Marteria – Zum Glück In Die Zukunft

Noch nie schien die Kluft zwischen Hype und Ablehnung so tief zu sein, wie beim „neuen“ Marteria. Ich weiß nicht, ob ich mich täusche, aber die Anzahl der negativen Kommentare auf „Zum Glück in die Zukunft“ und der Hype auf der anderen Seite, gerade auch aus „Nicht Hip Hop Kreisen“ war selten größer. Was hat Marteria gemacht, um ein solches Echo hervorzurufen.
Marten Laciny hat sich erlaubt, Rap als das zu benutzen, was es eigentlich ist. Als künstlerische Ausdrucksform. Als Vehikel für Geschichten, die nichts mehr mit der Hip Hop Szene zu tun haben und vielleicht aus diesem Grund für einige nicht mehr nachvollziehbar sind und für sehr viele andere darum um so mehr.Marteria beschreibt auf seinem neuen Album Orte einer modernen Welt, in der man sich bewegen kann, wenn man in Berlin im Jahre 2010 lebt.
Zugegeben, man muss diese Welt nicht kennen, die sich zwischen Drogen, verstrahlten Wochenenden in der Bar 25, Drogen, gescheiterten Beziehungen, noch mehr Drogen und Sorgerechtsstreitigkeiten um das gemeinsame Kind bewegt, das halt auch schon da ist.
Man muss diese Welt auch nicht gut finden, oder erstrebenswert, aber es gibt sie und für sehr viele Menschen, an der Schwelle zum Erwachsenwerden, ist diese Welt die Realität. Viel mehr als verrauchte Cyphers in irgendwelchen Homestudios, Basecaps und Baggy Jeans und was auch immer Erwachsenwerden bedeuten soll, im Jahr 2010, in Berlin, wo sich sowieso alle ein bisschen länger Zeit lassen mit dem Erwachsenwerden.
Wem das alles zu hip und metrosexuell ist, zu aufgesetzt und Mainstream, der wird „Zum Glück in die Zukunft“ nicht fühlen können, was tatsächlich schade ist, weil er dann ordentlich was verpasst.

Marteria schafft auf dem Album Bezugspunkte, die wahnsinnig persönlich und auf der anderen Seite trotzdem so frei und offen sind, dass jeder in sie hineinfallen darf und kann. Natürlich waren wir noch nie in „Amy’s Weinhaus“ und trotzdem kennt jeder irgendwo ein Amy’s Weinhaus, eine Bar, eine Kneipe, ein Cafe, wo sich irgendwann einmal ein vernarbter Mann mit schwieligen Händen neben Dich gesetzt und Dir seine Lebensgeschichte erzählt hat. Ungefragt und ein bisschen zu penetrant. Vielleicht bist Du dann auch schnell aufgestanden und gegangen, irritiert vom plötzlichen Einbruch einer fremden Welt in Deine Welt und mit Schrecken musstest Du feststellen, es ist unsere Welt.
Zum Glück in die Zukunft“ ist ein bisschen genau so, mit dem Vorteil, dass es sich bei Marteria um einen Menschen handelt, den man mit Sicherheit gerne am Tisch haben würde, damit er noch ein bisschen mehr aus dem Nähkästchen plaudert. Ein Mensch, dem man anmerkt, dass er was erlebt hat in den letzten, sagen wir mal, drei Jahren.

Die frühere Arroganz des Rostockers, zurückzuführen auf die Karrieren als Fußballer, Modell und  Rapper ist einer etwas gebrocheneren, dafür wesentlich interessanteren Persönlichkeit gewichen. Die einstige Attitüde, die aus dem „Guck mal, was ICH alles schon gemacht habe, geil wa?“ bestand und mich fast rasend gemacht hat, wurde ausgetauscht mit dem eher menschlichen „und nichts hat so wirklich geklappt.
Das verleiht der Kunstperson Marteria endlich die Ecken und Kanten, die gefehlt hätten, wenn alles glatt gegangen wäre.

Natürlich ist diese Entwicklung mit Sicherheit auch ein Gutteil auf die Zusammenarbeit mit den Krauts zurückzuführen, die ja auch schon beim Mega-Erfolg eines Peter Fox ihre Produzenten- und Texterfingerchen im Spiel hatten. Die beiden Männer im Hintergrund schaffen mit ihren Beats eine ideale Spielwiese für all die Gedankenkapriolen und Witze, die der gute Marten sich ausgedacht hat. Sei es jetzt das osteuropäisch angehauchte „Kate Moskau„, in dem es um die gefährliche Liebschaft zu einer Oligarchentochter geht, oder eben die drogenschwangere Hymne wie „Verstrahlt“ oder der drogenschwangere Akkustiktrip „Veronal“.
Ähnlich wie bei „Stadtaffe“, zeichnet sich das Produzententeam durch eine wahnsinnige Liebe zum Detail und akribische Feinarbeit aus. Das ist vielleicht nicht der spontanste aller Wege, aber die Zeiten in denen man voller Stolz erklärte, dass man nur zehn Minuten für den Part gebraucht hat und das Album in nur einer Woche hingerotzt hat, diese Zeiten sind vorbei. Zuviel Mittelmaß wurde veröffentlicht und zu viel Schrott auf die Straßen gepumpt.

Bei „Zum Glück in die Zukunft“ haben sich einfach ein paar sehr talentierte Leute hingesetzt, sich Mühe gegeben, mit viel Liebe durchgehalten, Zeit und Kraft investiert und einfach mal alles richtig gemacht. Das macht das Album auch so geil und deshalb ist dieses Album auch nicht überschätzt und deshalb ist dieses Album auch schon jetzt ein Klassiker. Kapiert?