In unserer neuen Interviewreihe „Rap und Literatur“ geht es um das Verhältnis von HipHop-Künstlern zu Literatur und Sprache. Maeckes eröffnet den Reigen. Der Chimperator-Artist erzählt von seinem unveröffentlichten Fabelbuch, von Hermann Hesse, Michel Houellebecq und warum es egal ist, wie seine Kunst ankommt.
Wann hast du mit dem Schreiben angefangen?
Mit dem Schreiben? Das war, als ich 16 Jahre alt war. Vielleicht sogar ein bisschen früher. Mit 13 oder 14 habe ich versucht die ersten Raptexte auf Englisch zu schreiben.
Also hast du immer Raptexte geschrieben?
Das würde ich nicht unbedingt sagen. Was wichtiger ist: Durch Rap habe ich Sprache kennengelernt.
Gibt es eine Anekdote zu deinen Schreibanfängen?
Nein, das war mehr ein Werdegang. Ich habe mich erst mal für Sprache überhaupt nicht interessiert. Als Kind habe ich zum Beispiel keine Kinderbücher gelesen. Ich habe mit 13 oder 14 wie gesagt auf Englisch gerappt. Mein Kumpel rappte damals auf Türkisch. Sprich: Man hat sich nicht verstanden. Das war nur ein Adaptieren davon, wie Rap sein soll. Und dann bin ich ganz schnell vom geschriebenen Wort weggekommen, weil ich Lust auf Freestyle bekam. Daraufhin habe ich, glaube ich, ein oder zwei Jahre keinen einzigen Text aufgeschrieben, sondern nur gefreestylt. Das wurde mir irgendwann zu blödsinnig. Ein Freestyle ist ja immer eine Momentaufnahme und ich wollte etwas schaffen, was länger als eine Sekunde hält. Und ab diesem Moment habe ich angefangen zu schreiben, das war mit 16.
Ist die Schule vielleicht daran schuld, dass du dich in frühen Jahren nicht für Sprache begeistern konntest?
Nein, gar nicht. Das Interesse war einfach nicht vorhanden in mir. Wie willst du etwas fördern, was nicht vorhanden ist?
Kam deine Begeisterung für Sprache plötzlich?
(überlegt kurz) Ganz am Anfang habe ich geschrieben, weil ich cool sein wollte – als ich die englischen Raps schrieb. Beim Freestyle war das viel eher der Sportler als der Literat in mir. Ich wollte zu der Zeit also nur besser sein als andere. Damals ging es mir gar nicht darum, um Sprache als Werkzeug zu nutzen. Als ich dann mit 16 Jahren anfing zu schreiben, fing ich an mich für Sprache zu begeistern.
Einen Satz, den ich gerne von dir zitiere ist „Lieber unglücklich verliebt als unverliebt glücklich.“ Ich biete dir mal meine Interpretation an.
Ja, gerne.
Also: Es ist besser unglücklich verliebt als unverliebt glücklich zu leben, weil du so intensiver lebst. Du kennst etwas Schlechtes (den Liebesschmerz), du bist also für die schönen Sachen empfänglicher. Wenn du nur glücklich bist, aber das Leiden nicht kennst, nivelliert sich die Freude mit der Zeit oder geht ganz verloren. So nach dem Motto: Du weißt nur, was Weiß ist, weil du die Farbe Schwarz kennst.
Viel schöner kann ich es auch nicht sagen. Das Unglücklich-Verliebt-Sein ist nicht greifbar, hat etwas Ideelles. Man bewundert die alte Liebe, aber man berührt sie nicht. Es steht so ein bisschen auf dem Podest. Es ist unantastbar wunderschön. Ist man aber ohne Liebe glücklich, hat das keinen Wert.
Einen anderen Satz von dir, den ich bemerkenswert finde: „Machen ist die beste Medizin.„
Ja, das war einfach ein dummes Wortspiel mit Lachen. Man sagt ja: „Lachen ist die beste Medizin.“
Auf dem neuen Orsons-Album „What’s Goes“ schlägst du oft kapitalismuskritische Töne an. So direkt kennt man dich sonst nicht.
Für das Orsons-Album wollte ich das so plakativ haben. Ich würde das, glaube ich, in meiner eignen Musik nie so offensichtlich machen. Bei dem Orsons-Ding hat es sich richtig angefühlt. Ich dachte mir, dass das bestimmt unser kommerziellster Erfolg wird. Und wenn der jetzt kommt, dann will ich auch plakativ dagegen schießen. Ansonsten würde ich das nicht so dick auftragen. Auch wenn ich es mittlerweile live rappe, schmeckt es mir zu stark. Ich hätte gern, dass es bisschen weniger schmeckt, aber an sich finde ich es sehr gut, die Kritik so anzubringen.
Denkst du, dass man als Künstler strikt gegen den Kapitalismus sein muss?
