Drake – Thank Me Later

Um gleich erstmal die Stimmung zu verderben: Ich finde, Ihr rap.de-Leser seid im Großen und Ganzen ganz peinliche Spießer. Deshalb habt Ihr auch einen absolut erbärmlichen Geschmack. Zum Beispiel seid Ihr riesige Fans von diesem Kool Savas. Nicht weil Ihr – was ja noch verständlich wäre – seine Musik so toll findet, sondern weil er so sympathisch rüberkommt. Stimmt, das ist natürlich das Allerwichtigste bei einem Musiker, SYMPATHISCH muss er sein. Unsympathen dagegen könnt Ihr gar nicht leiden. Zum Beispiel Kay One. Der ist ein doofer Angeber mit seinen künstlichen Designer-Klamotten und seinen Storys über irgendwelche GNTM-Kandidatinnen, die er angeblich penetriert hat. – Nicht dass wir uns jetzt allzu falsch verstehen, ich bin nicht der Meinung, Kay Ones Style sei unbedingt nachahmenswert, aber immerhin hat er überhaupt einen Style. 200 schwarze XXL-T-Shirts dagegen, frisch gewaschen und gebügelt natürlich und nach Weichspüler duftend, das ist – wie von Herrn Y ja sicher auch beabsichtigt – kein Style. Egal ob die Dinger vonkik kommen oder von wo auch immer.

Okay, wer jetzt nur hier reingeklickt hat, weil sie oder er dachte: „Hey, mal sehen, was Kyle Rixton so über das Album von Drake denkt“, vorher aber nicht Staigers Videointerviews mit Kool Savas und Kay One gesehen hat, die oder der hat wahrscheinlich keine Ahnung, was der erste Absatz sollte. Und die anderen haben es auch nicht verstanden, jedenfalls nicht richtig, weil sie genau die armseligen Trottel sind, die ich damit beleidigen wollte. Na ja, ich versuche dann mal den Bogen zu kriegen. – Mit Drake haben die durchschnittlichen amerikanischen HipHop-Hörer ein ganz ähnliches Problem, wie die durchschnittlichen Deutschrap-Hörer (ja, das seid Ihr, rap.de-Leser, herzlichen Glückwunsch!) mit Kay One. Beiden wird vorgeworfen, sie hätten ihre Position im Game nicht rechtmäßig erworben, sondern durch homosexuelle Beziehungen zu ihren Chefs (Lil Weezy und Big Bu) erschlichen. Beiden wird unterstellt, ihre Zielgruppen seien vor allem Mädchen, was ja, wie wir seit Canibus’ Diss gegen LL Cool J wissen, voll uncool und unmännlich ist. Denn Mädchen sind doof. No homo. Beide haben trotzdem unbestreitbar irgendwie Skills am Mic, aber das ist ja eher nebensächlich.Damit bin ich im Zentrum meines momentanen von-HipHop-angewidert-Seins gelandet. Das Problem ist gar nicht so sehr die Musik, denn in der passieren immer spannende Sachen, egal wie viel ausgelutschte, uninteressante Scheiße es drum herum gibt. Das Problem ist die Kultur. HipHop als Musik ist ziemlich abgefuckt, aber gut drauf, wie ein 50jähriger Junkie, dessen Körperfunktionen nur durch diverse Chemikalien am Laufen gehalten werden, der aber trotzdem noch jeden Abend Party macht. HipHop als Kultur ist tot wie ein 50jähriger Frührentner, für den es nichts mehr gibt außer Fernsehen und Schrebergarten. Die Leute, die sich heute zur HipHop-Kultur zählen, sind überwiegend analfixierte Erbsenzähler, die sich in ein verficktes fiktives Golden Age zurücksehnen und nach Möglichkeit nur Musik hören wollen, die den Formeln entspricht, die ihrer Meinung nach die Zusammensetzung von ECHTEM HIPHOP definieren.

