Interview mit Hiob über „Abgesänge“ – Auf Fear and Loathing folgt Katharsis

Hiob gilt für viele Kenner als Ausnahmekünstler. Die Charismatischen, wortverspielten Texte über staubige Kneipentresen und Rinnsteine voller Kippenstummel sowie der eigensinnige Vortrag sind zeitlos – das sieben Jahre zurückliegende „Drama Konkret“ ist hervorragend gealtert. Die Zwischenzeit vertrieb sich Hiob durch Kollabos mit Pierre Sonality und seinem langjährigen Partner in Crime Morlockk Dilemma. Mit dem selbst produzierten „Abgesänge“ gilt es nun, dem Untergrund-Klassiker einen würdigen Nachfolger zu bescheren. Der laue Herbst bietet genau die richtige Kulisse für ein Interview, bei dem ungesund viele Zigaretten ihr Leben lassen müssen.

Das gesprochene Intro, das sich in einem Skit und dem Outro durchs Album zieht, konnte ich irgendwie nicht so richtig einordnen. Was hat es damit auf sich?

Das ist einfach eine augenzwinkernde Beweihräucherung auf mich selbst. Da ich das nicht selber einsprechen wollte, habe ich meinen alten Bekannten Mike Fiction gefragt. Der hat das für mich eingesprochen. Er ist ja auch Schauspieler und hat wesentlich bessere Fähigkeiten als Sprecher.

Krass, das war Mike Fiction? Ich habe die Stimme tatsächlich nicht erkannt.

So sollte es auch sein. Wir hatten uns das ein bisschen wie bei einer Tierdoku vorgestellt. Ganz so ist es am Ende nicht geworden, aber vor allem sollte es einfach alt, quasi vintage, klingen. Da habe ich schon beim Schreiben drauf geachtet.

Dein letztes Soloalbum liegt sieben Jahre zurück. Warum hast du nach den zwischenzeitlichen Kollabos erst jetzt wieder ein eigenes Projekt gestartet?

Alben mit Morlockk Dilemma haben für mich denselben Stellenwert wie ein Soloalbum. Da muss ich keine Kompromisse eingehen, das ist mein Album. Sonst war ich nach der ganzen Tourerei und der ganzen anderen Musik einfach ein bisschen leer. Aber es gibt ein Leben neben der Rapgeschichte. Da sind Sachen passiert, die mir wichtiger waren als Rap.

Die Sachen, die du gerade ansprichst, schlagen sich auf „Abgesänge“ gar nicht so nieder, oder?

Tatsächlich ist das Album in so einer Fear-and-Loathing-Phase entstanden. Zumindest viele Konzepte und Skizzen. Die Ausarbeitung war dann schon die Katharsis-Phase. Insofern ist das schon ziemlich eng miteinander verknüpft. Ich habe halt noch nie sonderlich konkret über private Erlebnisse geredet. Da hängen ja immer noch andere Personen mit drin. Das wäre ein Vertrauensbruch, deswegen kodiere ich das. Manche Geschichten auf dem Album sind wie Metaphern für hintergründigere Erlebnisse.

Du hast wenige Experimente gewagt, auch die Gäste sind aus dem engsten Umfeld. Hattest du sieben Jahre nach „Drama Konkret“ keine Ambitionen, dich auszuprobieren oder neu zu erfinden?

In der Entstehungsphase sind noch viele andere Sachen entstanden. Ich bin gerade mit einem anderen Produzenten am Arbeiten, das wird in eine andere Richtung gehen. Da geht es nicht darum, irgendwo auszubrechen, sondern mehr darum, diesem ganzen Deutschrap-Ding etwas neues hinzuzufügen. Diesen Anspruch hatte ich sowieso immer an mich, auch bei „Drama Konkret“ und „Kapitalismus jetzt“. Klar, da wurde nie das Rad neu erfunden, aber die Kombination von Rapstil, Samplewahl, Drumkits und so weiter, war in meinem Gefühl immer ziemlich unique. Für „Abgesänge“ war das aber nicht unbedingt die Herangehensweise.

Du hast ja durchaus auch den ein oder anderen Rapper maßgeblich beeinflusst. Liegt das an deiner Einzigartigkeit? 

Einige aus dieser musikalischen Ecke haben mir das auch schon gesagt. Viel von dem, was in Deutschland aus der Boombap-Nische kommt, langweilt mich. Da passiert zu vieles nach Schema-F. Jazz- oder Funksample, Standard-Drumkit…

…und verbitterte Battlelyrics.

