Snaga & Fard sind Talion – 45

Der beste Freund aller Anglizismenforscher Snaga und der Albtraum aller Soziologiestudenten Fard haben sich formiert, formiert zu Talion, einer Rechtsform bei der zwischen dem Schaden, der einem Opfer zugefügt wurde, und dem Schaden, der dem Täter zugefügt werden soll, ein Gleichgewicht angestrebt wird. Auge um Auge, Zahn um Zahn mit einfachen Worten, aber das wäre zu offensichtlich. Vergeltung wäre ein anderes Synonym. Als Crewname taugt Talion zweifelsohne besser.

Nachdem also der intellektuelle Part dieser Review geklärt wäre, können wir uns über den musikalischen Part und vor allem die Inhalte auslassen. Dass über die Skills der beiden Akteure keine weiteren Worte verloren werden müssen, liegt auf der Hand. Beide haben ihre Deus gepaid und sind vor allem für ihre Punchlines bekannt und schenkt man den Interviews glauben, die S-n-a-g-a und F-A-R-D in der letzten Zeit gegeben haben, streben sie mit diesem Album das Ziel an, Straße und Sozialkritik zu verbinden. Die Frage ist natürlich, ob man sich von Straßensoldaten und Punchlinegewittern etwas über die Missstände in unserem Land erzählen lassen möchte, zumal sich die beiden 45er gerne auch mal in Widersprüche verwickeln? Man möge mir vorwerfen, ich sei zu kleinlich, doch wenn ich mit der Fahne der Sozialkritik durch die Hood renne, dann sollte das über plakative Stichwörter hinausgehen. Ich meine sonst kann ich gleich Koch wählen.

"Talion ist der Dreck, abseits der öffentlichen Augen" und sie "zeigen euch was hier los ist". "Vater Staat schlägt dir jede Tür vor der Nase zu – fressen und gefressen werden, was erwartest du?“ Es geht also um die Wut auf Vater Staat und dessen Organe und natürlich den Umstand, dass Talion "unfickbar“ ist ("Wir sind eine Macht" auf orientalischem Riff-Beat). Es geht um die "Sehnsucht nach mehr" (auf einem stimmungsvollen KD-Beatz-Beat) es geht darum, unzufrieden zu sein, mit Deutschland und der eigenen Situation und die Talion’sche Sozialkritik überzeugt immer dann, wenn sie zynisch wird. So z.B. auf "Du hast Recht", auf dem die beiden es schaffen glaubwürdig den Finger in die Wunde zu legen. Zum Beispiel wenn Snaga wütend rappt: "Es gibt kein Dope, kein Alk, kein Koks, kein Leid keine Not, los schweigt uns tot und sagt die Unterschicht hat’s nie ganz leicht, doch Hartz 4, Hochhaus und ein Spielplatz reicht. Ihr Wixxer, ihr wisst ein Dreck davon…" Gelungen auch das nachdenklich-verspielt von Omidbeatz in Szene gesetzte Snaga-Solo "Good Morning Vietnam", sowie das gefühlvolle "Ihr Geheimnis" bei dem Fard sehr gekonnt die Rolle des Erzählers einnimmt und über das Schicksal und den täglichen Kampf einer allein erziehenden Frau berichtet, sowie das sentimentale "Das Letzte Mal", bei dem man verlorenen Freunden gedenkt und gebliebenen dankt.  Aber das sind leider Ausnahmen auf "45"!

Gerade Fard verstrickt sich leider immer wieder in Widersprüchlichkeiten. So gehören Jungs wie Fard "einfach weggesperrt – Vater Staat du hast recht, wir sind deine Gäste – eine Frage, haben deine Gäste keine Rechte", nur um kurz darauf vom Drogenbesitz, -konsum, -ticken, Nasebrechen und Boxereien zu rappen? Sich nicht zu fragen, ob an den eigenen Händen unschuldiges Blut klebt ("Tanz mit dem Teufel")? Klar haben die Gäste in diesem Land Rechte, aber eben auch Pflichten und wer diese nicht erfüllt bekommt eben berechtigterweise Stress mit der Obrigkeit. Da bringt es wenig sich auf "Illegal" und asozial zu berufen und die Schuld Vater Staat in die Schuhe zu schieben, der einen vergessen hat. Es bringt auch nicht viel, die Ansicht zu vertreten, dass Bildung ihren Wert verliert, wenn es keine Arbeit gibt. Gerade dann ist Bildung wichtig und es bleibt zu hoffen, dass Fard nicht wirklich für die gesamte Generation sprechen möchte.

Inhaltlich ist mir "45" einfach zu platt und das obwohl ich die Migrationsraps in der Regel fühle, da auch meine Großeltern ihre Heimat verließen, um in Deutschland ihr Glück zu suchen. Allerdings ist keiner der beiden Akteure in der Lage, mich von ihrer Art von Sozialkritik zu überzeugen. Technisch und auch vom Sound her dagegen präsentiert sich "45" stimmig und überzeugend.
Ein ganz großes ABER kommt dann noch zum Schluss: 14€ für ein Album (?), das 45 Minuten Laufzeit beherbergt? Komme ich aus Gladbeck? Das geht leider gar nicht in Zeiten der Krise und der schlechten CD-Verkäufe. Das ist dann nicht nur inhaltlich zu wenig.