Deutschlands Vergessene Kinder

rap.de: Aber du hast gesagt, niemand macht das uneigennützig. Was habt Ihr Euch als Mellowvibes wirtschaftlich davon versprochen?

Ben: Wirtschaftlich haben wir uns ganz klar gar nichts davon versprochen. Wie willst du mit einem Sampler Geld verdienen? Selbst mit einem Label Sampler ist das kaum möglich.  

rap.de: Und warum macht Ihr das? Was war euer Anreiz?

Pasu: Das war wirklich absolut uneigennützig. Wenn Du überlegst, wie viele Monate du daran arbeitest, wie viel Zeit du dafür aufwenden musst. Die ganzen Verhandlungen  und Verträge, dieser ganze Kram kostet so viel Nerven. So viel Geld könntest du niemals generieren. Den ganzen Aufwand kann dir keiner entschädigen. Es ist wirklich eine Herzensangelegenheit.

rap.de: Es hat Euch auch ein sehr sympathisches Image verschafft. Vielleicht ist das auch ein Anreiz?!

Ben: Aber wir haben keine Zeit dieses Image zu nutzen. Aber ganz ernsthaft. Ich überlege, eine Umschulung zum Erzieher zu machen. Ich habe voll Bock darauf. Das macht mir Spaß.

Das ist meine Leidenschaft und ich kann nicht von Pasu oder anderen verlangen, dass sie meine Leidenschaft finanzieren. Man muss ja seine Miete bezahlen. Wir gucken jetzt auch, wie wir mit Mellowvibes in anderen Bereichen Geld verdienen können. 

Pasu: Wir machen auch viele Sachen, die nicht nach Außen gehen, wie eine DVD und ne Kollektion. Nach Außen geht nur die PR, die wir machen. Diese "Deutschlands Vergessene Kinder" Geschichte war nie gedacht, um unser Image aufzubessern oder ähnliches. Sonst hätten wir nach Teil eins damit aufgehört, weil der Aufwand riesig ist.

rap.de: Wart ihr überrascht über das Ausmaß an Elend, das es in Deutschland dann doch gibt? 

Ben: Also, als ich das Buch gelesen habe, konnte ich das nicht glauben. Ich dachte, das sind Geschichten, damit sich das besser verkauft, aber wenn man länger da ist, merkt man die Kinder sind traurig. Ich bin auch nicht überrascht, ich bin schon in der nächsten Phase. Ich bin wütend. Der Junge, mit dem ich gesprochen habe, hat mir erzählt, dass er nicht mehr nach Hause möchte, weil er das alles so schrecklich findet und er würde viel lieber in der Arche bleiben, aber da ist ja um 22.00 Uhr Feierabend. Und dann rückte er mit der Sprache raus, dass er zu Hause beschimpft wird als Schwein, Hund oder Versager. Der Junge ist gerade mal 11. Das macht mich so wütend! Warum bekommen solche Leute überhaupt Kinder? Was soll aus ihm werden, wenn er jetzt schon so beschimpft wird? Das ist echt hart. Der Junge hat trotzdem einen Gerechtigkeitssinn. Er merkt schon, dass es ungerecht ist. Ich hab ihm dann vor Augen geführt, dass er auch so wird wie seine Eltern, wenn er andere beschimpft und sie schlägt. Er benimmt sich ja jetzt schon so, wie seine Eltern.

Erstaunt war ich am Anfang. Jetzt bin ich richtig wütend.

rap.de: Bist Du wütend auf die Eltern oder die Gesellschaft?

Ben: Ich weiß nicht. Ich bin nicht wütend auf den Staat. Geld würde da nichts bringen. Es sind die Eltern, die es versaufen oder für anderen Schwachsinn ausgeben. Es ist die Erziehung. Ich verstehe nicht, dass es Eltern gibt, die ihr Kind nicht als ein Geschenk des Himmels sehen.

Natürlich ist ein Kind anstrengend, wenn du morgens aufstehen musst und es abends schreit, aber es ist doch Dein Kind, Deine Familie. Das ist doch was Wertvolles! Ich weiß auch nicht, wo und wann da was in der Gesellschaft schief gelaufen ist. Welche Generation es verkackt hat?

rap.de: Habt ihr eigentlich auch Kontakt zu den Eltern der Kinder?

Ben: Nein. Schade irgendwie. Du siehst immer nur die Kids und die Eltern nie. Die holen sie nicht ab, bringen sie nicht hin. Man hört immer nur Geschichten. Man muss aber auch so fair sein und davon ausgehen, dass die Kinder manchmal übertreiben, aber es muss schon so einiges stimmen. Man sieht an dem Verhalten der Kinder, aus welcher Welt sie kommen. Sie machen eben das nach, was sie sehen. Und als Vater siehst du, wenn dein Kind geboren wird, dass es weder dumm noch böse ist. Kinder sind schlau und sie lernen schnell, aber wenn du dich nicht um sie kümmerst, passiert halt alles Schlechte. 

