Haftbefehl – Azzlack Stereotyp

Haftbefehl. Mister Kontrovers himself. Entweder man liebt oder man hasst ihn. Aus diesem Grund gibt es hier und heute zum ersten Mal die „Ohrenschlacht“, weil wir uns Redaktionsintern absolut nicht einigen konnten. Wir wünschen viel Vergnügen!
Für alle schon bekennenden Haftbefehl Fans gibt es hier den Link zu den Dates seiner „Auf Der Flucht Tour 2010“.

 

Der gehypte Haftbefehl hat es sich also mit seinem Debütalbum zur Aufgabe gemacht, uns, den von Kriminalität und Gewalt geprägten, dunklen Offenbacher Alltag ein wenig näher zu bringen.
Dabei herausgekommen ist “Azzlack Stereotyp“. Auf dem gleichnamigen Track, gleich zu Beginn des Albums, definiert Haft was ein Azzlack überhaupt ist und worauf man sich in den kommenden 60 Minuten einzustellen hat. Zusammen mit Chaker liefert er auf einem brachial basslastigen Synthie-Beat die vierminütige Erklärung zum bebilderten Booklet-Krimi. Ehre, Mut, Drogenschieberei und die “Pitbull-Mentalität“, das ist es, was der Kurde repräsentiert und wofür er einsteht.

Haft lebt die Straße mit jeder Faser seines Körpers, das kalte Pflaster und die kleinen illegalen Machenschaften an den Straßenecken. Haft ist sozusagen die Straße und zwar in jedem einzelnen Track, was mit zunehmender Häufigkeit und mit jeder Wiederholung ziemlich ermüdend wirkt. Auf “Azzlack Stereotyp“ findet man nicht ein Stück, auf dem nicht bis zum “Geht-nicht-mehr“ prollige Respektsbekundungen ausgestoßen werden.
Zwischendurch gibt es, passend zu Gesamtthema, auch noch den “Skit“, in dem ein von acht Leuten “kaputt gemachter“ Freund  bei Don Haftbefehl oder dessen Bruder anruft, um dessen Hilfe beim Ausüben des Racheplans zu erbitten.

Eines der besten Beispiele um “Azzlack Stereotyp“ adäquat zu charakterisieren, ist “Dunkle Träume“ mit den Features von Chaker und Jonesmann. Haftbefehl beschreibt auf einem düstereren Piano-Beat, welcher eine bedrückende Atmosphäre erzeugt, das Szenario einer Polizeikontrolle. Bereits nach wenigen Zeilen möchte man sich als Hörer, durch die gekonnt bildliche Darstellung dieser Szenerie auf den Film einlassen, den Haft dort fährt, was einem aber durch grobe Fehler in der technischen Struktur verwehrt wird.
Der Bulle kommt Richtung Karre – ist richtig nervös, hat die Hand an der Knarre. Er klopft an mein Fenster – Ich mach’ es auf, er sagt: “Hände an’s Lenkrad“. Ich sag’: “Bleiben Sie mal cool!“ – Ich habe nichts getan und frage nach dem Grund.
Haft baut in den ersten Lines, durch seine Fähigkeit mit Worten Gemälde, vor dem geistigen Auge zu malen, ein Haus, um es in der darauffolgenden Zeile durch unsauber Gereimtes gleich wieder bis auf die Grundmauern niederzureißen. Den Chorus auf “Dunkle Träume“ verwaltet Labelkollege Jonesmann, dessen soft Gesungenes sich nur schwer beziehungsweise gar nicht mit der harten Attitüde Haftbefehl’s vereinen lässt.

Zwei der raren Lichtblicke des Albums, die etwas mehr Individualität zu bieten haben und sich dem Sumpf der Eintönigkeit zumindest ein wenig entziehen können,  sind “Gestern Gallus – Heute Charts“ und das Frankfurtfeature “Von Bezirk Zu Bezirk“ mit Azad und Jeyz.

