Raf Camora – Nächster Stopp Zukunft

Kulturübergreifend – eines der passendsten Adjektive, um RAF Camora und seine Musik zu beschreiben. Aus Wien zieht er nach Berlin, in Italien ist er geboren und im französischen Teil der Schweiz aufgewachsen. Sein Debutalbum “Nächster Stopp Zukunft“ ist nicht minder bunt. In erster Linie rapt er und das auf deutsch, singt in den meisten Fällen seine Hooks selbst, das dann wiederum oft auf französisch und gleichzeitig ist er aber auch noch sein eigener Produzent und beweist wahrhaftiges musikalisches Können, indem er die Gitarre und das Keyboard selbst einspielt. Ein Multitalent könnte man sagen, der Lenny Krevitz des Rap, was sich ebenfalls in seinen Texten widerspiegelt.

Doch auch wenn sich das alles gerade nach Perfektion anhört – nein, perfekt ist es nicht. Die künstlichen Synthiebeats sind genauso gewöhnungsbedürftig wie die tiefe Stimme und der undefinierbare Akzent. Doch hat man diese Klippen erst mal überwunden, muss man unterstreichen – es macht wirklich Spaß, dieses Album zu hören! 16 Tracks sind drauf und wenn man sich auf fünf beschränken müsste, die am meisten überzeugen, wäre die Wahl gar nicht so einfach.
Hier gibt es kein kurzes Intro, kein Outro oder andere Lückenfüller, die den Übergang von energischen zu deepen Liedern erleichtern. Es findet sich eine ausgewogene Mischung von harten Raps und melodiösem Gesang, dynamischen Beats  und chilligen Reggae Sounds.

Zurecht stellt sich der deutschsprachige-frankophone Österreichitalienerwiener also der deutschen Rapszene mit seiner ersten Single als “Winner“ vor. Schließlich hat er bereits früh viel Kraft getankt, denn: “Schon als Kind wollt ich gewinnen und trank den Kakao/ Weil dieser Nesquik Hase sagte, das ist das, was du brauchst/ Doch das Ziel kommt nicht zu Dir/ Deshalb stell ich mich zum Start/ Renn und denk nicht nach, bis es klappt“. Und die Sterne stehen gut für Raphael. Denn Ehrlichkeit währt am längsten und man ist gewillt ihm zu glauben. “Hunderttausend Rapper gab es auf dem Markt/ Und egal wie man es dreht/ Es wurde alles schon gesagt“- trotzdem hat er mehr von sich zu geben als ein einfaches “Yo“ und “Worte“ kennt er zu Genüge, auch wenn er nicht auf alles hört, was andere reden – “Denn es ist alles nur bla bla“.

Wahrscheinlich klingt RAF so abgehärtet, weil in seinem Leben schon einiges aus dem Ruder gelaufen ist. Schulversagen, Drogen, Gewalt – da ist es kein Wunder, dass er versucht in eine andere Welt einzutauchen und zumindest mit dem Elektro- Beat von “Fakkermusik“ den Rahmen des Hip Hop sprengt. Doch nach dem “†.r.i.p“ kommt häufig der “Herr Doktor“, der entstandene Wunden heilen muss. Zwar scheint sich Raf dann mit “Rest in Peace“ von Altlasten zu befreien, doch auch das Kreuz ähnliche “t“ scheint schon zuvor darauf hinzuweisen, dass er den Drogen nicht mehr ganz so häufig frönen will – oder? Veränderung ist also angesagt, schließlich ist “Nächster Stopp Zukunft“ und RAF hat schon “So lange enttäuscht gegen den Wind gepisst“.

Mutig ist er also und geht auch in dem Lied “Risiko“ genau ein solches ein, wenn er so wahnsinnig ehrlich ist, dass man fast schon sagen will: "So genau wollte ich es eigentlich gar nicht wissen." Klar, respektvoll seinen Hut dafür zu ziehen, ist hier nicht möglich, schließlich gibt er zu, seine Freundin und wahre Liebe mehr als ein Mal betrogen zu haben. Aber unglaublich authentisch ist es doch und dafür: Respekt!
Immerhin steht der gute Mann zu seinen Fehlern –  “Mitgehangen, Mitgefangen“. Doch scheint es ihm wirklich ernst zu sein mit dem Neuanfang in der Zukunft, der sich thematisch durch das ganze Album zieht, genauso wie der “Abschied“ von seiner Vergangenheit. Diese allerdings scheint für ihn keinen bitteren Nachgeschmack zu haben, denn “Ohne Vergangenheit gibt es keine Zukunft“ und so erinnert er sich detailreich und authentisch und steht zu allem, was früher war – egal wie schlecht oder gut.

Nein, eine Autobiographie in Buchform ist nicht mehr nötig. Hier werden so viele Geschichten erzählt und RAF lässt den Zuhörer regelrecht hautnah an seinem Leben teilhaben. Auch, wenn die Storys auf diesem Album einen eindeutigen Abschluss finden, steigt die Spannung auf eine Fortsetzung.
Story ist ein bedeutendes Stichwort, will man das Album beschrieben. Sicherlich sind hier viele lustige Anekdoten und Reime zu finden, auf die man im Einzelnen eingehen könnte und auch die Collabo Partner wie Nazar oder Chakuza sind nicht ohne Bedeutung, aber meistens erzählt RAF bildlich und eindringlich von seinen mannigfaltigen Erfahrungen.

Manchmal allerdings, reicht tatsächlich nur ein Wort und man ruft “ein lautes YO zum Abschied“.