Im Berliner Wedding empfängt mich John Known in seinen privaten vier Wänden. Beim Betreten der Räumlichkeiten begrüßt mich neben ihm eine sehr klar definierbare Geruchswolke: Gute Knospen scheint der Wahl-Berliner zu inhalieren.
John Known ist sehr herzlich, zuvorkommend und bodenständig. Er liebt und lebt Musik in jeder Ader. Während dem Gespräch vergesse ich zeitweise, dass ich mich zum Interview mit einem für mich noch fremden Künstler getroffen habe. Ich hänge auf seinem Sofa in entspannter Pose und fühle mich, als wäre ich bei einem langjährigen Kumpel zu Gast. Am Folgetag wird seine dritte EP „S01E03“ veröffentlicht. Wiederum einen Tag später stehe ich im Berliner Badehaus inmitten der Crowd und bestaune John Known auf der Bühne bei seiner Releaseparty.
Grundsätzlich würde mich interessieren, wie du damals zu Rap gekommen bist?
Das hat angefangen mit fünf, sechs, als Vaddi sagte: Du lernst jetzt Gedichte auswendig. Ich solle verstehen, wie die Sprache genutzt werden kann. Daher kommt das mit dem reimen und dichten. So richtig Rap kam dann über meine Cousins aus Irland. Die haben mir ein Tape ready gemacht. Da waren einige Deutschrap Klassiker gepaart mit bisschen US Rap drauf. Das war mein erster bewusster Kontakt zu HipHop. Es kam Eminems „Marshal Matters LP“ und alles, was es so mit sich brachte. Als dann das Internet kam, konnte ich mich plötzlich noch intensiver mit der Materie auseinandersetzen, du musst wissen, ich komm aus der fernen Vorstadt und sowas wie Backspin oder das Juice-Magazin gab es 30 Kilometer weiter am nächsten Bahnhof. Also habe ich mich direkt auf den amerikanischen Markt geworfen. Schnell bemerkte ich, dass der Eastside Sound mein Ding ist. New York hatte es mir angetan, wobei es auch Westcoastler gab, die den Film fuhren. Größte Faszination hatte ich bei der Recherche, dem Diggen. Immer mehr flashte mich auch das Unbekannte, die B-Seiten, Musik, die halt nicht von den NWAs und Naughty by Natures dieser Welt kam. Beispielsweise Poochi Tha Fat Bastard oder the Little Indian. Da gibt’s unzählige krasse MCs.
Waren das Jungs, die dich inspiriert haben?
Viel eher der Sound insgesamt, der Vibe, die Technik der Wortakrobatik! Die ersten Beats, auf die ich gerappt habe, waren welche, die ich selbst gebaut hatte, aber die waren räudig. Meine erste Vinyl war 2001 die „Petestrumentals“ von Pete Rock. Seine Produktionen hatten mich unlängst in den Bann gezogen und „Lots of Lovin“ mit CL Smooth ist noch immer einer meiner Fav-Tracks. Ich hab lange Zeit versucht, übers Internet an Produzenten zu kommen, landete früh auf Soundcloud, vorher noch MySpace und Co. Die ersten wirklich nennenswerten Aufnahmen fanden um 2006/2007 statt. Die Stieber Twins brachten als Twin Plastic 2007 die “Speechless”-Instrumental LP und ich habe jeden Beat auf der Platte für damalige Verhältnisse zerrissen (lacht). Ich schrieb lustige Songs über Fahrräder und Konzerte, die ich abreißen werden würde, rauchte heimlich das erste Haze und fühlte mich in dieser HipHop Blase ziemlich wohl, wenngleich ich dort, von wo ich herkomme, damit so ziemlich alleine da stand.
Hat dich auch jemand Deutsches inspiriert?
Die Inspiration beginnt mit frühem Hamburger HipHop, Stuttgarter Rap und geht über frühe Geschichten etwaiger Gestalten, die heute nichts mehr releasen sollten. Sie hängt 2008 lange Zeit im Berliner Funkviertel um einen jungen V-Mann und in den Erzählungen eines Morlockk Dilemmas rum. Säuft mit Dexter Schulle und findet mit Marsi den Döner in sich. Und das könnte stundenlang so weitergehen. Inspiration ist omnipotent und das ist gut so.
Bist du ein Partymensch und fegst hier in Berlin durch die Clubs?
Nee, gar nicht. Wenn ich Party mache, will ich die Party machen.
Wieso warst du zweitweise nicht ganz so überzeugt von Rap?