Trotz, der leider üblichen Technik-Schnitzer Haftbefehl’s, überwiegt jeweils das positive Gesamtkonzept. Auf “Gestern Gallus – Heute Charts“ protzt Haftbefehl, zwar wie auf allen anderen Tracks auch, mit dem, was er sich nun durchs Rappen leisten kann, dennoch lauscht man dem lieber als sonst, dank der ansprechenden Melodie. Somit erhält dieser Track die imaginäre Krone für den besten Beat.
Auf “Von Bezirk Zu Bezirk“ sind es die starken Featureparts des Raproutiniers Azad und des Deutsch-Italieners Jeyz, die für seltene Kopfnickerstimmung sorgen.

Ohnehin mangelt es “Azzlack Stereotyp“ nicht an Gästen. Neben den eben Erwähnten, Azad und Jeyz, geben sich zudem Massiv, Manuellsen, Kollegah, Farid Bang, Jonesmann und bereits erwähnter Chaker die Ehre. Sogar die jungen, brutalen, halbgutaussehenden Kollegah und Farid Bang überzeugen mit ihren Parts auf “Rotlicht“. Abgeschlagen auf dem dritten Rang, dümpelt Hauptprotagonist Haftbefehl, wegen rhymetechnischer Komplikationen vor sich hin.

Zum Ende des Albums, wird es dann begrüßenswerterweise, doch noch einmal richtig politisch. “Free Palästina“ transportiert eine, für Haftbefehl’s Verhältnisse, ungewohnt deepe Message, und hat das Potential wachzurütteln. In diesem Track findet sich mehr Sozialkritisches als auf den 20 Anspielstationen zuvor, da sich die bisherigen Äußerungen in diese Richtung auf gelegentlichen Beleidigungen von Frau Merkel beschränkten.

Man muss insgesamt schon sehr auf den Flow von Haftbefehl klar kommen, um “Azzlack Stereotyp“ Positives abzuringen und richtig zu feiern. Durch das Dauerbrennerthema Straße, das gut und gerne 90 Prozent des Albums füllt, braucht man zumindest den sprichwörtlichen roten Faden nicht lange suchen.
Im Gegenteil, wenn man ihn hat, umschlingt und stranguliert er einen, dank der monotonen Einseitigkeit. Durch die Authentizität, die Haftbefehl beim Rappen an den Tag legt, ist es einem, wie beim Bordsteinbeißen möglich, den Asphalt der Straße, die Haftbefehl repräsentiert förmlich zu schmecken.
Wer Straßenrap abgöttisch liebt und für den Flair der Gassen bereit ist, auf technische Raffinesse zu verzichten, darf sich bei Haftbefehl’s erstem Schuss “Azzlack Stereotyp“ auf eine satte Portion “In-die-Fresse-Rap“ freuen, mehr nicht!

Oli (2 von 7 Punkten)

Perfekt ist das Album nicht. Dafür ist es zu lang, zu viele Features und zu gleichförmig. Ein paar weniger Tracks, ein paar weniger Features – Manchmal wäre weniger tatsächlich mehr.
Vielleicht hätte es auch eines Produzenten wie Puff Daddy bedurft, so einer richtigen Pop-Sau, um aus der CD, das zu machen, was in ihr steckt.
So kommt die thematische Vielfalt des Albums nicht wirklich zum Vorschein, weil dann doch zu oft der Jackenkragen hochgestellt wird und zu viele Mütter gefickt werden.

 

Und trotzdem ist Azzlack Stereotyp eines der beachtlichsten Releases in diesem Jahr. Haftbefehls Fähigkeit mit zwei bis drei Wörtern eine Szenerie heraufzubeschwören und einen kleinen Kurzfilm in deinem Kopf loszutreten ist bemerkenswert. Schon allein beim Intro kann ich mir die Szene und den dazugehörigen Dialog fast bildlich vorstellen:
Du bist Gangster Ja Ja Ve Ve/ wo ist Dein Benzer, Dein BMW?/ Du fragst mich nach Deim Album – Deiner CD/ ich hör die ersten zwei Takes, mach aus und sag „geht, geht“/ Bös Tschö was Du machst ist ???? /ob ich Dich feature? Geht nich. Ne, ne.

