Auf Tour sein ist super. Das sage ich jetzt nicht aus langjähriger, Künstlerdaseins-bedingter Erfahrung, das entnehme ich den diversen Live-DVDs, die ich in meinem Leben schon sah. Nicht anders zeigt sich das auch bei den Kannibalen in Zivil, dem erfolgreichsten und zugleich letzten Act des dahinscheidenden Berliner Labels Royal Bunker, die mit "Hahnenkampf Live“ ihre erste Tour-DVD herausgebracht haben. Alkohol, willige Frauen, die überschwängliche, einem entgegenschlagende Liebe des Publikums… Werden derartige Mitschnitte nicht nur deshalb veröffentlicht, um den Pöbel neidvoll zu sich aufblicken zu lassen? Damit die selbst zerstörerische Herrlichkeit des "Rock’n’Roll“-Lifestyles aufrechterhalten wird? Andererseits macht es den Künstler an sich menschlicher. Fernab perfekt ausgeleuchteter Studios, mit vor Nervosität schweißnassen Händen vor dem Auftritt, nachdenklich und selbst reflektierend im Zustand melancholischen Vollrausches – man möchte Gedichte darüber verfassen.
Ähnliche Gedanken trieben Noch-Labelchef Marcus Staiger wohl auch dazu, den dokumentarischen Teil der "Hahnenkampf Live“-DVD mit säuselnder, nahezu zärtlicher Stimme zu kommentieren. Das kann einen nerven, könnte aber auch als reizvoller Kontrast zu der Ballermann 6-artigen Stimmung auf und vor der Bühne gesehen werden. Je nachdem, ob man der "3Sat-Moderatoren sprechen über Delfine"-Typ ist oder nicht. Negativ erwähnen könnte man, dass selbst der explizit als "Backstage" betitelte Teil aus gefühlten 60 Prozent an Live-Mitschnitten besteht. Eventuell hätte man sich dort auf die mitunter wirklich witzigen und aufschlussreichen Blicke hinter die Kulissen beschränken sollen. Besonders das Aufeinandertreffen der K.I.Z.-Jungs mit größtenteils erbärmlich vorbereiteten Pressevertretern bildet ein Highlight der DVD, führt aber zumindest bei mir zum journalistischen Fremdschämen. Ebenfalls sehr schön: der Maxim und Tarek-Remix von "Kreuzberger Nächte", bereichert durch gegrölte Club-Parolen a la "Respect the man in the ice cream van" oder "Von den Fenstern zu der Wand!". Insgesamt offenbart die Backstage-Reportage nichts wirklich Neues, ist aber thematisch in verschiedene Kapitel gegliedert und somit nicht nur übersichtlich, sondern auch abwechslungsreich.
In jedem Fall wird einem auf fast 3 Stunden Videomaterial einiges geboten: neben dem nahezu kompletten "Nikolauskonzert“, das Ende letzten Jahres im "Huxleys Neue Welt“ vor ausverkaufter Halle und mit Rammstein-artigen Pyro-Effekten stattfand, und dem neuen "Hölle“-Video mit Bela B., seines Zeichens Bandmitglied der Ärzte, gibt es besagte Backstage-Dokumentation, die mit nahezu allem aufwartet, was man sich als Fan wünscht. Außer Orgien mit Minderjährigen und Drogen. Trotzdem ist die DVD erst ab 16 freigegeben, denn es fallen böse Worte und manchmal auch sexuelle Anspielungen. Nicht, dass diese Schweinereien das kulturell wertvolle Gesamtbild trüben würden, aber man möchte es mal erwähnt haben. Ansonsten ist es, wie bei allen Live-DVDs: Wenn du’s magst, bist du Fan, wenn nicht, dann eben nicht.