Genau. Das Problem hatte ich schon ganz früh. Ich finde es oft sehr belanglos. Ich höre mir lieber zum millionsten Mal die Geschichte von dem aus dem Ghetto an, der jetzt ein dickes Auto fährt als von dem, der sich zuhause auf dem Sofa ’nen Joint anzündet. Diese Mittelstandsprobleme interessieren mich nicht.

Was du machst, ist ja fast schon ein gossenromantischer Gegenentwurf zum klassischen Straßenrap.

Ich sehe es gar nicht so als Gegenentwurf. Es ist mein Entwurf. Ich hatte schon immer einen Hang zum Morbiden. Da stand ich immer ein bisschen zwischen den Stühlen. Meine Biografie ist schon Straße, aber ich war halt kein Banger und habe schnell gemerkt, dass das nichts für mich ist. Aber ich hatte halt auch nie viel mit Leuten mit akademischem Hintergrund zu tun. Vielleicht kommt daher auch die Perspektive, aus der heraus ich die Texte formuliere.

Bei Straßenrappern erlebt man aber oft den Punkt, an dem es zu diesem Ich-habs-Geschafft-Prunk umschlägt. Durch deine Musik zieht sich seit vielen Jahren der Eckkneipen-Flavor.

Ich hab’s ja auch nie geschafft. Ich weiß aber auch gar nicht, ob ich es schaffen wollte. Diese Geschichte vom Straßenticker, der am nächsten Tag auf ner Yacht vor Ibiza rumfährt, geht mir mittlerweile auch oft zu schnell. Das ist so schnell auserzählt. Aber bei mir hat sich auch nicht so viel verändert, ich habe es auch nie auf die große Karriere angelegt. Ende der 90er konnte ich hinter die Vorhänge blicken. Das war die Zeit, in der DEF Jam Germany gerade jeden gesignt hat und es den ersten großen Deutschrap-Hype gab. Da hat mich das schon abgestoßen. Seitdem hatte ich keine Ambitionen mehr, ne große Welle zu machen. Ich mache einfach meine Musik, wie ich sie mir vorstelle – deswegen hat die Perspektive in den Erzählungen sich auch nie großartig verändert.

Das muss ja nicht finanzieller Natur sein. Seit jeher herrscht in deiner Musik ja eine Lethargie und Tristesse vor. Hängt das nicht eher mit deinem Mindstate zusammen?

Das ist eine Sache, die mich mein ganzes Leben lang über angezogen hat. Ich bin ja auch im ehemaligen Ostberlin großgeworden, das war schon abgefuckt. Jetzt wohne ich auf eine andere, angenehm abgefuckte Art. Insofern ist das einfach eine Ästhetik, die ich mag.

Könntest du noch interessante Musik machen, wenn du nicht mehr von dieser Ästhetik umgeben wärst?

Das Album ist ja kurz vor einer Art Katharsis-Phase entstanden. Im Moment lebe ich relativ gesund, aktuell trinke ich auch nichts. Aber ich habe genug Geschichten aus dem wilden Leben übrig. Die eigentliche Frage ist ja, ob man ewig so weitermachen kann. Ich glaube nämlich nicht.

Wie kam es zu dieser Katharsis?

Das ist bei mir immer so eine Phasengeschichte. Ich bin nicht immer im Delirium rumgerannt. Ich hatte das Album fertig, das ironischerweise auch noch „Abgesänge“ heißt, und die Fertigstellung ordentlich begossen. Da war ich noch mal richtig auf meinem Amok-Modus. Seitdem habe ich irgendwie keine Ambitionen mehr, mich zu betrinken. Wenn man 20 Jahre konsequent gesoffen hat, ist der nüchterne Zustand aber auch einfach spannend. Ich war am Wochenende auf einer Jam in Wuppertal und da fiel mir auf, dass ich bei derlei Veranstaltungen nie wirklich nüchtern war. Das war eine interessante Perspektive und auch nichts, wozu ich mich zwingen musste.

Was deine Musik abseits dieser Ästhetik prägt, ist deine Wortwahl. Wenn man einen Text von dir liest, weiß man direkt, dass es deiner ist. Woher kommt dein Faible für eigensinnige Wörter? Hängt das vielleicht damit zusammen, dass dein Vater Autor war?

Naja, wenn überhaupt, dann unterbewusst. So viel hatte ich mit meinem Vater aber nicht zu tun. Aber ich bin mit Sprache und Büchern aufgewachsen. Ich sammele einfach Worte und Lines. Unabhängig von Ideen für ganze Texte, habe ich einen riesigen Pool an Textdateien. Das können auch einfach Zitate oder Buchtitel sein, beinahe wie Sampling. Mir ist es aber wichtig, dass es nicht gewollt klingt. Darauf achte ich sehr. Der Fluss darf nicht angestrengt klingen.