Ich habe HipHop gar nicht wahrgenommen und hatte keinen Bezug mehr. Dann kam ich damals zum splash! und dachte: „Oh je, adieu Niveau, hallo Atze!“ Nichts gegen Atzen, aber ich hab nicht ohne Grund den Ballermann bisher gemieden. Dann traten dort Jungs wie Joey Bada$$ oder Action Bronson auf und mein nächster Gedanke war: „Oh, das geht gerade bei HipHop, HipHop geht wohl wieder richtig ab.“ In meinem Alter ist man mit der harten Kommerzialisierung des Raps aufgewachsen, zumindest da, wo Rap funktioniert hat. HipHop veränderte sich. Schau doch bei Fler oder den Gorillaz, die releasen in regelmäßigen Abständen Alben und liefern dem Hörer den perfekten Querschnitt über das, was Popkulturell gerade abgeht. Generell bekomm ich in der Szene oft direkt Fremdscham. Davon will ich manchmal gar kein Teil sein. Ihr habt alle euren Spaß – schön und gut, aber in meinen Augen reicht es einfach nicht, das zu machen, was XY macht, weil XY damit Cash macht.
Warum hast du dich für die Anordnung deiner EPs in einzelne Episoden entschieden?
Die Anreihung der Episoden in diesem Format ist sehr bewusst gewählt, da ich kein großer Fan von bin, die Platten X, Y, Z oder gar Yen, Euro, Dollar zu nennen. Ich möchte das Gesamtbild wahren, welches John Known ist und die verschiedenen Episoden geben einzelne Facetten von mir wieder. Die erste ist eine Figub-Platte, die zweite ist anders, eventuell moderner, aber auch hier hört man verspulte Dilla-Grooves heraus. Der Sound ist ein vollkommen anderer, wenngleich auch sehr naher Freund von Hip-Hop. Wie gesagt zeige ich Facetten – und es gibt für mich kein Genre, es gibt nur gute und schlechte Musik.
Wieso packst du nicht alles in ein Album und zeigst dort verschiedene Seiten?
Damit mich die Leute kennenlernen können. Danach kommt dann das Filmstück in Form vom Album. Davor kommen aber noch drei Episoden der zweiten Staffel. Die Demos und Tracks der EP sind alle schon da und nahezu fertig. Sie müssen nur noch konkret ausgearbeitet werden, daran sind wir gerade.
Mit dem Ende der zweiten Staffel gibt’s dann also John Known auf einem Langspieler?
Wir arbeiten daran. Ich habe vor einem halben Jahr den ersten Beat fürs Album gepickt. Wir werden den vollkommenen Sound anstreben. Zu versuchen, das, was man liebt, auf 14 bis 18 Tracks limitiert wiederzugeben, ist bei der Range ein wunderschöner Kampf. Ich will abliefern! Als nächstes steht ein Kollaboration mit den Red Bull Studios an. Ich verrate nicht zu viel, aber es wird krass. Ich bin unglaublich dankbar dafür, dass wir nach und nach immer mehr Möglichkeiten bekommen, Musik machen zu können, neue Menschen kennenzulernen, Musik zu machen, Konzerte zu spielen und Musik zu machen. Du verstehst! Ich sag zwar immer, es kommt viel, aber ich denke drei EPs in einem Jahr sind ’ne Ansage in Deutschland. Wir stecken unser Feld ab, festigen das Fundament für die kommenden Jahre!
Kürzlich hat dich das splash! fürs diesjährige Festival präsentiert. Gefühlslage
Splash!? Geil, wa. Ganz im Ernst, es ist alles aufgegangen, wie es aufgehen sollte. Ich bin vor drei bis vier Jahren zum ersten Mal auf dem splash! gewesen. Damals sagte ich „Wir sind alle derbe verpeilt, rauchen viel zu viel Gras und haben viel zu verrückte Ideen, die viel zu viel Zeit einnehmen, die wir nicht haben – aber, wenn ich nochmal hierher komme, spiele ich live.“
Du kommst aus einer Kleinstadt, warst früh viel in Hamburg und lebst jetzt in Berlin. Wo siehst du dich in Zukunft?
Ist mir scheißegal, ich brauch einen Platz, an dem ich sein kann und machen kann, was ich will – wo ist relativ egal. Klar ist der Ort entscheidend. Alles ist ausschlaggebend, alles fließt mit ein. Die erste Platte mit Figub ist zwecks Wortwahl und Vibe klar Hamburg. Die zweite Platte wiederum ist auch in Hamburg entstanden aber hat einen ganz anderen Hamburg-Vibe. Die dritte ist beim Pendeln und im Wechsel entstanden. Teils in Hamburg, teils in Berlin und ein bisschen in der Klinik.
Hast du ein Image?
Muss ich? Das beste, was ich machen kann, ist zu erzählen, was in mir vorgeht und passiert, um anderen zu zeigen, dass sie im Zweifelsfall nicht alleine sind.
Du willst mit deiner Musik also anderen helfen?
