Casper – Hin Zur Sonne

Casper ist so’n Fall für sich. Begann er schon in jungen Jahren, noch bevor er mit seiner Mutter aus dem amerikanischen Augusta/Georgia nach Bielefeld ausgewandert ist, auf Amerikanisch zu texten, half ihm eben jenes Texten, die für ihn damals so fremde Sprache zu erlernen. 2003 legte Benjamin Giffrey den "Grundstein" seiner Karriere mit der gleichnamigen EP und gründete ein Jahr später mit dem heutzutage nicht ganz unbekannten Kollegen Seperate und Abroo die Crew Kinder Des Zorns. Mit dem Album "Rap Art War“ erschuf die Gruppe einen kleinen Klassiker, der heute nur noch in der dritten Auflage zu erstehen ist. Zwischenzeitlich wechselte Cas aber auch ganz das Lager und fand sich durch A Fear Called Treason im Metalcore wieder. Ganz clean wurde er aber nie von der Droge Hip Hop und so veröffentlichte er 2006 das Album "Die Welt Hört Mich", das ihn auch über die Bielefeld’schen Grenzen hinaus berühmt machte und damals schon verdammt gute Kritiken einfahren konnte.

Mit seinem Label 667 – One More Than The Devil im Rücken veröffentlichte der Mann in den Röhrenjeans im Mai das heiß erwartete Nachfolgeralbum "Hin Zur Sonne". Hier ist der Name Programm, schon der Titeltrack, der das Album eröffnet, gibt die Richtung vor. Depressiv, Gesellschaftskritisch, gefühlvoll, durchdacht, zerbrechlich und stark – aber dennoch auch immer mit einem positiven Blick und einem lachenden Auge. Hier berichtet er über seine Jugend, wie er nach Deutschland kam, wie ihn die Eindrücke quasi erdrückten, untermalt von einem wunderschönen, verträumten Beat bis mir die Hook Gänsehaut beschert – und das ist nicht die einzige: "Wir müssen Hin zur Sonne, da wo die Sterne berührbar sind / Wir müssen Hin zur Sonne, da wo die Engel dich tragen im Licht".

Den alltäglichen Stress eines Jugendlichen und im Speziellen den in der Schule behandelt Casper im Track "Deine Jugend" ("Geschlagen werden in der Schule, weil du nicht bist wie sie, weil du nicht tickst wie die Fähnchen im Wind / Du nicht aussiehst wie Bilderbuchkerle bei Mädchen im Spind").  
Dass der gute Mann aber auch das Posing drauf hat beweist "Die Welt Steht Still", gefolgt von der Single "Hundeleben", das (seine) tägliche Schwierigkeiten mit dem lieben Geld offen legt, veredelt mit einem ruhigen Beat, und einer sehr präsenten Klaviermelodie.
Hier möchte ich aber auch ein wenig Kritik anmelden. Der Bielefelder erschafft Widersprüchlichkeiten mit Lines wie "Sieh nur dieser Nike-Dunk ist mehr wert als dein Kleiderschrank" auf der einen Seite und Zeilen wie "Diese fünf Winter getragenen Nike’s fühlen sich fast schon wie Sandalen an" auf der anderen Seite, was mich verwirrt und an seiner sonst hohen Authentizität ein klein wenig zweifeln lässt.
Ein echter Liveburner steht dann an Startposition Nr. 5 mit einem selbstironischen Text und einem Ska-Beat inklusive Trompeten. Seine Schwierigkeiten in der Liebe verarbeitet der Mit-Zwanziger im Track "In Deinen Armen" in Kollaboration mit Schmusesänger Amaris. Selbst Prinz Pi hat es in "Der letzte Tanz" noch auf die Platte geschafft. Killerparts aus dem Hause des Untergrund-Berliners ("Aus dem Rauch der verpesteten Paläste, In meinem Bauch feiern Schmetterlinge Feste") und Caspers ("Noch eine letzte Zigarette das war’s,
Diese Stadt tanzt im Takt zu schmetterndem Glas").
Was erst wie ein Sauflied erscheint, hat einen weitaus tiefsinnigeren Hintergrund.
In "Unzerbrechlich" zieht Casper Bilanz mit seinem bisherigen Leben und in "Verdammt nah dran (Supermänner)" huldigt er seinen Freunden ("Der erste der Gang, der stirbt, Nur noch 5 Freunde beten für, deine Ma zitternd wie sie den Sarg unter Tränen führt, also Prost auf dich!"). Einen inoffiziellen Nachfolger zu "Komm ma‘ ran" beschafft uns "Stampf ihn ein" mit den Jungs von Pimpulsiv, Elch und Al Capone – geht sehr in die Aggro-Richtung. In "Strasse 2", ein weiteres Sequel, darf sogar Oberpimp Kollegah seine Technik anpreisen. Kurze Pause durch ein Skit und das Ende findet mit dem letzten offiziellen Track "Kein Held" einen würdigen Abschluss, in dem er noch einmal seine Unschuld in Bezug auf einen seiner bekanntesten Tracks "Rasierklingenliebe" beteuert ("Jeder sagt ich bin Schuld, keiner sagt die Kleine war schon immer schräg drauf") und zieht somit ein Resümee zu seiner gesamten letzten Zeit.

Alles in einem bietet Casper uns auch aus technischer Sicht ein hervorragendes Album. Die Reime kommen nie gezwungen, er schafft es Doppelreime perfekt ins Geschehen einzubinden und die Message kommt jederzeit rüber. Seine sehr aggressive, zerkratzte – ja, beinahe kaputte Stimme ("Stimme wie Kehlkopfkrebs") geben dem beinahe verzweifelten Hintergrund einen sehr passenden Anstrich. – Sehr signifikant, ein unverzichtbares Merkmal für ihn. Ich habe selten ein Album gehört, dass mich so berührt hat. Caspers – teilweise simplen – Worte stechen sofort ins Herz, einfach grundehrlich. Er fließt wie die Niagarafälle und weiß das Leben treffend und malerisch zu beschreiben, so dass man immer ein Bild von der beschriebenen Situation bekommt und jederzeit mitfühlen kann. – Kaufen. Bitte.