Pasu: Viele haben ähnliche Hintergründe. Was wir immer wieder hören, ist das ein Mix aus Sex, Alkohol, Drogen, Vernachlässigung oder völlig übertriebenem, unkontrolliertem Medienkonsum. In diesem Gebilde wachsen die Kinder auf. Da gibt es keine Grenzen. Die sind auf sich alleine gestellt. 

Ben: Wenn Du da aufwächst, kennst du nur diese Welt. Colos hatte neulich ein Interview mit der Bundeswehr und da hat er erzählt, dass er dachte, ganz Deutschland wäre wie in Kreuzberg. Als er abgeschoben wurde, in den Kosovo, kam er mit deutschen Soldaten in Kontakt, die aus ganz anderen Gegenden waren und da hat er das erste mal kapiert, dass es in Deutschland auch was anderes gibt, als das was er aus Kreuzberg kannte. Aber Kreuzberg war für ihn Normalität. Und so ist das für die Kids ja auch. Wenn der Vater die Mutter zu Hause schlägt, ist das für die normal oder wenn die Mutter jeden Tag mit einem anderen Typen schläft.

Was kann man schon erwarten von den Kindern, wenn die in so einer Welt aufwachsen?

rap.de: Jetzt seid ihr ja da und die Arche, um ein Gegengewicht zu schaffen. Gibt es auch positive Veränderungen bei den Kindern durch die Workshops?

Ben: Klar. Durch die Workshops wurde auch Werbung gemacht. Jetzt kommen auch Leute dahin, die vorher nichts damit zu tun hatten. Die bringen positive Stimmung. Letztens kamen Jungs aus Marzahn. Sehr lustige Jungs. Die haben was von uns gehört und sind einfach zur Arche gekommen. Die haben da gerapt und wollten Tipps haben, haben sich mit den Kids unterhalten. Das ist schon cool. Dadurch wird gezeigt, dass es mehr gibt, andere Bezirke, andere Länder. Der nächste Schritt, den wir wollen ist ein Austausch zum Beispiel mit Hamburg. Wir wollen zeigen, dass es mehr gibt als Hellersdorf oder ihre Problemecke. Sie können es schaffen, sie können da raus aus dem Dreck.

rap.de: Glaubt ihr, dass die Leute überhaupt Interesse an dieser Unterschicht haben?

Ben: Ich hatte vor Kurzem ein Workshop am Beethoven Gymnasium und die waren schon aufgeschlossen. Es hat auch immer was mit Erziehung zu tun, aber die interessieren sich schon dafür.

Pasu: Ich höre auch immer von Leuten, die in Deutschland zur Gruppe der Spitzenverdiener gehören und selbst sagen, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern ein Steuerparadies ist. Der Spitzensteuersatz war noch nie so gering, wie jetzt und es gibt vereinzelt immer wieder Leute, die sagen, dass sie gerne dazu beriet wären mehr Steuern zu zahlen.

Ben: Ja, aber selbst wenn mehr Geld da wäre, was würdest Du damit machen?

rap.de: Die Frage gebe ich jetzt mal zurück, da ihr aus der Praxis kommt. Was würdet Ihr machen mit mehr Geld?

Pasu: Was sich zum Beispiel in den skandinavischen Ländern bewährt hat, ist, dass die Grundversorgung in den Schulen vorhanden ist. Kostenfreie Schulbücher, Mahlzeiten, zwei Lehrer pro Klasse, kleinere Klassen, Kindergärten…

Ben: Bildung, Bildung, Bildung! Und auch die Eltern müssten Erziehungskurse belegen. Aber wenn bei den Eltern der Zug abgefahren ist, muss man bei den Kindern ansetzen, damit sie kapieren, dass es auch noch was anderes gibt. 

rap.de: Habt ihr den Eindruck, dass die Gesellschaft auseinanderdriftet? Es gibt die Wohlhabenden, die sich das auch leisten können und diejenigen, die früher am Band gearbeitet hätten, aber diese Arbeit gibt es nicht mehr. 

Pasu: Absolut! Die Schere driftet da absolut auseinander. Gerade durch die Nachwehen der Wirtschaftskrise fehlt die Sicherheit. Wenn das Land eine Person wäre, wäre es längst in der Privatinsolvenz. Sollte noch mal so eine Krise kommen, ist das Land dem Ruin nah. Wie viel Schulden hat das Land jetzt? Astronomische Summen. Was soll der unten denken, wenn er sieht dass oben keine Konsequenzen gezogen werden. 

Ben: Das schlimme ist, dass diese Kindergeneration später eigentlich dafür sorgen soll, dass das System funktioniert. Nur, wenn wir es ihnen heute nicht beibringen und die so werden wie ihre Eltern, gibt es in 20 Jahren riesige Probleme.

