Choleriker – Mann der Moderne

Der Mediziner Hippokrates unterschied bereits in der Antike insgesamt vier extreme Temperament-Pole, die sich aus einem Ungleichgewicht verschiedener Körpersäfte (Blut, Schleim, schwarze Galle und gelbe Galle) ergeben: den Sanguiniker, den Phlegmatiker, den Melancholiker und den Choleriker. Der Choleriker stellt dabei den zornigen, leicht erregbaren Pol der hippokratischen Klassifikation dar. Eben diesem Pol fühlt sich auch ein Leipziger MC zugehörig, der dem "Team Snuff Pro" entstammt, dem auch szeneinterne Helden wie Morlockk Dilemma und szeneüberbegreifende Bekanntheiten wie Mike Adler (Fiction) angehören.

Nach zwei Auftritten auf den "Feuer über Deutschland"-DVDs zieht der Choleriker nun aus, um mit seinem Wahnsinns-Demo "Mann der Moderne" minderjährige Groupies und kaufwillige HipHop-Köpfe für zukünftige Veröffentlichungen zu rekrutieren ("Intro"). Dabei kann er auf die tatkräftige Unterstützung von Weggefährten wie Morlockk Dilemma, Desert D, LUN und DJ D-Fekt, sowie auf gewohnt kompromisslose Produktionen von Morlockk Dilemma, Hiob, Mintebeats, DJ D-Fekt, Mortis One und DJ Saibz bauen. Auch in punkto Grundstimmung reiht sich das vorliegende Liedgut nahtlos in den bisherigen Output des "Team Snuff Pro" ein. So vermengt der Choleriker scharfsinnige Alltagsbeobachtungen mit seinem bitterbösem Humor zu einem kurzweiligen Hörerlebnis.

Nebst der genreüblichen Selbstbeweihräucherung auf Tracks wie "Trauma" (mit Morlockk Dilemma) oder "Wer ist er?", werden auch andere Themenfelder mit dem bereits obig erwähnten bitterbösen Humor gekreuzt, um großartige Tracks wie "Stop in the name of love" und "Matching" zu erschaffen. So weint der Choleriker auf "Stop in the name of love" einer (einseitig) perfekten Beziehung nach ("Yo, wir waren ein glückliches Paar, bis du mich ja verlassen musstest, ha,  und bis heute sind mir die Gründe nicht klar. Wir waren ein eingespieltes Team, auch wenn ich nie nüchtern war. Ich hob die Hand und du verschwandst in der Küche um Hühnchen zu garen.") und beschäftigt sich auf "Matching" auf unterhaltsame Weise mit dem Prinzip des "assortive mating", welches besagt, dass sich bei der Partnerwahl auf lange Sicht gleiches mit gleichem gesellt ("Er mochte ihre spontane kindliche Art. Mit ihr war gut Pferde zu stehlen, auch wenn sie sie hinterher fraß. Und sie liebte seinen köstlichen Sinn für Humor, wie oft konnte sie ihn nicht finden und er kroch zwischen ihren Schwimmringen hervor.").

Als weiteren Anspielbefehl muss ich Ihnen den Track "Bukkake" ans Herz legen, der sich wie ein Wolf (Inhalt) im Schafspelz (Instrumentierung) in den Gehörgang einschleicht und trotz stark sexistischer Inhalte den Weg in meine Playlist fand (Anmerkung des Verfassers: Ich empfehle den Genuss des Tracks NICHT vor dem 21. Lebensjahr!). Weiter ist "Die Stadt" sowohl im Original, als auch im Remix unbedingt empfehlenswert und besticht durch Zeilen wie "Hier sind alle fleißig, eine Prostituierte zwinkert mir zu, sie fickt rund um die Uhr, dafür kriegen ihre Kinder einen Kitaplatz in der Natur." Auch die restlichen Anspielstationen wissen prinzipiell zu überzeugen und ergänzen den ohnehin schon positiven Gesamteindruck.

Alles in allem handelt es sich bei "Mann der Moderne" um ein beeindruckendes Lebenszeichen eines Künstlers, den man trotz künstlerischer Verstrickungen mit dem großartigen Morlockk Dilemma nicht zwangsweise auf der Rechnung hatte. Das vorliegende Werk ist daher ein wichtiger erster Schritt in Richtung öffentliche Aufmerksamkeit und Wahrnehmung und dürfte das im "Intro" formulierte Ziel der Rekrutierung neuer Zuhörer in greifbare Nähe rücken. Das Album kann kommen!
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Herr Merkt ist Gastautor auf rap.de und schreibt hauptberuflich seinen vielbeachteten Blog Herr Merkt spricht über Hip Hop. Lesen!
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