Kanye West – My Beautiful Dark Twisted Fantasy

So richtig konnte mich Kanye nie überzeugen. Klar, die ersten drei Alben waren allesamt groß, aber ihn in den Status des HipHop-Künstlers der Dekade zu erheben, wie es verschiedene Kritiker ja taten, schien mir deutlich überzogen. Und seien wir mal ehrlich: Dieses Autotune-Album war schon ziemlich scheiße. Drei, vier gute Songs, aber insgesamt ohne jede Nachhaltigkeit.
Was West aber von jeher – neben der Fähigkeit für Skandale zu sorgen und den Verstand zu verlieren – gut verstand, war die Vermarktung seiner selbst. Das Großmachen seiner Musik und alles, was er tut, macht, sagt, schreibt, singt, produziert, in einen riesigen Gesamtkontext zu packen, der da heißt: Kunst.Kanye West ist ein Inszenator, eine Kunstfigur, er macht sich so lange und so beständig so dermaßen wichtig für die Welt, bis die Welt schließlich glaubt, dass Kanye West tatsächlich unglaublich wichtig ist.
Kanye West gibt dem XXL-Mag kein Interview, nein, er schreibt lieber einen Artikel über sich selbst.  Kanye West droppt ein Album mit zwanzig verschiedenen Covern, die allesamt von irgendeinem verschrobenen Künstler geschaffen wurden und Kanye West dreht zu Promozwecken einen dreißigminütigen Film, der abgedrehter nicht sein könnte und zu keiner Sekunde langweilig ist. Dass hier im Vorfeld praktisch alle Songs des Albums in irgendeiner Weise im Netz zu hören waren, ist dabei zweitrangig. Denn trotz allem wird das Gesamtkunstprojekt “My Beautiful Dark Twisted Fantasy” garantiert wieder genügend Moneten in die Kassen des Louis Vuitton Dons spülen. Man kauft es einfach trotzdem. Und die Musik? Na ja, die ist genauso perfekt inszeniert, wie das Albumprojekt nach außen.
Zunächst einmal wirkt “Fantasy” wie eine riesige Rapsuperstarcypher: Jay-Z, Pusha T, Nicki und der dicke Ricki, sie alle sind gleich mehrfach an Bord.  Nicht zu vergessen Kid Cudi, Reakwon, RZA, Rihanna, Premo, Swizz Beatz, John Legend usw., usf. Trotzdem dreht sich das Album letztendlich wieder nur um diese eine Person, die die Zügel in der Hand hält und deren Handschrift überall erkennbar ist. Noch größer, noch bombastischer, noch abgedrehter.
Jeder Song hat einen eigenen Spannungsbogen, beginnt simpel und wächst dann aber über Drums und Snares und Keys und Autotune und Breaks und Gastparts zu einem Sounddickicht, dass dann irgendwann nach fünf Minuten seinen Höhepunkt erreicht und dann noch weitere drei Minuten ausklingt. Wie man aus einer einfachen Pianoline eine so beeindruckende Acht-Minuten-Single wie “Runanway” machen kann, das weiß nur Kanye West und das beherrscht auch nur er, der Inszenator.

Oder nehmen wir “Power”: Erst die Claps und der Chor, dann die Lyrics des Meisters, dann die Gitarre und die Drums und das Feuerwerk ist perfekt. Kurzum: Kanye West ist angekommen. Er ist, wie man so schön sagt, on top of his game, auf dem Höhepunkt seines Schaffens und gegen die Songs auf diesem Album wirken seine ersten Releases wie passable Standardwerke irgendeines Roc-Anhängsels. Er nimmt die HipHop Elemente dieser längst vergangenen Zeit des „College Dropouts“ und das Popappeal von “808s&Heartbreaks” und baut daraus eines DER Rapalben 2010.
Das alles wirkt zu keinem Zeitpunkt überladen sondern eher wie eine Art HipHop Orchester – extrem groß, extrem breit, extrem unterhaltsam. Schwachstellen herauszupicken erscheint ebenso schwierig wie klare Höhepunkte auszumachen. Vielleicht könnte man ankreiden, dass der letzte Song “Lost In The World” noch zu sehr die Luft des Vorgängeralbums atmet und Kanye es wieder nicht geschafft hat, seinem Flow ein paar neue Facetten abzugewinnen. Aber das wäre Haarspalterei und eigentlich muss man die Texte nicht mal verstehen, um zu begreifen, dass “My Beatiful Dark Twisted Fantasy” ein großartiges Stück Musik ist, das man in fünf Jahren noch genauso hören kann wie heute. Und in zehn Jahren und in zwanzig Jahren und auch noch in dreißig Jahren.

Zeitlos, großartig, genial. Bam!