Oder der erste Part im programmatischen Azzlack Stereotyp: „Das ist Haft zum Befehl krass – Azzlackstrem ab/ Lederjacke steht passt – Kankae Täter/ BTM geht klar – Du brauchst nen 10er? /verpiss Dich, ich mach nur Kilopakete.
Und an anderer Stelle wird das ganze Business mit ein paar Strichen an die Wand geworfen. So schnell konnte einem das Geschäft vielleicht gerade noch Biggie Smalls erklären:
Dreizehnfuffzich für ein Kilo Hasch, ????? sachbi ich liebe meine Stadt/  Kunden von außerhalb kriegen Schrott/ Henna verpackt und als Grüner verkloppt/ Bunker 100 Gramm Koks an den Eiern/ 4 Mille Schnapp, fahr die Drogen nach Bayern/ Es tut mir Leid Herr Officer Plattenburg/ Doch Kunden aus Aschaffenburg zahlen Hasch n Achterkurs.“

Diese Bilderdichte kann Haftbefehl leider nicht die gesamte Zeit über durchhalten, weswegen ab einem gewissen Punkt, ein gewisser Overkill-Effekt eintritt.
Daran ändern dann auch die diversen Featuregäste nichts, die immerhin auf acht der zwanzig Songs dabei sind. Im Gegenteil. Manche der Kollabopartner durchbrechen dann wiederum das Haftbefehl Feeling und stören eher, auch weil man den Eindruck hat, dass sich so mancher der Gäste verzweifelt an den Style des Offenbachers angepasst hat.

Azad tut das natürlich nicht und deshalb ist sein Feature-Part besonders erwähnenswert. Ganz auf Style geschrieben, poltert der Bozz los und fickt den Beat. Anders kann man es beim besten Willen nicht sagen.
Chaker liefert auf „Dunkle Träume“ einen Beitrag, der an Traurigkeit und unterdrückter Wut wirklich nicht mehr zu überbieten ist, wenn er mehr spricht als rappt:
Meine Ängste und Zwänge/ ich kack ab und niedrig ist die Hemmschwelle/ Dick angestaute Wut/ zitternde Hände/ Rückfall und Entzug.

Allerdings muss auch ich in das Klagelied der Meisten einstimmen, wenn ich sage, dass Chaker, der ganze fünf mal auf dem Album vertreten ist, diesen positiven Eindruck durch eine gewisse „Überpräsenz“ zunichte macht. Füll-Lines wie
du tickst klein-klein, ich haue groß rein/ so muss es sein-sein, du lässt es sein-sein/ ich zerfick den Beat grade Reim für Reim/ Haft und ich setzen damit einen Rap-Meilenstein
sind einfach überflüssig. Schade. Zwei Hammerparts und ein bleibender Eindruck. Das wäre doch eigentlich optimal, oder?

Optimal wiederum sind die Gesangsparts von Jonesmann, der drei mal eine Hook beisteuert und das Album damit definitiv bereichert.
Von den Beats her liefern die verschiedenen Produzenten von Benny Blanco über Psaiko.Dino, Sti, 7inch, M3Noyd und andere Solides bis zu richtigen Bangern. Trotz der Fülle der unterschiedlichen Beatbastler wirkt das Album wie aus einem Guss, was auf der einen Seite definitiv eine Stärke ist, auf der anderen Seite aber auch zum oben genannten Overkill Effekt beiträgt. Mal so was richtig anderes zwischendurch, das wär’s, dann wäre Azzlack Stereotyp tatsächlich der Klassiker, der er eigentlich ist.

Straßengeschichten. Ghettotagebuch. Kurzfilme. Da erzählt einer aus seiner Welt und man wird buchstäblich hineingesogen. Das ist CNN vom sozialen Brennpunkt mit der notwendigen, dramaturgischen Übertreibung. Das ist Rap, wie er sein kann.
Hypnotisch und unterhaltsam.

staiger (5 von 7 Punkten)