Skinnys Abrechnung #34: Capital Bra-Hater sind verbitterte Fensterrentner

Mein größtes Guilty Pleasure ist es, Kommentarspalten zu durchforsten. Irgendwie liebe ich das einfach. Nicht nur Kommentare zu eigenen Artikeln und Videos, nein. Ob Tagesschau, Meme-Page oder Rap-Portal: Ich lese mit. Komischerweise hat es eine enorme Faszination auf mich, meistens allerdings eher diese Art der Faszination, die auch „Frauentausch“ oder „Die Mädchen Gang“ versprühen.

Wenn Max und Ivan einander verbal die Köpfe einschlagen, nur weil Max einen Song gut findet, Ivan aber keinen Autotune mag, dann finde ich das perfiderweise extrem unterhaltsam. Diese Kommentarspalten-Menschen, die wegen jeder kleinen Meinungsverschiedenheit aufeinander losgehen, scheinen sich aber in einer Sache einig zu sein: Capital Bra macht schlechte Musik für kleine Kinder.

Beispiel: Fortnite

Tut er aber nicht. Hätte er nicht so einen unfassbar gigantischen Hype bei einer eher jüngeren Zielgruppe, würdest du das auch nicht so sehen. Ich erkläre mal anhand eines anderen Beispiels, was ich meine: Fortnite.

Der Battle Royale Modus des Free2Play-Shooters generierte Mitte letzten Jahres den wohl größten Hype, den die Videospielbranche je erlebt hat. Der Börsenkurs des Entwicklers Epic Games schoss innerhalb von drei Monaten um fast 4000% in die Höhe. Firmengründer Tim Sweeny wurde quasi über Nacht zum Multimilliardär und gehört nur wegen dieses Spiels plötzlich zu den 200 reichsten Menschen der Welt. Doch auch bei über 200 Millionen registrierten Spielern schlägt Fortnite in den Kommentarspalten nichts als Hass entgegen.

Erfolg polarisiert immer

Wie kann das sein? Erfolg polarisiert natürlich immer. Aber wenn ein Red Dead Redemption 2 in der ersten Verkaufswoche haufenweise Rekorde bricht, dann erntet es Zuspruch in den Kommentarspalten. Aber Red Dead ist halt auch ein Vollpreis-Spiel mit USK-Freigabe ab 18-Jahren. Fortnite ist kostenlos spielbar und ab zwölf Jahren freigegeben, hat eine knuffige Cartoon-Grafik und bietet ein simples Spielprinzip. Okay, dass Fortnite bei den Golden Joystick Awards, quasi dem Oscar der Spielebranche, den begehrten „Ultimate Game of the Year“-Award abstaubt, kann ich auch nicht ganz nachvollziehen, aber das ist kein Grund, es dermaßen zu zerfetzen, wie die Kommentatoren es unter dieser Meldung taten und auch sonst überall tun.

Fortnite ist nämlich absolut kein schlechtes Spiel, ich habe es selbst ausprobiert. Es konnte mich zwar nicht wirklich packen, das liegt aber schlichtweg daran, dass das nicht mein Genre ist. Schlecht oder gar hassenswert ist Fortnite definitiv nicht, zumal Epic Games ein verdammt faires Bezahlmodell für kosmetische Inhalte bietet und generell ein sehr kundenfreundliches und sympathisches Studio ist. Nein, das einzige Problem ist, dass Fortnite sich gezielt an jüngere Spieler richtet. Dabei schließt es Ältere keineswegs aus, ist nur eben auch jugendfreundlich. Doch dass – ich schätze mal – vorwiegend 12-15-Jährige ihren Spaß mit Fortnite haben und damit einen derart riesigen Buzz kreieren, scheinen die nur marginal älteren Hater nicht zu ertragen.

Diese dumme Kinderscheiße sei kein vollwertiges Spiel, sowas spiele man nicht mal nebenbei auf dem Handy, dieses Kiddie-Spiel verlange einem sowieso keinen Skill ab und dass überall nur noch über Fortnite geredet wird, nerve sowieso – Konsens in fast jeder Kommentarspalte, könnt ihr gerne überprüfen. Klartext: Es ärgert dich, dass dieses Spiel so vielen jungen Leuten gefällt und einen derart großen Einfluss hat, obwohl du persönlich es nicht spielst. Vielleicht hast du es sogar nie ausprobiert, aber mitbekommen, dass man Fortnite scheiße finden und sich über dessen Erfolg ärgern sollte.

Liegt meiner Generation das Nörgeln in den Genen?

Okay, du Opfer, warum zur Hölle ärgert dich das? Schon klar, damals hast du auf dem Schulhof heimlich geraucht und Fußball-Sticker getauscht, heute machen diese verkorksten Kinder Fortnite-Tänze. Schlimm. Spiel halt Red Dead und befass dich nicht weiter mit Fortnite. Mach ich auch so, tut gar nicht weh.

Wenn Epic die jungen Spieler über den Tisch ziehen würde – von mir aus auch, wenn es ein wirklich schlechtes oder lieblos gemachtes Spiel wäre – dann sollte man das zurecht kritisieren. Aber hier ist der einzige Grund für das Genörgel dieses Fensterrenter-Gen, das offenbar so stark in meiner Generation verankert ist. Was für Generation Y? Generation-mit-Anfang-20-schon-auf-die-Jugend-heutzutage-schimpfen, das ist meine Generation. Und das führt mich endlich zu Capital Bra, der die volle Breitseite der Teenage-Rentner zu spüren bekommt.

