Ach, ich muss mir oft an den Kopf fassen und mich fragen, was Mary hier macht? Zwar wird sie zum Ende des Albums hin, schon mehr zu der Mary J. Blige, die man kennt, aber wo ist die Queen of Hip Hop & RnB, die von Biggie bis zu Method Man auch den roughsten Track die Mary J.- Note verpassen konnte und die vor zwei Jahren noch Clubs sowie Schlafzimmer zum Beben brachte.
Irgendwie scheint es mir, als müsste ich mich während dieser Review zweiteilen. Einmal in den Menschen, der Musik und Mary liebt und der zu sich sagt: "Ey schreib was Positives denn schließlich ist das die Frau, die uns "Whats the 411“ brachte."
Die Frau, die ihr Leben offen legte auf "My Life“ mit Tracks, die man gar nicht richtig glauben konnte, Songs, die man am liebsten aus der Anlage reißen wollte, um mit ihnen herumzumachen wie "I’m going down“ oder "I can love you“ oder "Share My World“… bitte!
Es gibt kaum Frauen, Entertainer, Künstler, die so ehrlich und offen in ihrer Musik sind wie Mary J. Blige.
Und dann kommt diese kritische Seite des Zuhörers in mir hoch. Schon beim ersten Track "Tonight", der von Akon, man muss sagen mitgestaltet, man möchte sagen verunstaltet wurde.
Oder aber es war der ausdrückliche Wunsch der RnB Diva selbst, so zu klingen wie ein Mann? Oder ist es doch Akon, der da trällert? Ich weiss es nicht.
Thema des Tracks ist der Schmerz der Versuchung, jemanden anzurufen, der es eigentlich gar nicht verdient hat. Die Qual durch die eine ungeduldige Frau geht, die bis zum Abend auf ihren Mann wartet, um ihm ihre Bedroom Skills zu offenbaren, und als sie das dann gemacht hat, muss sie schon bei Track Nummer 2 mit Verstärkung des talentierten Young Money Proteges Drake klären, dass sie einfach die Heftigste ist und irgendwie in der Zwischenzeit dieses Selbstbewusstsein klargemacht hat, das ihr bei "Tonight“ noch fehlte. Nun gut. Das Album heißt ja nicht umsonst "Stronger with each tear", denk ich mir jetzt mal so.
Angekommen bei Nr. 4 "Good Love" mit T.I. hat Mary schon genug bittere Tränen geweint und findet, dass es nun Zeit wird für ein bisschen Jigginess.
Das ist dann der Punkt, an dem man sich denkt: "Ich scheiß jetzt auf diese bösen Hurenmänner und gehe mit meinen Mädels tanzen!“ So ganz frech, wie ein Frechdachs.
Nein, im Ernst. Der Track ist gut, geile Horns, bleibt hängen und klingt wie eine Nummer, die in jede Manhatten-After-Work-Martini-Lounge gespielt werden könnte.
Und weil der Clubbesuch mit den Mädels so geil war, fühlt sich Mary wieder wie neu geboren und legt mit Track Nr 5 "I Feel Good“ das perfekte Material für ein paar kesse Popstar-Staffel-DSDS-Choreographien vor. Huuuh.
Dann schauen wir also mal nach, was wir jetzt schon haben. Mary ging’s weniger gut, dann besser, Party war auch, was fehlt? Ganz klar, ein Hood Track und die Baby I love you Tracks.
Diese lassen dann auch nicht lange auf sich warten! "We Got Hood Love“ kann sich locker sehen lassen! Der Track behandelt auf eine ehrlich Art und Weise die Themen, sich streiten, rumschreien, Dinge durch die Gegend schmeißen und dann doch wieder, wie eine Cracksüchtige auf den Macker warten. Trey Songz schildert uns die Gegenseite, die Seite des Mannes, der nach dem 20. Anruf dann ebenfalls wieder rangeht – denn so ist es bei den beiden halt – sie haben Hood Love füreinander! Kein Ding. Kennen wir alle. Find ich gut. So vom Ding her.
"Kitchen" ist dann wieder so ein Ratgeber und bedeutet kurz gesagt: Lass keine Frau in deiner Küche kochen, Mann! Ja, die ist ja da dann so in deinem Kühlschrank und so und holt da was raus und kocht da so. Und wenn es zu heiß wird, dann lässt sie alles fallen. Und das hat dann was mit Fremdgehen oder so zu tun. Also Kitchen ist eine Metapher.
Das ist alles nicht so geil, aber zu guter Letzt liefert die gute Mary Jane dann doch noch ein Old-School-Soul Meisterwerk á la Al Green ab mit dem Song "Color“, der auch als Soundtrack zum Film "Precious“ diente. Übrigens ein unfassbar guter Film, den jeder anschauen sollte.
Mary J. hat ihren Status, an dem niemand mehr rütteln kann. Sie ist die Diva, die Queen of Hip Hop & RnB und all diese Titel hat sie auch verdient. Die Frau hat neun Alben abgeliefert, von denen keins lange in den Regalen chillte und ich muss sagen, dass ich unfassbar viel Liebe und Respekt für diese Künstlerin habe. Ihre Stimme ist ganz klar nicht Whitney, aber sie war eben immer dieses rauhe Bad Girl im Hip Hop.
Dass sie über die Jahre erwachsener wurde, eine harte Schule durchlebte, Koksexzesse, gescheiterte Beziehungen, schlagende Männer und wer weiß was noch alles, das merkt man ihr an und das erwartet man auch in ihren Songs.
Aber genau da genau da liegt dann auch das kleine Malheur. Statt tatsächlich diese Geschichten zu erzählen, wählt Mary lieber den Durchschnitt. Sie wählt die Art von Produzenten, die im Radio gespielt werden und die Hot 97 und BET am Nachmittag erreichen.
Die Tracks sind wie aus dem Katalog ausgesucht und hätten auch von einer 21-jährigen gesungen werden können. Wo ist die Reife und die Stärke, die mit jeder weiteren Träne kam? Die vermisse ich schmerzlich.
Trotzdem Big Up Mary für ihre Ausdauer und für all die Lieder, die mich schon irgendwie ewig begleiten! Das neue Album ist trotzdem nur Durchschnitt.