Nein, das sieht man ja an bildenden Künstlern wie Jeff Koons. Er verkauft alles und das ist ganz wichtig für seine Kunst und es funktioniert sehr, sehr gut. Seine Kunst läuft Hand in Hand mit dem Kapitalismus. Ich glaube nicht, dass es als Künstler erforderlich ist, sich strikt gegen den Kapitalismus zu stellen. Aber Kritik am Kapitalismus kommt trotzdem häufig in der Kunst vor.
Wer mal deine Twitter-Seite herunterscrollt, stößt auf unheimlich viele eloquente Posts. Hast du denn schon mal daran gedacht, ein Buch zu schreiben?
Ich denke darüber tatsächlich weiterhin nach. Ich habe auch schon sehr, sehr früh etwas geschrieben. Als ich 18 Jahre alt war, habe ich ein komplettes Fabelbuch geschrieben.
Hast du es veröffentlicht?
Nein. Ich habe es fertig geschrieben, auch illustrieren lassen. Es ist druckbereit, aber ich habe mich dagegen entschieden, es zu publizieren. Ich fand es einfach nicht gut genug. Nun liegt es für immer im ewigen Eis begraben. Mein Fabelbuch haben nur ca. drei Menschen gesehen. Was ich sagen will: Ich hatte schon sehr früh, den Wunsch zu schreiben. Mir ist Musik auch nicht wichtig. Für mich ist Sprache das Wichtige. Ich bin kein Musiker.
Und das obwohl du Beats machst?
Dafür dass ich kein Musiker bin, bin ich ein ziemlicher Musiker (lacht). Der Ursprung meines Schaffens ist aber nicht die Musik. Ich glaube schon, dass ich irgendwann etwas versuchen werde zu schreiben. Bisher war ich nur noch nie so happy damit.
Ich habe auch gesehen, dass du ein Fan des großen Twitter-Philosophen @Nein. Quarterly bist. Was denkst du über ihn?
Ich finde ihn witzig. Er fickt immer meine Timeline, weil er so krass viel macht. Er twittert halt immer, aber es sind sehr viele lustige Gedanken dabei. Tua hat mir den gezeigt, im Übrigen.
Er folgt ja auch Tua auf Twitter.
Ja? Dann hat Tua es geschafft.
Bist du manchmal enttäuscht, dass die HipHop-Landschaft deine tiefsinnigen Texte nicht ausreichend wertschätzt?
In meiner Anfangszeit hat mich das schon sehr stark genervt. Ich wollte unbedingt als Künstler wahrgenommen werden. Das ging aber sehr schnell weg. Im Endeffekt ist es nämlich egal, wie deine Kunst angenommen wird.
Wieso ist das egal?
Ich glaube daran, dass Worte sehr lange nachhallen. Vielleicht sind sie am Anfang nicht so laut, aber der Hall ist sehr, sehr lang. Und irgendwann gelangt er auch in die Winkel, in die er hingehört und bekommt die verdiente Anerkennung. Den Hall hat das Internet erweitert. Auf Twitter kann ich zum Beispiel meine Aphorismen posten. Es gibt Möglichkeiten, gelesen und gehört zu werden. Und da ist es egal, ob auf meiner Steuererklärung Rapper, Aphorismenschreiber, Literat oder Kanalreiniger steht.
Liest du gerade ein Buch?
Ich lese gerade ein Buch, komme aber wegen der Tour fast gar nicht zum Lesen. Und das obwohl ich sehr viel Zeit habe. Ich lese „Das Prinzip“ von Jérôme Ferrari.
Worum geht es in dem Buch?
Es geht um Physik und den berühmten Physiker Werner Heisenberg. Es werden Nachrichten an Heisenberg geschrieben, die zeitlich sehr verschoben sind. Auch seine Theorie zur Quantenphysik wird etwas erklärt. Das Buch ist sehr schön geschrieben, aber auch trocken. Es geht ja um Physik. Ich weiß auch noch gar nicht, ob ich es gut oder schlecht finde. Der Name des Autors – Jérôme Ferrari – verwundert mich sehr. Das klingt nach einem schlechten Namen für einen Pornodarsteller. Gleichzeitig ist es kein reißerisches Buch, auch wenn man das unter dem Autorennamen vermuten könnte. Das Buch ist wirklich, ich glaube, literarisch, nennt man das.
Du hast auch mal studiert, oder?
Ja, zwei Tage.
War das irgendetwas Sprachliches, was du studiert hast?
Nein, das war Kunstgeschichte und Philosophie.
Wann hast du den Entschluss aufzuhören gefasst?
Ich wollte eigentlich Kunst studieren und bin da nicht reingekommen, wo ich rein wollte. Dann dachte ich mir, dass ich ein paar Scheine in Kunstgeschichte mache. Philosophie stellte ich mir interessant vor. Ich ging zur ersten Vorlesung und habe überhaupt nichts gefühlt. Ich wollte da nicht sein. Ich wollte nach der Schule nicht in die nächste Institution. Das war mir alles zuwider. An diesem Abend habe ich einen Anruf bekommen, auf Tour zu gehen. Ich habe nicht lange überlegt, bin kurzerhand auf Tour gegangen, war also ein paar Wochen weg. Irgendwann bin ich zurückgekommen, aber nie mehr in die Uni gegangen.