Was ist an Capital Bra bitte scheiße?

Die Kommentarspalten sehen da nämlich ganz ähnlich aus, insbesondere auf Facebook und YouTube. Allerdings bemerke ich sogar bei gleichaltrigen Kollegen, deren Meinung ich eigentlich sehr schätze, ähnliche Ergüsse.

Die Initialzündung für diesen Artikel hatte ich bei den Reaktionen auf „Ach Patrick Ach“.
Kann mir bitte jemand erklären, was daran scheiße gewesen sein soll? Überall konnte man nur lesen, was für ein Schrott der Diss doch sei. Aber immer nur aus Gründen wie „Capi der Junkie“ oder „Fler hat ihm doch nur ein Kompliment gemacht. Peinlich, sowas.“

Ja, der Diss war deplatziert. Aber schlecht gemacht war er beileibe nicht. Es ist nämlich erfrischenderweise mal kein 20-Minuten Disstrack mit Lebensgeschichte und Entführungsvideo, sondern ein impulsiver, authentischer Punchliner:

„Du hast breite Arme, ich habe schnelle Zeigefinger“
„100 Kilo Testo gegen 70 Kilo Hass“
„Du bist so ein V-Mann, du hast LKA-Membercard“
„Das hier wird nicht lustig, ich komm rein mit nem Pushkick / Hau nicht auf die Nase, damit er beim blasen Luft kriegt“
„Ach, du Opfer hast seit Jahren dein Gesicht verloren / und fünf Jahre später wurde ich geboren“
„Du kannst nix mehr twittern, weil die Hände zittern“

Mal ehrlich: Will mir irgendjemand erzählen, dass das scheiße wäre? Das sind  – völlig unabhängig vom Inhalt – kreative, smart aufgebaute Punchlines.

Capi hat seit seiner Battle-Vergangenheit nichts verlernt. Außerdem ist „Ach Patrick Ach“ wahnsinnig inbrünstig gerappt. An der Technik gibt es auch nichts zu meckern – all das gilt übrigens für jeden seiner Songs. Aber die Qualität ist in Wahrheit ja ohnehin nicht das Problem.

„Mimimimimi, die Kids haben keine Ahnung“

Nein, das wahre Problem ist dasselbe wie bei Fortnite: Capi rasiert alles, reitet auf der wohl größten Erfolgswelle der Deutschrap-Geschichte und das, weil gefühlt jeder Jugendliche von 10-16 Capital Bra feiert. Hier einzelne Rekorde aufzulisten wäre fast schon witzlos, weil er sie in zwei Wochen eh wieder selbst bricht. Selbst 60 Jahre alte, vermeintlich unantastbare Rekorde der Beatles tritt er in den Staub. Das passt einer Generation mit anderen Idolen halt nicht in den Kram. Die Kids haben überhaupt keinen Geschmack, findet dann irgendein Hanswurst. Der war vor fünf Jahren selber noch ein Kid, über das dasselbe gesagt wurde. Nur meckert halt jetzt nicht der Hanswurst der Generation Beginner über die Generation Sido, sondern der Hanswurst der Generation Sido über die Nächstjüngere.

Dieser Hanswurst bist womöglich du. Vielleicht hast du damals selbst noch deinen Lieblings-Künstler in Schutz genommen. Erinnerst du dich? Vielleicht fandest du es damals krass, wie Gucci Mane und Lil Wayne den Livin in the Lab Lifestyle etabliert und unzählige Mixtapes rausgehauen haben, schreibst aber jetzt unter Capis Videos, dass er sich lieber Mühe geben solle, statt jeden Tag einen Song rauszuhauen.

Vielleicht kannst du es nicht ausstehen, dass Capital viele verschiedene Schubladen bedient und zuweilen schwer einzuordnen ist – schätzt aber viele andere Rapper für ihre Vielseitigkeit. Oder du findest Autotune aus Prinzip scheiße und hörst gar nicht wirklich hin. Oder du störst dich an den oft gehaltlosen Texten, hörst aber selbst gerne die Klassiker von Sido, Savas und Co, die keineswegs wirklich mehr aussagen. Möglicherweise weißt du auch gar nicht, was dir an Capital Bras Musik nicht gefällt – du willst ihn einfach hassen. Ihn gut zu finden käme dir irgendwie auch einfach uncool vor, oder?

Lass die Kids in Ruhe!

Wenn du nicht klar benennen kannst, was an einer Sache schlecht ist, dann ist diese Sache vielleicht gar nicht schlecht. Vielleicht willst du sie nur schlecht finden, weil du schon mit 20 ein verbitterter, alter Rentner bist, der spielende Kinder von seinem Rasen verscheucht und ihnen verbietet, zwischen die Müllcontainer als Torpfosten zum Bolzen zu benutzen, obwohl es eigentlich niemandem schadet. Meine Güte, warte damit doch noch 40 bis 50 Jahre und lass die Kids solange Capi hören und Fortnite zocken!

Capital Bra: Die 10 Gründe für seinen kometenhaften Aufstieg