht den in sich schlummernden Battlerapper und wäscht auf dem Doppelalbum “Essi Duz It / Letzte Liebe” einen ganzen Haufen schmutziger Wäsche. Vielleicht war es die weibliche Weitsicht von Simons Ehefrau, dass sie den Wäscheständer, wie auf dem Track “Ich penn auf der Couch” moniert wird, immer griffbereit vor dem Bett abstellte.  

Und damit ist die Legende aus dem Royal Bunker zurück. Der junge Rhymin Simon rappte mit den Szenegrößen Vokalmatador, B-Tight und Sido als “Die Sekte” möglichst vulgär und fantasiereich über die Größe seines Gemächts und den sich daraus ergebenden sexuellen Möglichkeiten. Inzwischen ist der überzogene Kingpintin-Habitus einem breiteren Themenspektrum gewichen und Rhymin Simon sieht sich mit den Krisen der bürgerlichen Ehe konfrontiert: “Warum ficken, wenn wir streiten können?”

Dadjokes *Rülps*

Zwar gibt es immer noch den sexistischen Herrenwitz, inzwischen aber meist standesgemäßer mit der Verträglichkeit eines Dadjokes (“Die dämliche Tourischlampe trinkt mich untern Tisch, ich rülpse ein Bitch”). Man kann es als Versuch eines Ausbruchs aus der Tristesse des Alltags verstehen. Stören kann man sich an den subtileren aber ernsteren “typisch Mann, typisch Frau”-Klischees. 

Das Soundbild ist schon auf “Essi Duz it”, der ersten und unbeschwerteren Hälfte des Albums, zurückhaltend und melancholisch mit vielen Trapanleihen. Unterdessen fehlt dem Flow jede Spur der früheren Aggressivität und so breiten sich die Texte über die meisten Tracks eher düster und geleiert aus. Wegen der eingestreuten Variationen und Gesangspassagen klingt das Album aber keinesweges monoton. Sogar eine, wohl ironische, Autotune “Lalala”-Hook gibt es. 

Faszinierend jedoch ist der emotionale Kampf um die großen und kleinen Fragen des Lebens, die das Album ganz ohne pathetische Superlative nachzeichnet. Wo bleibt die Coolness zwischen Tretboot, Laborjob, Einkaufen, Putzen und Kochen – diese Frage zieht sich als roter Faden durch das Album. Dabei begleitet der Hörer auch das Scheitern von Rhymin Simons Ehe, dessen Frau sich während der Albumproduktion von ihm trennte. Im Interview berichtet das alternde Sekten-Urgestein davon, wie er ihr noch zuvor eine der Zeilen vorrappte, woraufhin diese anfing zu weinen. Die verbliebene Punchline des Albums trifft wohl vor allem (Ex-) Ehepartner. 

Am Ende bleibt die Trauer

Und so bröckelt die anfangs noch errichtete Fassade von “Baba Kush” über “Ich häng auf der Couch”  zu “Ich penn auf der Couch” bis am Ende nur wortlose “Trauer” bleibt. 

Mit diesem ungeschönten Einblick reicht “Essi Duz It / Letzte Liebe” an die Realness eines Fler-Interviews heran (für die Rhymin Simon eine gewisse Obsession entwickelt zu haben scheint). Ein faszinierendes Album über die Midlifecrisis eines Rappers für all jene, die sich fragen, wie man mit Rap altert und ob das Leben wohl noch mehr bereithält als einen Bausparvertrag, wenn man einmal ein gewisses Alter überschritten hat.