Deichkind – Arbeit Nervt

Wer oder was ist Deichkind? Was soll das sein? Was soll das darstellen? Die neuen Scooter? Die neuen Kraftwerk? The Residents?
Dass Ferris MC zum Beispiel den dicken Buddy ersetzt haben soll, oder ob der noch dabei ist, das merkt man an keiner Stelle. Und ehrlich gesagt ist das ist auch Scheißegal.

Das Problem an der Maskerade und am Klamauk von Deichkind, ist, dass ich immer das Gefühl habe, dass sie sich dahinter verstecken. Wenn sie sich in Unterhose auf die Bühne stellen oder ach so selbstironisch über ihre dicken Bäuche rappen, dann habe ich immer das Gefühl, dass sie ablenken wollen – ablenken von sich selbst. Angst vor der eigenen Coolness könnte man das auch nennen. Deichkind tun alles dafür, dass man sie nicht kritisieren kann, indem sie sich schon selbst im Vorfeld lächerlich machen, um demjenigen, der sie kritisieren könnte ein "Du hast es ja gar nicht verstanden“ entgegen zu schleudern.
Das ist bedauerlich, denn auf eine Art könnten Deichkind tatsächlich cool sein, nämlich dann, wenn sie eine Instrumental Platte aufnehmen würden. Die Beats sind Bombe! Ganz ohne Zweifel! Der Aufbau der Songs zeugt von großer Musikalität! Auf jeden Fall!

Die ganze Zeit frage ich mich, welcher der Texte von Deichkind am echtesten ist, aber schlagerartig verfremdete Stimmen oder märchenbuchartig anmutende Lyrik wie bei "23 Dohlen" – das klingt dann tief und bedeutungsschwanger – ist aber leider nur Oberflächenscheiß. 

"Arbeit Nervt" könnte zum Beispiel tatsächlich der Track gegen moderne Ausbeutungsverhältnisse sein und dass ein solcher Song funktionieren kann beweisen ja auch Manny Mark und Corus 86 in ihrem Song "Kein Bock auf Arbeit“.
Aber das, was Deichkind hier abliefern, klingt so ausgedacht und so nicht nach selbst erlebt, dass einem schlecht wird. Es geht hier ja noch nicht einmal um Erlebniswelten, die sie aus eigener Erfahrung kennen KÖNNTEN. "Arbeit Nervt" KÖNNTE ja der Song gegen die Medienbranche und ihre unbezahlten Praktikantenjobs sein, mit 16 Stunden Arbeitstagen ohne entsprechende Bezahlung. Selbstausbeutung und die Selbstverständlichkeit mit der erwartet wird, dass man heutzutage 150% mobil, flexibel und einsatzbereit ist: DAS NERVT TATSÄCHLICH. Bei Deichkind wird das aber alles abgeflacht zu einer Polemik gegen Sachsen-Anhalt, dem Land der Frühaufsteher und gegen eine Arbeitswelt, die es in Deichkind-Kreisen so gar nicht mehr gibt. "Früh aufstehn ist wohl eher so was für dich?“ Freunde, wann seid ihr das letzte mal vor 9 aufgestanden? Macht euch nicht lächerlich.

Deichkind leben in ihrer spießigen alternativen, aufgeräumten, flippigen Hamburger Schanze Welt und klar haben sie mit den Idealen einer Arbeiterbewegung nichts zu tun. Natürlich sind die alten Losungen wie "Hoch die internationale Solidarität“ nichts mehr wert, daraus aber Trinksprüche und Bierwurstreime zu machen, ist so müßig und angestrengt, wie Witze über George W Bush. Schon alleine deshalb, weil keiner mehr was damit anfangen kann und nur ehemals linksalternative Werber diese Botschaften überhaupt noch verstehen. Menschen, die irgendwann mal ihre Ideale aufgegeben haben, weil sie festgestellt haben, dass sie doch wie ihre Eltern werden, egal welche Drogen sie genommen haben. Menschen, die nun tatsächlich glauben, dass die wahren Revolutionäre bei der FDP zu finden sind. 

Und so zieht sich das weiter. Durch die ganze CD. Zwischen Selbstverarschung und Kinderreimen und einen einzigen Song habe ich gefunden, den ich wirklich, wirklich fühlen konnte und komischweise ist es genau der, der in seiner Unpersönlichkeit am meisten an Kraftwerk erinnert.  "Ich und mein Computer" ist eine Aufzählung von schwachsinnigen Computermeldungen und Computersituationen aus dem Alltag und jeder weiß, was es heißt, wenn das Kabel zu kurz ist, die Düse verstopft, Fehler Nummer 148 Auftritt, das Programm unerwartet beendet werden muss, die Festplatte zu voll ist und das Update veraltet ist… alles natürlich unter Zeitdruck, wenn gerade alles noch ganz schnell fertig und verschickt werden muss. Sanduhr, Sanduhr, Sanduhr, Sanduhr.
Da wird mir alleine vom Zuhören schon heiß und ich muss aufpassen, dass ich nicht gegen den Bildschirm boxe.

Ansonsten habe ich den Eindruck, dass hier ein paar Bohemiens auf Proleten machen. Ausgedachte Songs übers Saufen oder über Travelpussys. Hohoho, was für eine schmutzige Fantasie?!? Diese mitnehmbare Möse, die man in Sexshops auf der Autobahn kaufen kann.
Klar haben Deichkind das Ding ausprobiert, aber: DAS IST NICHT EUER Leben!!!! Eure Suche nach Authentizität ist einfach nur Trauer. Mister Truck Driver wird trotzdem lieber Bushido hören, oder Böhse Onkelz oder irgendwas anderes, wo er sich spüren kann und von dem er denkt, "der redet für mich". Ob diese Künstler dann tatsächlich authentischer sind, sei mal dahingestellt, aber Deichkind klingt noch nicht mal so.

Stellt euch doch einfach mal hin und sagt: "Das meinen wir auch so. Das ist ernst. Das ist, was wir sagen wollen. Diese Sachen lieben wir. Diese Sachen hassen wir. Dazu haben wir eine Meinung. Dazu haben wir eine Haltung."

Doch nein. Hier ist alles eins. Alles verschwimmt. Wahrscheinlich habt ihr dafür auch noch eine Erklärung und nennt es Dekonstruktivismus. In Wahrheit es aber einfach nur feige.

Aber vielleicht ist die Wahrheit auch nur einfach schlicht und ergreifend so erschreckend langweilig, wie die Textzeile aus "Hovercraft“:  "Jedes mal, wenn’s so weit ist, bin ich bereit, den ganzen Mist von gestern in die Tonnen zu treten/und abzuheben wie Raketen./Oh mein Gott warum kling ich wie sie/ich hab kein Feature gekriegt/ich nasch ne Tüte Colafläschchen/während Papa Stulle kriegt“ Nun gut.

Deichkind trauen sich ganz einfach nicht, sie selbst zu sein. Sie zeigen zu keinem Zeitpunkt Gesicht und sind trotzdem auf der Suche nach dem "Echten". In diesem Punkt sind sie vielleicht tatsächlich die authentischste Band für die Generation Neon um die 30.
Mutlos, angepasst und pseudowild.

Das ist schade. Bei diesen Beats. Wirklich schade.

Beats 6; Texte 0, deshalb 3 von 6 Punkten.

PS: Dass Deichkind auf dem Labeldruck der CD das Symbol der Dead Kennedys benutz haben, das ist… ach egal.