Ich will auch mir helfen, mit Situationen und Dingen klar zu kommen, was egoistisch klingt. Ich habe selbst gemerkt, dass mir andere Künstler helfen konnten. Menschen Sichtweisen zu geben, bringt das Gefühl der Gemeinsamkeit. Bei meiner Musik ist der Fokus voll auf meinen Freunden, der Familie. Crack & Snack zum Beispiel sind nicht nur unglaublich gut was den normalen Film angeht, Finn & Phil sind auch enge und jahrelange gute Freunde. So geht es mit fast allen: Die, die neu ins Team kommen, werden schnell zu Freunden. Das zieht sich wie ein roter Faden durch die letzten Jahre. Ich habe diese Menschen in der Musik oder durch die Musik kennengelernt und gefunden. Finn und mein erstes Aufeinandertreffen war auf der Weihnachtsfeier unserer Eltern. Wir haben uns Musik gezeigt. Sozusagen bin ich ein lebender Beweis, dass Musik verbindet, Freunde schafft und jeder kann zum Beweis werden, wenn er es zulässt.
Es gibt einen Part von dir auf Samy Deluxe seinem Tape „Gute alte Zeit“. Das muss damals krass für dich gewesen sein, oder?
Samy ist Legende. Das war 2013, kurz nachdem ich Figub kennenlernte, die ersten fünfzig Demos aufgenommen hatte und sie im Freundeskreis rumreichte. Ein paar davon landeten in Samys Tourbus und er wurde rasch aufmerksam. Er fragte dann nach mir und wollte mich kennenlernen. Wir waren zum Barbecue in seiner KunstWerkStadt und er meinte direkt: „Yo, ich will einen gemeinsamen Track machen.„ Ich so: „Digga, Let’s Go!„ An dem Tag hatte ich eine kurze Hose an und Samy lieferte gleich eine Anmerkung zu meinem Tattoo am Bein: „Ah, die 13 für die Mongo Clikke, wa?“. Bis heute der Einzige, der’s direkt gepeilt hat. Mein erstes Tattoo, ist nicht einmal eine Jugendsünde, ich bin halt Kind dieses Sounds, dieser Zeit. Meine Art des Tributs. Oder so. (lacht)
Ich merke schon an deiner Reaktion, dass dies eine große Sache für dich war.
Guck mal, ich hab meinen ersten Joint zu so ’nem Live-Rip von Samys „Hymne“ feat. Ferris von der Christmas Jam ‘99 geraucht. Halt Jahre später, als Limewire gerade am Start war. Aber ja, es war ein ultra krasses Gefühl, als das Feature am Start war. Tut mir auch echt leid für Samy, aber mein Part ist der wackste meines Lebens. Er hätte Qualität kriegen können, aber wenn Samy ruft ist dir im Affekt egal, dass du Grippe hast und dein Kopf keinen Reim gerade heraus kriegt…
Wie ging es dann weiter?
Ich lernte etwa ein halbes Jahr vor Samy Figub kennen. Damals wusste ich nicht mal, wer dieser Figub Brazlevic überhaupt ist. Da hatte er längst mit Schwesta Ewa & Co. gearbeitet, kurz vor seiner „Ersatzverkehr“-Scheibe. Das war alles so surreal. Du gewinnst splash!-Tickets beim Freestylen, trittst da auf und spielst vor paar tausend Leuten. Dann kam Samy. Du machst mehr Mucke in der KunstWerkStadt. Hamburg ist klein und das machte schnell die Runde, plötzlich triffst du dich mit einen Manager, der dir ’n Vertrag hinhält und gute Referenzen hat. Dann hast du auf einmal eine Crew, Digga, mit Sprayern, Breakdancern, Produzenten, DJs, und du kennst noch nicht mal alle. Aber dein DJ ist mies motiviert und will ’ne Supergroup für Hamburg formen. Du landest in Musikvideos anderer Rapper und mit deinen Songs nicht immer auf die Meinung der Crew, aber ey: Du bist voll im Film, Hamburg City heftig, Digga!
Also auch für dich ein sehr rasanter Einstieg?
Voll. Aber vor’m Vorhang hat’s ja keiner mitbekommen, da nichts gefolgt ist nach dem Samy-Feature. Ich habe einfach Mucke gemacht und während alle Erwartungen Richtung Release gingen, wollte ich mich erst einmal finden. Genau deswegen kam auch keine EP, da es Kopffick war. Du kommst rein und weißt nicht, wie dir geschieht. Ich war damals eh mehr im Krieg mit mir selbst, hin und her gerissen zwischen den Dingen. Privat, Job, Musik, Erwartungen – anderer und deine eigenen, Familie. Druck, real oder eingebildet. Man selbst sollte bestimmen, wann, wie, wo – und nicht fälschlich geblendet werden von Dingen, für die du nicht bereit bist. So sehe ich das heute, damals bin ich durch die Hölle gegangen.