Diese Leute haben großen Respekt vor guten, ehrlichen Handwerkern, die fleißig Punchlines bauen, amtliche Produktionen an den Start bringen und vor allem TOTAL SYMPATHISCH sind. Sie freuen sich über Songs, in denen es darum geht, wie schwer das Leben ist, und wie hinterhältig die Bitches sind, und wie böse der Staat und die Freimaurer, weil das ENDLICH MAL WIEDER WAS MIT SINN ist. Und sie regen sich auf, wenn LEGENDEN nicht der nötige Respekt gezollt wird, auch wenn deren neuestes Werk nichts weiter ist als eine mit Gehhilfe die Straße runterhumpelnde Krampfader an einem Bein, das man schon vor zehn Jahren hätte amputieren müssen. Das hält sie allerdings auch nicht davon ab, bei jeder Gelegenheit zu beklagen, dass alle immer das Gleiche machen. Tja, richtig geil war es halt sowieso nur früher. Bei diesem in krankhafter Nostalgie versackenden Ekelfeuerwerk ist es gar nicht so leicht sich daran zu erinnern, dass die HipHop-Kultur mal anders war. Dass Wörter wie fresh und dope mal mehr waren als alberne Klischees. Dass HipHop mal hip war. Heute ist hip für die Heads selbstverständlich ein Schimpfwort, ist niemand weiter vom Hipster entfernt als der Hopper.

Jetzt kann man sich natürlich mit einiger Berechtigung fragen, ob HipHop denn in den schmalen, weichen Händen heutiger Hipster wirklich besser aufgehoben wäre als in Euren nutellaverschmierten Wichsgriffeln, denn immerhin haben diese in Geschmack und Aussehen extrem gleichgeschalteten jungen Menschen schon ein bisschen was zombiehaft Unheimliches, was einen u.U. davon abhalten könnte, ihnen Neugeborene, Drogenvorräte oder auch eine liebgewonnene Musikrichtung anzuvertrauen. Zunächst möchte ich mich aber an dieser Stelle von Kay One, der sicher nicht unter Hipster-Verdacht steht, sondern eindeutig aus dem Prolo-Kreis der Metrosexuellenhölle stammt,  verabschieden, nicht allerdings ohne vorher noch darauf hinzuweisen, dass „Du studierst Jura? / verpiss Dich Du Schwuler!“ für mich die bisher beste Deutschrap-Line 2010 ist. – Drizzy Drake allerdings, der gehört definitiv zu dem seltsamen Subgenre ohne feste Merkmale, das die Musikjournaille seit einer Weile als HipsterHop bezeichnet. Im Fall von Drake rechtfertigt sich diese Bezeichnung dadurch, dass er das Weiche des modernen Hipsters mit der Arroganz des modernen Rappers verbindet. Das führt teilweise zu Texten, die Schauer der Fremdscham durch meinen Körper senden. Bei Zeilen wie „Isn’t it ironic that the girl I wanna marry is a wedding planner?
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it tells me my life’s too much and it moves to Atlanta” muss ich nicht nur wegen „The Wedding Planner“ mit Jennifer Lopez an ganz, ganz, ganz schlechte Filme denken. Und solche Momente sind auf Thank Me Later nicht gerade selten. Und trotzdem ist Thank Me Later ein sehr gutes Album. Weil die zwischen Down-South-Plastikbeats, verdrogter Elektronik und Mainstream-Pop oszillierende Produktion fantastisch ist. Und auch weil Drake auf seine Art ein fantastischer Rapper ist. Ein Rapper, der kaum einer herkömmlichen Anforderung an einen guten MC gerecht wird, dem es aber trotzdem gelingt, eine in Stimmgebrauch und Flow großartige und komplett unpeinliche Performance hinzulegen. Wenn ich es also schaffe, sein weinerliches, größenwahnsinniges und allgemein furchtbar dämliches Geseiere auszublenden, ist diese LP eine musikalische Offenbarung. Das bringt mich zu dem Schluss (ja, jetzt ist wirklich gleich Schluss), dass HipHop dringend endgültig den HipHoppern entrissen werden muss. Mit Künstlern und einem Publikum, die mit dieser Kultur eigentlich nichts zu tun haben, lässt sich aus dieser Musik immer noch unendlich viel machen.

Vielleicht erleben wir demnächst sogar den ersten aus diesem Geist geborenen Rapper, dem es gelingt, gutes Rappen mit interessanten Inhalten ohne jede Anbiederung an irgendwelchen altbackenen Unfug zu verbinden. Ich habe Hoffnung.

So, wie Diddy mal so schön sagte: „You can hate me now.“ Die 0 Punkte gibt es von mir übrigens, weil ich die Bewertung von Musik nach Punktesystemen scheiße finde. Mein Name ist Kyle Rixton. Gute Nacht.