Review zu Travis Scotts „Astroworld“: Ein Album wie ein Freizeitpark

Nice, ein Freizeitpark für Lean-trinkende und Xanax-poppende Trapfans aus der ganzen Welt. Das ist Astroworld“ von Travis Scott!

Tja – so oder so ähnlich haben sich das wohl viele alteingesessene Rap-Fans gedacht, als sie das dritte Album des Houstoner Rappers gehört haben. Wenn sie es überhaupt gehört haben.

Ich muss diese Leute leider enttäuschen. Es wäre ja so schön einfach gewesen, dieses Album als einzigen Drogen-Trip abzustempeln. Ein Trip ist es in gewisser Weise schon, aber es steckt so viel mehr dahinter als nur Gras, Sex und Codein.

Aber was ist denn nun eigentlich „Astroworld“?

Mitten in Houston gelegen war „Astroworld“ ein Freizeitpark, der 1968 gebaut wurde. Allerdings existiert dieser heute nicht mehr. Er wurde 2005 geschlossen, um mehr Parkraum in Houston zu schaffen. Scott besuchte ihn in seiner Kindheit sehr oft, verriet er in einem Interview mit dem Rolling Stone. „Astroworld“ war für die damaligen Verhältnisse unglaublich facettenreich. Mit fast 50 Fahrgeschäften und knapp zehn Themenwelten war den Besuchern alles geboten.

Ähnlich sieht es mit La Flames eigener „Astroworld“ aus. Travis Scott wäre nicht Travis Scott, wenn er die Themen Drogen und Sex-Eskapaden komplett über Bord schmeißen würde. Das hat auch niemand erwartet. Aber er zeigt mehr. Mehr als in seinen anderen Alben. Mehr als er jemals in den Medien preisgegeben hat. Man muss nur genau hinhören.

Was ist denn jetzt so anders?

La Flames vorheriges Album „Birds in the Trap Sing McKnight“ war in seiner Aufmachung ziemlich düster gestaltet. Das hieß aber nicht, dass der Inhalt von Travis‘ Texten ebenfalls düster war. Es ging um die gewohnten Themen. Zwar gab es mit Liedern wie „the ends“ und „way back“ auch tiefgründige Songs, der vorherrschende Tenor war allerdings Drogen, Frauen und ganz viel Schmuck.

Auf „Astroworld“ haben wir ebenfalls das Grundthema der Dekadenz eines Rockstars. Allerdings wird Travis Scott in diesem Album viel persönlicher. Dabei helfen ihm besonders die sechs Solosongs.

Zum Vergleich: Bei „Birds in the Trap…“ war es nur ein Solosong von 14. Aber nicht nur das half ihm. Das Stichwort hier ist Kylie Jenner. Seine Freundin und Babymama wurde für ihn zu einer Art Muse. Sie ermöglichte ihm, auch wenn unfreiwillig, seine Emotionen in Worte zu fassen und über Dinge zu rappen, über die er noch nie gesprochen hat. Aber der Reihe nach.

Viel hilft viel

In einem Aspekt unterscheiden sich „Birds in the Trap Sing McKnight“ und „Astroworld“ allerdings überhaupt nicht: die Produktion. Wenige Künstler können mit ihren Beats solche Atmosphären und Stimmungen erzeugen wie Travis Scott. Aber kein Wunder bei den vielen Einflüssen. Über 30 Producer, unter anderem das deutsche Duo CuBeatz sowie der Schweizer OZ, schraubten an den Beats zu den 17 Tracks. Ergebnis sind 17 perfekt auf die Songs zugeschnittene Untermalungen. Manchmal stimmt es dann doch: Je mehr desto besser.

Party, Drogen, Sex und noch mal Drogen

Travis Scott versteht sein Handwerk. Und er macht auf „Astroworld“ natürlich auch wieder das, was er am besten kann: Turn Up!

Repräsentativ dafür ist sein Partybanger „No Bystanders“. Zusammen mit den Newcomern Juice Wrld und Sheck Wes hat er nur ein Ziel: “Fuck the club up”. Die drei Rap-Parts (ja es sind tatsächlich Rap-Parts) sind in ihrer Melodik alle unterschiedlich, dadurch geht der Track gut ins Ohr und ist trotz des brachialen ersten Parts nicht zu viel.

