Eminem – Recovery

Eminem ist mal wieder zurück und kaum ist „Recovery“ draußen, lässt es sich selbst Bild.de nicht nehmen, sensationsgeil „Neues Album – Eminem kupfert bei Haddaway ab“ zu titeln. Und als ob das – wenn man das Album noch nicht gehört hat – nicht schon absurd genug klingen würde, lässt ein Blick auf Feature- und Produzentenliste tatsächlich keine Zweifel mehr offen: Hier wollte jemand etwas ganz entschieden anders machen.Und so gab es natürlich auch schon im Vorfeld lange Diskussionen, wie sich denn Popgören wie Pink und Rihanna, ein Lil Wayne oder RnB Schmachtfetzenboy Kobe ernsthaft in das typische Format  eines Eminem-Albums einfügen würden. Der Witz daran ist: Das typische Format des Eminem-Albums existiert bei „Recovery“ gar nicht mehr. Was der Künstler hier versucht, ist ein sowohl äußerlich formaler als auch inhaltlich musikalischer Umbruch und – es funktioniert.

Denn all die Veränderungen, die die Tastaturen der Forumhengste und Blogschreiber zum Glühen brachten, sorgen genau für die Frischzellenkur, die der Künstler Eminem bitter nötig hatte, um seiner ziemlich festgefahrenen Karriere endlich wieder neuen Schwung zu geben.

Und seien wir mal ehrlich. Wäre ein weiteres Album mit tonnenschweren Dr. Dre-Beats, immer wieder aufgewärmten Geschichten über Mutter und Exfrau, dem X-ten Steve Berman– und Ken Kaniff Skit die Lösung gewesen? Nein, und so bietet bereits die erste Single „Not Afraid“ eine willkommene Abwechslung nach „Without Me“, „Just lose It“ sowie „We Made You“ und ist repräsentativ für die neue Marschrichtung.

Ein zeitgemäßes, samtweiches Boi-1da Instrumental und selbstreflektierte Lyrics spielen hier ebenso gut zusammen, wie das auch in „Going Through Changes“ (inklusive Black Sabbath Sample) oder  „Seduction“ der Fall ist. Und mit „Space Bound“ und „Love The Way You Lie“ offenbart sich sogar Marshall Mathers‘ Talent, echte Liebeslieder zu schreiben.

Man muss übrigens auch tatsächlich „Marshall Mathers“ sagen, denn die klassischen Eminem– oder Slim Shady-Momente sind auf „Recovery“ wirklich sehr selten, ja fast gar nicht mehr vorhanden. Stattdessen analysiert, kommentiert  und interpretiert die Person Marshall mit mikroskopischer Genauigkeit sein Handeln, versucht Erklärungen für das eigene Dilemma zu finden und seine Lebenskrise zu ergründen.  Bezeichnend dafür ist auch die Widmung des Albums im Booklet, wo es neben der obligatorischen Proof-Huldigung  heißt: „2 anyone who’s in a dark place tryin‘ 2 get out“. Proof selbst wird auch gleich mehrfach auf dem Album erwähnt und auf „You’re Never over“ wird  nochmal expliziter Dank ausgesprochen.

Doch natürlich gibt es auch Songs von der anderen Seite, wie etwa das rockig stampfende Pink-Feature „Won’t Back Down“ oder der Just Blaze-typisch orchestrale Opener „Cold Wind Blows“, doch die tiefergehenden Stücke überwiegen deutlich, was auch vollkommen okay ist, da hier sowieso die eigentlichen Qualitäten der Platte liegen. Die eingangs erwähnte, ungewöhnlich vielfältige Produzentenriege aus u.a. DJ Khalil, Denaun Porter, Jim Jonsin, Boi-1da und eben Just Blaze hat dafür einen wirklich passenden Instrumentalteppich zusammengeflickt. Mal elektronisch kühl und melodisch, mal organisch mit viel Live-Instrumentalisierung, aber immer passend und dabei dennoch über weite Teile sehr homogen. Bezeichnenderweise ist der einzige Dr. Dre Beat des Albums von „So Bad“ einer der schwächsten des Albums und will sich nicht so recht in das Gesamtbild der Scheibe einfügen, vielleicht gerade weil er zu sehr an vergangene Zeiten erinnert.

Zusammen mit dem nicht so recht in die Gänge kommenden „Cinderella Man“ und der zwar ganz lustigen, aber schnell langweiligen Idee der „White Trash Party“ sind hier die Tiefpunkte der fast 80 Minuten auszumachen.

Das Highlight kommt dann gegen Ende der Platte: „25 to Life“ heißt der von DJ Khalil produzierte Song, der sich um eine vermeintliche Beziehungskrise dreht, aber zum Schluss offenbart, dass es die ganze Zeit um Eminems Liebe zu Musik, zu HipHop und zu Rap ging.

Diese Liebe, und das ist ein Punkt der alle Alben des Detroiters eint, strahlt aus jeder Pore von „Recovery“, nur strahlt sie eben dieses Mal in einer etwas anderen Art und Weise, in einer erfrischend anderen, möchte man sagen.

Denn „Recovery“ ist ein mutiges, weil so komplett anderes Album, als man es von Eminem gewohnt ist und genau das macht den Reiz dieser LP letztendlich aus. Wenn es nicht so schrecklich abgedroschen klingen würde, müsste man fast sagen, Marshall Mathers ist, nachdem er sich solange dagegen gewehrt hat, endlich erwachsen geworden. Menschlich und musikalisch.

Nun, wenn sich das Ganze so anhört, wie auf diesem Album, dann soll es mir recht sein.