„NJC“ musste irgendwann passieren – aus mehreren Gründen. Wie aufmerksame Beobachter des Deutschrap-Geschehens wissen, stellte Manuellsen vor sechs Jahren sein neues Signing bei seinem Label Pottweiler Evolutions vor: Micel O. Dann – mit zwei Jährchen Verzögerung – kam der Dortmunder bei Kay One/AMPC unter. Klammheimlich hatten sich wohl die Wege von Manu und Micel getrennt.
Weitere drei, vier Jahre sind danach noch einmal ins Land gezogen, beide haben ihr eigenes Ding gemacht, konnten – für den jeweiligen Stand von ihren Karrieren – Erfolge feiern, befinden sich aber gefühlt im gleichen Mindstate. Während Micel O gerade noch dabei ist, sich seine Hörner abzustoßen und sich als Künstler zu finden, hat Manuellsen nun die richtige Mischung aus musikalischer Selbstzufriedenheit, zeitgemäßem Sound und dem, was Fans und Kritiker hören wollen, gefunden.
Was kann das Album?
Hat man bei Manuellsen bis 2014 noch gefragt, wann er seine verdiente Aufmerksamkeit bekommt, stellt sich bei Micel O zur Zeit die gleiche Frage. Womit wir bei „NJC“ wären.
Die vielleicht auffälligste Sache und die größte Stärke des Albums: Manuellsen und Micel O haben alle 14 Tracks mit Juh-Dee und Mesh from the scratch entstehen lassen. Ihre Parts klingen trotzdem nach diesem gewissen Flash, den ein Rapper kriegt, wenn er einen ausproduzierten Beat zum ersten Mal hört.
Roh und wild
Dementsprechend rund klingen die Tracks: Wild, roh und grimey agieren Manuellsen und Micel O in ihren Parts. Kollabo-Alben sind zumeist eine lockere Angelegenheit für die Protagonisten im Gegensatz zu ihren (oft verkopfteren) Solo-Alben. So auch hier. Quasi im Vorbeigehen wurde der Puls der Zeit getroffen. Der Umgang mit Autotune, die wiedererkennbaren Adlibs, generell die Wortwahl (keine Spur von Anglizismen-Vergewaltigung) und das richtige Gefühl, wo man Pausen Pausen sein lässt oder mit zusätzlichen (wiederholten) Silben füllen muss – alles ist drin. Frei nach dem Motto: Gib dem Song, was er braucht!
Wohl im vollen Bewusstsein darüber, dass ein Album mit Manuellsen eine gute Plattform ist, um sich zu präsentieren, klingt Micel O so brachial und hungrig, als würde er das Mic auffressen wollen. Stärker als die Drums auf „Beast of Nation“, prägnanter als der Beat von „Carpe Diem“ und rußiger als der Vibe von „Schlag Alarm“.
„Iron Mike Tyson auf dem Beat!“
Manuellsen hingegen weiß, dass er niemandem mehr beweisen muss, wie man Beats auf klassische Art und Weise vernichtet, nutzt er seine Parts, um den Drive von Micel O zu ergänzen und vor allem mit seinen übrigen Stärken einer etwaigen Monotonie vorzusorgen.
Es wird auch gesungen
Ist er mal nicht als Rapper gefragt, ist Manuellsen noch immer ein überdurchschnittlich guter Sänger. Das spiegelt sich gerade abseits der Strophen wider und verleiht allen Tracks einen enormen Replay-Effekt. „Carpe Diem“ bekommt dadurch eine Tempo-technische Auszeit, der Titeltrack hat eine passende G Funk-Hook. „Fkn“ hat fast schon Fler-like keine Headline, sondern ein Headword und quotable Lines inklusive ehrenvoller Adlibs gibt es zuhauf.
Und dann gibt es da noch „Du gehörst zu mir“, „Baby bleib“ und irgendwie auch „Fkn“ mit einer sehr starken Eunique. Balladen – ein Genre bei denen beide – gemessen an ihren Solo-Sachen („Dear Christine“, „Farben“, „Meine Rihanna“, „Du bist anders“) – eine absolute Ausnahmestellung einnehmen: Authentisch, stets glaubhaft, unpeinlich, nachvollziehbar, für ihn und sie. Und vor allem: cool!
Stärker gemeinsam
Beide können ihre Stärken ausspielen, gleichen die Schwächen des Anderen aus, treiben sich gegenseitig zu besseren Performances an und lassen es easy aussehen. Genauso easy kann man „NJC“ von Anfang bis Ende durchhören. Man bekommt genau das, was man erwartet, wird trotzdem noch positiv überrascht. Ausreißer nach unten gibt es nicht wirklich. Sollte die urbane Zukunft wirklich so ausgewogen und harmonisch klingen – ohne Trendreiterei oder maßlose Übertreibung einzelner Stilmittel – dann bin ich pro Futurismus und kontra Reminiszenz. „German HipHop, we got a lituation here!“
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