Terry Lynn – KingStonlogic 2.0

Zuerst einmal. Ich habe keine Ahnung von Ragga oder Dancehall. Für mich gehört das vielleicht irgendwie und im weitesten Sinne zur Hip Hop Kultur aber ich habe mich zwischen grün-gelb-roten Kappen und blonden Wursthaaren nie wirklich zu Hause fühlen können. Vielleicht liegt das auch daran, dass ich nicht kiffe? Wer weiß?

Ich kann diese CD also nur so beschreiben, wie ein österreichischer Bergbauer Anfang des 20. Jahrhunderts ein kubistisches Bild beschrieben hätte. Völlig unverstellt und ein bisschen naiv, ohne im Besitz der richtigen Worte und beschreibenden Begriffe zu sein. Ifyaknawwhutchamean?

Die CD heißt KingStonlogic 2.0 und so hört es sich auch an. Das ist Ragga advanced und die Musik ist auseinandergerissen, wieder zusammengestückelt, durch den Fleischwolf gedreht, reverse und wieder zurück. Manchmal geht es smoof nach vorne und fast schon möchte man sich zurücklehnen, wenn dann doch wieder der nächste verrückte Break über uns hereinbricht Und das sind nicht nur subsonische Bässe oder kreischende Schwingschleifer oder diese kratzenden 808 Sounds – nein – das sind dann auch so Keyboard Riffs, die direkt aus einem Modern-Talking-Opus-Europe-TheFinalCountdown-Lifeislife-80er-Trash Stück kommen könnten., wie z.B. Screaming in the night.

Alles also wahnsinnig modern und richtige Zukunftsmusik aber immer noch so dreckig, dass man drin stehn möchte inni Dance und der Dichtigkeit einer schwitzenden Menschenmasse, mit Armen, Beinen, ekstatischen gesichtern und vor allem Ärschen. "Girls from the streets from the gulley from the gutter". Dass die Stücke teilweise auch noch exzellent ineinander gemixt sind verstärkt die Dancehall Atmosphäre.

Terry Lynn ist so etwas wie M.I.A. in echt (diese Formulierung stammt nicht von mir, sondern von Axel – Props an dieser Stelle). Terry Lynn stammt aus Kingston "I’m a child of the soil I was born in the ghetto/ where the gangstas roll by and the gunshot echo“. Trotzdem klingt ihr Sound so britisch als hätte sie nie mit anderen Leuten als irgendwelchen versponnenen House-Grime-Elektronik-Fricklern abgehangen. Immer wieder neue Wendungen, immer wieder neue Sounds und dabei aber eben ohne Netz und doppelten Boden, ohne die Abgesichertheit Europas sondern wirklich raus aus dem Dreck und rein in den Trouble, in die (Sound-)Hölle der Karibik.

Dass die Texte im Booklet abgedruckt sind, ist löblich und auch wirklich hilfreich. Terry Lynn kämpft sich durch düstere Gunmenlyrics in die Schönheit der Blue Mountains, streift den Internationan Währungsfond um wieder bei Kokain und Mord und Totschlag zu landen, obwohl das auch nicht so weit weg vom IWF ist. Alles hat mit allem zu tun und die Wut und die Schönheit, das geschärfte Bewusstsein und die Zärtlichkeit liegen nah beieinander.

Auch das ist 2.0. und auch das ist wirklich großartig.

An manchen Stellen wird das Album ein bisschen sehr schön (vor allem bei Destiny) was daran liegt, dass Frau Lynn auch noch richtig gut singen kann und das auslebt. Immer da wo man es gerade nicht erwartet aber auch wo es R’n’Besk und soulfull wird, stecken die Songs immer noch voller Überraschungen, auch wenn man da allerdings ein bisschen genauer hinhören muss. Das ist dann nicht so knallermäßig in die Fresse wie beim Titeltrack himself Kingstonlogic (bekanntermaßen ein Daft Punk Rip Off) oder bei Stone oder bei System.  

Mit dem Acapella Stück The Most High und der Roots-Electro-Version des Boney M  Klssikers Rivers of Babylon wird es dann noch mal richtig irre und so unfassbar schön, dass… Gänsehaut.
Terry Lynn hat ein wegweisendes Album geschaffen und man hat wirklich das Gefühl, dass hier eine wahre Künstlerin alles in die Waagschale wirft – immer begeleitet von einem energischen "Scheiß drauf, was die Leute denken, wir machen das einfach“.

In diesem Sinne: For those about to rock – we salute you!      

6,5 von 7 Punkten.