Fiva – Rotwild

Am Ende des Interviews kurz bevor Fiva in den Zug stieg, stand ein Satz und am Anfang dieser Review steht derselbe: "Es mag Dich zwar überraschen, aber ich mag Dein Album.“ und vielleicht überrascht Euch das ja ebenfalls.

Natürlich klingt Fiva’s Musik nach Lehrerinnenrap. Diese betont klare und überartikulierte Sprache. Die Themen. Und als ich gestern mit drei elfjährigen Mädchen die CD im Auto gehört habe, meinte die eine, dass Fiva so klingt, "wie eine Person, die etwas vermitteln will“. Das ist zumindest die Oberfläche und wer das Interview gelesen hat, der weiß auch, dass die Künstlerin genau an dieser klaren, gebildeten Sprache leidet. Dass sie genau das als Barriere empfindet, aber da das zwar gekünstelt klingt aber in Wirklichkeit echt ist, lässt sich da vielleicht auch schwer was machen. Und warum auch?

Fiva ist eine Person, die in Wahrheit gar nicht so viel vermitteln, sondern etwas erzählen will. Eine Rapperin. Ein MC. Eine Geschichtenerzählerin. Kleine Alltagsbeobachtungen über Großmäuler und nervige Trendsetter, große Themen wie der Schwangerschaftsdruck auf Frauen um die 30, ausgedachte und verdichtete, kleine Kurzfilme wie die Geschichte von den uncoolen Hobbymusikern, die aus der realen Welt in die Welt der Kleinkunst abhauen oder die erschreckend kalte, zwiespältige, glasklare und doch verwirrte Beschreibung einer soghaften, verletzenden Liebesbeziehung. Im wahrsten Sinne des Wortes: "Daraus fließt der gelbe Hass, der die grüne Hoffnung lila färbt“.

Das ist eigen, originell, intim und intensiv. Es verliert sich eben nicht in allgemeingültigen und beliebigen Plattitüden, die solche Songs unerträglich machen würden, sondern es bleibt die ganze Zeit ganz nah dran an Fiva und liefert auf diese Art Bilder, die man nachvollziehen kann, selbst wenn man eben nicht drinsteckt. Erlebnisorientiertes Kopfkino. Wie oft hat man das folgende Wortspiel schon selbst leibhaftig erlebt: "Seh dich neben mir, aber mich nicht neben dir“.  Man denkt kurz nach. Das Bild taucht auf und dann sagt man: "Stimmt. Genau so war’s. Wir lagen zwar zusammen, ich habe dich angesehen, aber ich selbst war schon ganz woanders. Draußen auf der Straße, auf dem Heimweg. Ich liege zwar noch neben dir, aber eigentlich bin ich schon weg. Ich will weg!"

Das ist der Sinn von Wortspielereien, wenn sie gut sind. Sie kommen so beiläufig. Sie klingen wie ein ganz normaler Satz, wenn man dann aber beim zweiten und dritten mal drüberstolpert, dann verändert sich ihr Sinn: "Er kam, wie er kommen musste“ und "es kam, wie es kommen musste“, "ganz oder gar nicht – lass es uns abwägen/ die Beine bleiben kurz – vom vielen Absägen/ wenn Eva schlucken will – muss sie nicht abtreiben/ wenn Adam Äpfel will – muss er nur abbeißen“… die Platte ist voll davon und wenn es bei anderen so bemüht klingt, dass es einen schüttelt, kommt es bei Fiva so locker und nebenher, dass man die Platte wirklich oft hören und immer wieder was entdecken kann.
"Klar kommen und dreckig gehen“ entwickelt sich von einer Abrechnung mit dem "Ewig-jammernden-Freund-Exfreund-Ex-ExFreund“ zu einer Abrechnung mit dem "Ewig-jammernden-Ich“ und wenn es dann irgendwann heißt "Komm mal klar, komma’ klar, komma’, komma’ klar und mach mal endlich nen Punkt“, löst sich die Aufforderung "klar zu kommen“, bei näherer Betrachtung in eine Ansammlung von Kommata und Satzzeichen auf und der Satz zersetzt sich in seine orthographischen Einzelteile.

Das klingt nach schwuler Studentenscheiße und ist es vielleicht auch, aber es ist eben auch wirklich große, weil persönliche Kunst und genau das, was man mit Sprache machen kann. – Gegen den Strich Hören und die Welt so weit aufreißen, dass man den Horizont sehen kann. 

Musikalisch könnte man "Rotwild“ mit Fiva’s eigenen Worten beschreiben: "Meine Platte hängt seit 1996“. Genau das steht vielleicht dem großen Durchbruch im Weg, zu den Raps passen diese kleinen, verspielten, samplelastigen, schleifenden Instrumentale aber, die nach viel liebevoller Soundarbeit klingen.

Je öfter ich die CD höre, desto besser wird sie und das, Freundinnen und Freunde, das kann ich nun wirklich nicht über viele Alben sagen. Danke.