Aber jetzt bist du voll am Start?
Überzeugungskraft, Glaube, Liebe und Geduld von meinen engen Leuten war nötig, bis vor einem Jahr dann meine finale Entscheidung fiel: Ich mache jetzt Musik und es ist das Richtige. Es ist der Weg, den ich gehe und wenn ich auf die Fresse fliegen sollte, dann immer noch lächelnd und mit meiner Überzeugung im Rücken. Besser als gebückt etwas zu machen, was ich nicht machen will. Das macht mich halt gesellschaftlich vielleicht nicht so kompatibel, aber jeder muss seinen Preis zahlen.
Werden wir mal konkreter. Deine brandneue Episode „S01E03“ ist am Start. Was fällt dir zum Song „Von Söhnen und Vätern“ ein?
Das ist genau der Track, wo ich persönlich mit meinem Vater aufgeräumt hab. Auch, was das Gesellschaftsding angeht. Das Leben, das ich führe, war keines, wie sich es mein Vaddi für sein Söhnchen vorgestellt hatte. Ich weiß, dass ich es ihm nicht beweisen muss. Unsere Wahrnehmung und Auffassung ist in mancher Hinsicht einfach eine völlig andere. Durch unser Verhältnis habe ich sicher auch gelernt, Empathie und Verständnis für Leute aufzubringen, die anders denken. Der Dialog ist das wichtigste. Ich komme aus einem konservativen, katholisch geprägten, evangelisch erzogenem Haus vom Lande, mein Vater ist Nachkriegskind.
Und zum Song „Felsenfest“?
Rapper sollten aufpassen. Meine Motivation bei dem Song war klassisch: Fuck you, fuck you and fuck you.
Und abschließend dein erster Gedanke zum Song „Non Moriar“ feat. OG Keemo?
OG Keemo wird rasieren, er hat alles, wirklich alles! Digga, der weiß was, schreibt clevere Dinger, on point. Bin dankbar, ihn zu kennen!
Wie bist du an ihn geraten?
Naja, er ist ein guter MC und noch besserer Mensch, ich bin ein guter Mensch und noch besserer MC, machen wir ein Feature.
Entstand der Kontakt somit über Social Media?
Ja, via ‚Gram (rollt mit den Augen). Haben uns dann gepeilt, bisschen Session gemacht und gechillt. Mit einem MC möchte ich mich unterhalten und die Person kennenlernen. Mit Chima Ede, Morten und Marvin Game war es ähnlich. Mit denen bin ich sehr gerne. Die sind so krass gute Menschen. Und Nachbarn. Moabit und Wedding, yeah. Aus dem Zwischenmenschlichem entsteht ja erst die Musik. Mein ich.
Würdest du die Beziehung zwischen Figub Brazlevic und dir als Freundschaft betiteln?
Mies Freundschaft. Die Möglichkeit zu haben, mit Freunden arbeiten zu können, ist das geilste und schlimmste zugleich. Deswegen habe ich einen Manager, damit der mein Business macht. Ich will mich auf die Musik konzentrieren, Videos drehen, Budgets erarbeiten, um noch krasseres Zeug zu machen. Ich mach nichts anderes als Mucke und mich mit meinem miserablen Leben auseinanderzusetzen. Wäre schön, wenn sich das in naher Zukunft selbst tragen könnte. Wir arbeiten daran.
Was steht musikalisch in Zukunft an?
Releasen, release, releasen. Ich werde mit verschiedenen Produzenten Singles droppen. Mit sehr, sehr guten Leuten, die man kennt. Ich will keine Namen nennen, da die Sachen noch nicht fertig sind aber da wird gutes Zeug kommen. Jetzt kommt erstmal das Staffelfinale + Video zu Vertraulich, aber wer Crack & Snack kennt, weiß, da ist noch was in der Pipeline. Weiter viel Studio Zeit! Ich hab mies Bock auf alles, was ansteht. Wir spielen ein paar Konzerte demnächst, Festivals, und schauen, ob wir noch eine kleine Tour zum Jahresende schaffen.
Willst du noch irgendwas sagen oder loswerden?
Ihr könnt alle sterben gehen, haha, Joke. Deutschraaap! Nee Mann, sag den ganzen Leuten nette Grüße, wir arbeiten hier am Greatest Of All Time-Plan, andere wollen nur Rolls Royce fahren. Und besondere Grüße an Bambus, SugaBoy, Yunis, Keemo & Funkvater Frank, Crack & Snack, Till, Benne Basquiat, Yung Henke, Knauf, GG, Marius, Figub, Emily, KMD Crew, Lava Gang, Halloumi, Bilal, Wadda und Zamba!