So ist das oft im Leben. Das ist mir bei der Biographie von Zlatan Ibrahimovic aufgefallen. Wenn Menschen für eine bestimmte Sache gemacht sind, dann fügt sich der Zufall so sehr, dass diese Menschen fast dazu gezwungen werden, sich ihrer Bestimmung hinzugeben. In spielerischer Leichtigkeit kommt dann das eine zum nächsten. In deinem Fall: Studium angefangen, Anruf bekommen, auf Tour gewesen und dann hat sich das für dich die Entscheidung geklärt. Man sollte solche Momente, die jeder im Leben hat, nicht ignorieren.
Ja, finde ich auch.
Welche Bücher haben dich geprägt?
Mit Anfang 20 hat mich Hermann Hesse unheimlich geprägt. Er hat mir ganz viele Sachen eröffnet, mir neue Wege des Denkens gezeigt. So habe ich das zumindest in meinem Kopf abgespeichert. Was mich auch sehr geprägt hat, war der französische Schriftsteller Michel Houellebecq: „Ausweitung der Kampfzone„, „Elementarteilchen„, „Plattform„. Seine Bücher haben mich völlig mitgenommen.
Hast du das neuste Buch „Unterwerfung“ von ihm gelesen?
Ja, aber es hat mir nicht so viel gegeben wie seine letzten Bücher. Das war schon bei seinem letzten Roman „Karte und Gebiete“ so. Irgendwas fehlt mir bei seinen zwei letzten Büchern. Dann dachte ich mir, dass ich vielleicht nicht mehr jung genug bin und dass das der Grund ist, warum es mich nicht mehr mitreißt. Oder vielleicht habe ich schon zu viel von ihm gelesen. Die „Unterwerfung“ mit diesem ganzen Riesenkosmos um das Buch herum: Sein Roman erschien genau an dem Tag, an dem das Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo in Paris verübt würde. Eine Karikatur von seinem Buch war auch noch auf dem Cover des Satiremagazins zu sehen. Ja, ich fand das Buch schwierig. Ich war beruhigt, dass der Roman nicht reißerisch war, wie es kommuniziert wurde.
Mir hat das Buch gefallen. Da gab es einige Passagen, die mir nicht mehr aus dem Kopf gehen.
Zum Beispiel?
Am Anfang des Buches vergleicht er Beziehungen mit dem heutigen beruflichen Werdegang von jungen ehrgeizigen Menschen: von Praktikum zu einem immer besseren Praktikum hüpfen, in der Hoffnung sich seine prestigeträchtige Festanstellung zu sichern. So laufen, schreibt er, in dieser Passage auch Beziehungen ab: Wir springen von Beziehung zu Beziehung, um uns Kompetenzen für die große Liebe anzueignen. Dieser ständige Optimierungsgedanke hat zur Folge, dass man Angst hat sich zu entscheiden und diese große Liebe, auf die man hinarbeitet, deshalb verpasst.
Man erwartet oft viel zu viel. Die Partnerin oder der Partner muss alles erfüllen: geistlich, körperlich, Status, die Hobbys müssen stimmen. Es muss alles erfüllt werden und die Liste ist so unfassbar lang. Man lebt nicht mehr in dem Dorf, in dem man potentiell 17 Frauen im selben Alter zur Auswahl hat. Heute steht einem die ganze Welt zur Verfügung. Und daraus ist so ein komischer Anspruchskatalog entstanden. Und das ist nicht nur in der Liebe so, sondern in vielen anderen Bereichen, im Beruf zum Beispiel: ein komisches, zu genaues Bild von etwas ohne Fehler.
Wie können wir uns von diesem Anspruchskatalog entledigen oder freier machen?
Das weiß ich nicht. So große Worte und Gedanken habe ich leider nicht parat (lacht).
Welche Bücher sollte man deiner Meinung nach gelesen haben?
Die Klassiker sind nicht zu unrecht die Klassiker. Die sollte man lesen. Man sollte vielleicht auch mal abseits der Klassiker ein Buch von Chuck Palahniuk. Das ist der Typ, der die Vorlage zum Film „Fightclub“ geschrieben hat. Daher kennt man Palahniuk. Er hat viele tolle Bücher: „Der Simulant“ oder „Flug 2039“ zum Beispiel. Dieser Schriftsteller trifft auf eine sehr eklige Art und mit Bildern, wie ich sie in der Dichte noch nirgends gesehen habe, den Zeitgeist.
Hast du einen Lieblingsautor?
Nicht ganz. Also ich habe eine Amerikanerin, die ich spitze finde. Ich habe Kurzgeschichten von ihr gelesen. Sie hat auf jeden Fall kaum etwas herausgebracht, soweit ich weiß. Sie heißt Joy Williams.
Deine Botschaft an die Leser des Interviews:
Scheißt auf Lesen, guckt mehr Fernsehen!