Alligatoah – Schlaftabletten, Rotwein III

Alligatoah, das sind Rapper Kaliba 69 und Produzent DJ Deagle. Zusammen führen sie seit geraumer Zeit die „Schlaftabletten, Rotwein„-Albenreihe, die vorerst als Trilogie in vorliegendem dritten Teil endet.
Über beide kann man nicht allzu viel herausfinden, auch wenn man sich auf ihrer Website informierten will. Kaliba 69 sieht sich mehr als satirischer Schauspieler denn als Rapper. DJ Deagle ist mit dabei, weil er nicht so allein sein wollte. Woher die beiden stammen, erfährt man auch nicht, ausgehend davon, dass die Release-Party in Berlin war, lässt sich aber darauf schließen, dass Alligatoah zumindest aus der Umgebung der Hauptstadt stammen könnten.

Kaliba
69
ist eine überaus komplizierte Persönlichkeit, und dass man es hier mit allem anderen als einem leicht verdaulichen Album zu tun hat, merkt man bereits beim Intro („Komm hau ab“). Alligatoah erschafft sich seine eigene Welt namens Terrorstadt, ein Ort voller Kontroversen,  der gleichermaßen einlädt wie abstößt. Terrorstadt gehört zu „Fledermausland„, in Anlehnung an „Fear and Loathing in Las Vegas“, wobei Parallelen zwischen Raoul Duke und Kaliba 69 zu erkennen sind in Bezug auf die einsame und verstörte Wahrnehmung der Umwelt.
Dieser Track stresst extremst durch die halb-gerufene Vortragsweise, die verschiedenen Betonungen und die textlichen Irrwege: „Drauf geschissen, wer sich um die Gießkanne kümmert / mit vereinten Kräften wird der Spielplatz zertrümmert“. Sehr verwirrend.„Unten ohne“ mit Shneezin von den Essener 257ers behandelt die Vorstellung einer Welt, in der eines Morgens einfach keiner mehr eine Hose trägt. An sich ein kleines lustiges Bild, aber das war’s dann auch schon. Kalibas Part, in dem er einfach Berufe und Tätigkeiten aufzählt, bei denen nun die Hose fehlt, ist schlicht unlustig. Shneezin rettet den fehlenden Humor genauso wenig wie dieser typische „Jetzt kommt was zum lachen“-Beat, der über die dreieinhalb Minuten sogar ziemlich nervt. Allerdings macht Shneezin mit seiner lässigen Vortragsweise Kaliba 69 ordentlich was vor, denn der versucht zum wiederholten Mal durch möglichst bescheuertes Betonen total verrückt rüberzukommen. Das ist aber leider mehr ermüdend als verrückt.

Im nächsten Song geht es genauso flach weiter. So flach, dass ich schon wieder grinsen muss, aber auch nur wegen der „Es stinkt nach Tripper……. In Deinem Schlüpper“– Hook und dem endlosen Wirren von Kaliba durch seine eigenen Strophen. Hier wird mit Katzen geworfen, bevor in den Heißluftballon gestiegen wird. Wie aus dem Nichts hat er dann auf einmal Spinnweben und Schimmelkäse unter den Fingernägeln, nur um im nächsten Moment ein Eis an Weihnachten zu essen. Und äh, Deine Mutter ist Massiv!

Insgesamt schon lustig, sofern man sein Hirn komplett ausschaltet und nicht versucht zu verstehen, was in dem jungen Herrn hier vorgeht. Hat man sich an diesen „einzigartigen“ Stimmeinsatz gewöhnt ist der Track durchaus hörbar.
Namen machen“ ist bereits durch das dazugehörige Video bekannt und witzig für jeden, der sich regelmäßig über Clips von irgendwelchen Opfern auf YouTube beömmelt. Ein paar Insider-Witze über „Star Wars“– Kinder und Leute, die ihr Bier konsequent weiter trinken, auch wenn sie bereits reingekotzt haben, und schon bietet das Lied Identifikationsmöglichkeit. Dazu noch eine witzig gesungene Ohrwurmhook, begleitet von einem poppigen Beat mit Gitarre und es ist perfekt.

Der Track „Abgestochen“ ist dann schon fast ein Geniestreich, so dass ich hierzu nichts weiter schreiben will, um die Pointe nicht vorweg zu nehmen. „Schwamm drüber“ klingt etwas sehr stark nach den 257ers, geballte Sinnlosigkeit gepaart mit Wortwitz, einer hängenbleibenden (und hängengebliebenen) Hook. Bei diesem Stück muss man schon etwas schmerzfrei sein, um den absurd-betonten „SCHWAMM DRÜBER!“-Rufen nach jeder Line standzuhalten. Hier weiß ich wirklich nicht, ob ich’s zum Kotzen oder zum Lachen finden soll und ich glaube, dass das die Reaktion ist, die eine so provokante Crew wie Alligatoah auch hervorrufen will. Dieses Vorgehen scheint Methode zu haben.

Alles andere als normal sein und sich möglichst weit vom Rest der Rapszene zu distanzieren, ist auf Schlaftabletten, Rotwein III“ die Devise. Denn so manch weitere, andersartige Überraschung erwartet den Hörer auf diesem Album.

Die Kunstfigur Alligatoah steht für intelligentes Chaos. So bescheuert und unhörbar manches durch textliche Irrwege, unästhetische Aussprache und grässliche Ohrwurmhooks (siehe „Geschäftsmann“) auch sein mag, letztenendes macht es Sinn – auch wenn der Protagonist manchmal so dermaßen Off-Beat rappt, dass man ihm gerne ins Gesicht treten würde.

Der Haken an der Sache, der sich spätestens bei „Die Kunst des Bitens Reloaded“ offenbart: Kaliba 69 KANN es anders, WILL aber partout nicht. Er weiß, wo die Stärken anderer MC’s liegen und geht die Sache trotzdem, oder gerade deshalb, komplett anders an. Klar ist das alles noch Rap und das, worauf er da rappt, sind Beats, aber das sind auch so ziemlich die einzigen Gemeinsamkeiten mit anderen Rappern. Auf die ersten drei Blicke ist es einfach nur geistiger Dünnschiss, der hier in die Welt geschmissen wird, auf den vierten Blick erkennt man die Einzigartigkeit in der Verarbeitung aller behandelten Themen und sogar eine Art roter Faden in jedem Song. Nur hat der rote Faden hier einen kotbraunen Touch.

Im Endergebnis handelt es sich bei „Schlaftabletten, Rotwein III“ um ein gutes, aber anstrengendes und kaum bodenständiges Album. An einem Stück wird das wohl niemand  ohne Beruhigungstabletten durchhören können. Das macht es aber nicht unbedingt schlecht, ganz im Gegenteil: Jedem, den der Einheitsbrei der Masse ankotzt und der was Frisches, Aufregendes (und Albernes) sucht, sei diese Investition von zwölf Euro absolut ans Herz gelegt.

Zudem ist die CD maskiert und das ist auch geil.