Nicht zu vergessen Scotts erster Song „Stargazing“, in dem er im zweiten Part auf einem hämmernden Beat davon rappt, dass sich bei seinen Konzerten Leute aus den Oberrängen, auf englisch auch „nosebleeds“, stürzen: „got them stagediving out the nosebleeds“. Das ist wirklich passiert. Kein Scherz. Mehr muss ich dazu nicht sagen.

Geht’s auch etwas ruhiger?

Wer jetzt erstmal Angst bekommen hat, beim Hören des ganzen Albums einen Herzinfarkt zu bekommen, den kann ich beruhigen. „Astroworld“ hat zum Glück auch seine ruhige Seiten.

In „RIP Screw“, seiner Hommage an den gleichnamigen Houstoner DJ, lässt er zusammen mit Swae Lee ganz ruhige Töne anklingen. Nach dem Motto: „Rest in peace to Screw tonight we take it slowly“ liefert Scott einen Song zum Runterkommen.

Erwähnenswert in dieser Rubrik ist auch der gesungene LSD-Trip „Skeletons“. La Flame holte sich hierfür ungewöhnliche Hilfe von Tame Impala, einer Psychedelic Rockband aus Australien. Scott rappt hier über sein erstes Treffen mit Kylie Jenner. Der Rest ist der pure Trip made by Tame Impala. Nicht unbedingt das, was ein eingefleischter Travis Scott-Fan erwartet. Aber das macht es gerade so erfrischend.

Muss das unbedingt sein?

Es wäre ein Wunder gewesen, wenn es auf „Astroworld“ keine schwachen Stellen gibt. Die gibt es nämlich durchaus. „NC-17“ ist in den USA die Altersbeschränkung „nicht unter 17 Jahren“. Das Phrasengedonner zusammen mit 21 Savage soll also so anstößig sein, dass es Jugendliche auf keinen Fall hören sollten. Es ist auch ziemlich anstößig, aber vor allen Dingen ist es unnötig. Nach Scotts intensiven Trap-Part kommt dann 21 und rappt davon, dass er seinem Hund YSL-Klamotten kauft. Das ist einfach zu viel des Guten. Als Single okay, aber auf „Astroworld“ passt es nicht wirklich.

Vom gleichen Kaliber ist auch „Yosemite“ mit Gunna und NAV. Gunna klingt in der Hook wie ein amerikanischer Jan Delay-Verschnitt. Die drei philosophieren in unter drei Minuten über so viel Schmuck, dass man damit einen ganzen Juwelier füllen könnte. Dieser Track verdient das Prädikat überflüssig.

Aus Travis Scott wird Jacques Webster

Wer ist denn jetzt schon wieder Jacques Webster? Jacques Webster ist Travis Scott. Genauer gesagt ist das sein bürgerlicher Name. In „Astroworld“ lässt er uns auch in das Leben von eben diesem Jacques einblicken. Nicht nur in das des modernen Rockstars Travis Scott.

Er erzählt uns in „Coffee Bean“ über seine Beziehung mit Kylie. In „Astrothunder“, meinem persönlichen Favoriten, redet er über Selbstzweifel. „Stop trying to be God“, jetzt schon fast ein Klassiker, beleuchtet die Gefahren und Tücken des Erfolgs. Außerdem zieht sich die Verbindung zu seiner Heimatstadt Houston durchs ganze Album, ob mit Samples alter Houstoner MCs oder seiner Ode an die Space City „Houstonfornication“.

Der neue Travis Scott

In zwei Jahren kann sich viel ändern. Du verkaufst über eine Millionen Platten, lernst eine Frau kennen und bekommst mit ihr ein Kind. Travis Scott hat sich in den zwei Jahren verändert. Aber nicht negativ. Ich will nicht sagen, das La Flame ruhiger geworden ist. Er hat einige Male unter Beweis gestellt, dass er immer noch der Alte Trav sein kann.

Aber er hat sich entwickelt. Er ist reflektierter geworden und spricht Dinge an, die ihm vor zwei Jahren nicht mal annähernd in den Sinn gekommen wären. „Astroworld“ mag kein Gesamtkunstwerk á la „DAMN“ von Kendrick Lamar sein. Aber Scott zeigt uns, dass er facettenreicher ist, als wir geglaubt haben. Er kann nämlich nicht nur der Lean-trinkende und Xanax-poppende La Flame sein. Er kann auch einfach Jacques Webster sein, der sich Gedanken über seinen Lebensstil macht und ab und zu mal Heimweh nach Houston hat. Und ich denke das ist wunderschön zu hören.