Antihelden – Kein Happy End

Die selbsternannten Antihelden, das sind Dra-Q, röchelnder McDonald’s-Rapper (einmal darf man’s erwähnen, oder?), und Abroo, Jägermeistergang-Mitglied aus Lemgo. Die beiden Rapper holten sich für die Produktion ihres ersten Kollaboalbums das Produzententeam der Snowgoons ins Boot und releasten bereits vor einem Monat den Longplayer „Kein Happy End“.Das 20 Track starke Album schleudert dem Hörer dabei eine geballte Ladung Gesellschaftskritik in den Gehörgang. Inhaltlich geht es in erster Linie um die Verdummung der Gesellschaft, die zusammen mit Morlockk Dilemma gerne mal als „Glühbirnengesellschaft“ tituliert wird. Falsche Wertvorstellungen, der Verfall von inneren Tugenden und Materialismus werden hier konsequent angeprangert. Dieser rote Faden zieht sich komplett durchs Album, so dass sich „Kein Happy End“ als ein in sich stimmiges, kohärentes Werk präsentiert.

Passend dazu ist auch der von den Snowgoons (sowie Mortis One, MecsTreem, Sicknature und Sneezy) geflickte Soundteppich. Das ist wirklich Oldschool-Sound vom allerfeinsten. Die Drums schlagen hart auf 2 und 4, dazu eine oftmals minimalistische, aber stets passende Instrumentalisierung und allgemein sehr samplelastige Beats. Sowohl Melodien wurden hier wiederverwertet, als auch Schnipsel von ehemaligen HipHop-Fahnenträgern, Filmen und TV-Sendungen. So finden sich Soundsamples von Rakim, Run DMC, Cheech & Chong, den tagesthemen, uvm.

Auf „Armageddon“ und „Hörst Du Diese Stimmen“ beginnt die Zeigefinger-Vorstellung der Antihelden: Hier kritisieren Dra-Q und Abroo mitsamt bitterbösem Sarkasmus falsche Erziehung und Massenidiotie.
Bei „Industry Is Fuckt“ wird dann Markenwahn, Konsumdrang und das Spiel mit der Angst angeprangert: „Der letzte macht die Kerzen an – herzlichen Dank / Ihr könnt Müll von Müll trennen, aber nicht beim Fernsehprogramm / alle für Nächstenliebe, gegen Kriege, das Volk in Intrigen / Angst vor Kündigung, U-Bahn-Schlägern und Cholesterin

Nahtlos reiht sich dann auch „Weltanschauung“ (feat. Tatjana) ein, in der heutige Maximen und Werte ad absurdum geführt werden. Die Antihelden nehmen dabei kein Blatt vor den Mund und Dra-Q äußert harsche Kritik am gesellschaftlichen Umgang mit Amokläufen: „Und benutzte Patronen an Schulen zeigen wie still jeder sein kann / und ich rede nicht von Klausuren mit Füllfederhalter / was soll man zu all’ dem Frust sagen / leider mein ich nicht verrückt, wenn ich sag, dass die einen Schuss haben / […] Und für euch CDU-Idioten ein harmloses Waffen-Hobby / die Wahrheit: Ihr lutscht die Schwänze der Waffenlobby“. Dazu werden dann Fernsehzitate aus der Emsdetten-Berichterstattung gesamplet und E-Gitarren eingespielt. Rund.

In „Damals“ wird dann die eigenen Vergangenheit aufgearbeitet, was bedeutet: Kiffen ohne Ende, unüberlegte Aktionen, Generation Tapedeck, Kleinkriminalität, Exzess, … ihr wisst schon. was man halt so macht. In der Hook wartet dann dennoch ein wunderbares „Creep“-Sample auf den Hörer, was den Song zu einem der besten der CD macht.

Zu „Wie Konntest Du“ holt man sich Wiener Hilfe ins Boot und featuret Kamp, mit dem man dann selbstironisch ohne Verbitterung über Beziehungsprobleme und Bumsgeschichten rappt. Als Fazit wird dem Hörer dann „Alles Schlampen außer Mutti“ und „Lässt man dich sitzen kannst du wenigstens die Füße hochlegen“ nahegelegt.
Das war es aber auch mit dem ironischen Intermezzo, denn zum Ende schlägt das Album in die Kerbe vom Beginn, auch weil „Generation Doomend“ (mit Gastbeiträgen von Sabac und Mortis One) dezent darauf aufmerksam macht, dass es „die besten Koks-Lines der Stadt zum Mondscheinrabatt“ gibt. Diesmal wird das Aussterben der Muttersprache und Agressionen im zwischenmenschlichen Umgang kritisch beäugt.

Das gleiche Spiel auf „Seht nicht Hin“. Die Allgemeinheit wird hier vor Gefahren des 21. Jahrhunderts gewarnt und man ist nicht müde zu betonen, dass alles den sagenumwobenen Bach runtergeht.
Deutschrap anno 2010 tritt in die (zugegebenermaßen großen) Fußstapfen von Public Enemy und belebt den Golden HipHop Era-Sound wieder.

Trotz all’ dieser positiven Aspekte muss auch Kritik geäußert werden: So rappt Dra-Q leider Gottes zu keinem Zeitpunkt auf Abroos Level. Manche seiner Parts sind wirklich schwer verständlich und die schlimmsten Kermit der Frosch-Vergleiche drängen sich dem Hörer auf.

Zwar ist der Großteil der geäußerten Aussagen durchaus nachvollziehbar und auch anschaulich vorgetragen, doch verstricken sich die Protagonisten oftmals in Widersprüche. Beispiel hier wäre auf der einen Seite die Gesellschaft für Rauschgiftkonsum und –abhängigkeit anzuprangern, andererseits aber stets den Alkohol (ersetze wahlweise durch: Pulver, Gras, Pillen) als einzigen Weg für eine Flucht aus der Realität zu glorifizieren (unter anderem in „Kräuterslang“).

Allgemein wirken manche Sätze ohnehin wie plakative Plattitüden. Wenn Abroo den Kauf von Kleidung aus Bangladesh ankreidet, ist das okay, aber dann sollte man gewissermaßen auch selbst mit gutem Beispiel vorangehen und auf den eigenen Widerspruch hinweisen, falls er nicht ausschließlich American Apparel trägt.
Oder wenn eben jener Abroo auf einem seiner besten Parts („Damals“) plötzlich die Line „Und es war übertrieben  / wie das Gefühl auf der Autobahn bei Vollgas einen geblasen zu kriegen“ zum Besten gibt, dann zwingt dich das als Zuhörer zu einem unfreiwilligen Lächeln, reißt einen aber aus dem Kontext des ansonsten ernsten Liedes.

Generell erscheint es so, dass fünf, sechs Lieder weniger dem Album gut getan hätten. Denn trotz zweifellos vorhandener Qualität wird „Kein Happy End“ gegen Ende hin etwas monoton.
Dennoch ist das ein Album, das man gerne hört und über das man heutzutage froh ist. Es ist kein neu erfundenes Rad, aber durchaus frischer Wind in einem zunehmend stagnierendem Conciousrap-Genre.
Eine Platte auf der jeder sein Fett wegkriegt:Von Klaus Zumwinkel, Angela Merkel über Spekulanten, die USA und Populisten bis zu RTL und Sat.1, falsche Idole, Massenidiotie sowie Magersucht. Ein globaler Rundumschlag gegen die Drahtzieher Luzifers.

Eins ist jedenfalls sicher: „Wir wurden reingelegt wie Uwe Barschel in die Badewanne“ – das wissen wir nach diesem Antihelden-Album definitiv.