Das System erzieht gerade Arbeitslose und Harz IV Empfänger. Sich irgendwie durchmogeln, nicht arbeiten, Geld kriegen. Wie finanziert denn so eine Gesellschaft den Staat? Es wird noch ein böses Erwachen geben.

In Deutschlands Vergessene Kinder geht es nicht darum, zu sagen “Die armen Kinder“ und “Wir wollen mit Hip Hop die Welt verbessern“. Die Kinder wissen nichts von diesen Problemen und wir wollen die eben erreichen und aufklären. Zwar können wir das nicht auf einem ernsthaften Weg machen, weil die das nicht kapieren würden, aber wir vermitteln Werte, zeigen Möglichkeiten. Wenn einer rappen will und es nicht kann, sagen wir “Dann werde eben Organisator! Mach was anderes in dem Bereich!

Pasu: Es gibt so viele einzelne Bereiche, wo man ansetzen könnte damit wieder mehr Gerechtigkeit und Demokratie eingeführt wird. Aber ich sehe leider nicht, dass irgendwo die Zeichen auf “GO“ stehen.

Ben: Naja, es ist ein ignorantes Volk. Nach dem Motto, die Politik macht es und keiner setzt sich sonst ein oder versucht was zu ändern. Wir hatten auch nicht nur Unterstützer. Es gab auch viele Leute, die das nicht wollten, was wir machen. Die uns am Anfang boykottiert haben. 

rap.de: Aus welchen Gründen? 

Pasu: Wir haben auch Jungs auf dem Sampler dabei, die nicht unumstritten sind. Auch zurecht nicht. Frauenarzt oder B-Tight zum Beispiel.

Curse sagte bei einer Pressekonferenz in Berlin, dass er verstehen könnte, wenn sich der ganze Sampler nur aus solchen Jungs zusammensetzen würde, weil seine Musik die Kids gar nicht erreicht.

Ben: Curse ist ein großer Künstler, da kann man nichts sagen. Er ist bekannt und hilft uns sehr. Aber mir bedeutet es viel mehr, wenn Frauenarzt uns unterstützt. Die Leute für die das Projekt ist, feiern Frauenarzt, Orgi und so. Diese Künstler wollen wir haben. die müssen uns unterstützen. Das ist viel wichtiger. Und wenn dann Kritiker kommen und sagen: “Wie könnt ihr das machen mit diesen jugendgefährdenden Künstlern? Ihr solltet lieber die und die nehmen!“, dann sag ich, dass die bescheuert sind. Ich mach die Musik nicht für die Kritiker. Ich will die Kids erreichen. Die Kritiker sind mir scheiß egal. 

rap.de: Welchen Künstler gibt es, den ihr wirklich gerne dabei gehabt hättet?

Ben: Ok warte, da muss ich jetzt überlegen! …Bushido!

rap.de: Habt ihr es probiert?

Ben: Ja haben wir. Wir haben bei Bushido angefragt, aber keine Antwort bekommen. Das wäre schon der Hammer gewesen. Er ist ein riesen Multiplikator. 

rap.de: Aber Bushido ist doch nach eigenen Aussagen ein sehr gerechter Mensch, der würde die Ehrenhaftigkeit eures Projekts bestimmt schätzen.

Ben: Ach ja? Dann ist hier noch einmal eine persönliche Anfrage von Sami Ben Mansour

rap.de: Was ist mit sido? Den könnten sich bei eurem Arche Workshop auch Viele als richtiges Vorbild bei den Kindern vorstellen. Eigentlich sehen sie alle sido in dieser Rolle.

Ben: sido hatte eigentlich auch zugesagt, aber er war auf Tour, deswegen hat das nicht geklappt. Aber Fuhrmann ist eingesprungen und ich finde den Track sehr gut. 

rap.de: Nach welchen Kriterien habt ihr eigentlich die Songs ausgewählt? 

Pasu: Es geht immer um Vielfalt, mit verschiedenen Rapstilen, inhaltliche und musikalische Vielfalt.

Die einzige Vorgabe, die die Künstler hatten, war, dass es sich um die Arche dreht. Ob die jetzt politisch sind oder eine Geschichte erzählen, wahr oder fiktiv, oder ob die sich an die Altersgruppe wenden, war denen selbst überlassen. Aus den ganzen Songs, die dann reinkamen, haben wir versucht eine interessante Mischung zu machen. 

Ben: Das war auch nicht so einfach. Jeder hat einen anderen Geschmack. Ich mag eher die ruffen Sachen. Aber da man ja Vielfalt will, muss man immer überlegen, welcher Song drauf muss. 

Pasu: Man braucht ein Paar Namen, die ziehen, sonst würde das ja nicht gehen. Aber wir haben auch Künstlern abgesagt, die in den letzten ein, zwei Jahren in den Charts waren. Aber wenn der Song nicht passt und der Song das Thema sprengt, dann verzichtet man halt darauf.