Ok. Ja ich weiß. Es gibt keine Genregrenzen mehr. Es ist vorbei. Reggae, RnB, Rap, Ska, Jazz – alles eins. Estelle bezieht hier eindeutig die Position einer Europäerin, die all diese Musikrichtungen nur als Import kennt und elegant und atemberaubend durch den Großmarkt der schwarzen Musikgeschichte schlendert: "Bitte hier noch ein bisschen Soul und da hätte ich noch gerne hundert Gramm Jazz. Ach und wenn sie mir das alles noch in Funk einpacken könnten. Das wäre nett. Danke.“
Das kommt gut im Endergebnis. Vor allem deshalb, weil Estelle wahnsinnig frisch und unverbraucht klingt. Da hört man dann wirklich das kleine Mädchen, dass doch nur Musik machen möchte, mit einer Stimme die an den richtigen Stellen kiekst, ein bisschen nach Rotwein und Zigaretten klingt und herzzereißend brüchig ist. "Komm in meine Arme", möchte man sagen, "Alles wird gut!“
Bei aller Raffinesse wirkt "Shine“ an keiner Stelle aufgesetzt und berechnend, wie man aufgrund der Produzentenliste denken könnte, die sich wie ein Who is Who der alten und etablierten Hasen liest (Wyclef Jean, Will I Am, Kanye West, Swizz Beatz und Mark Ronson).
Auf der anderen Seite könnte man dagegen sagen, dass sie dann aber auch nicht wirklich auf den Punkt kommt – Die CD. Dass sie ein bisschen rumeiert. Und tatsächlich, um als richtig großes Album in die Musikgeschichte eingehen zu können, fehlt dem Longplayer einfach das zwingende Element. Der "Oliver Kahnsche Wille" zum Erfolg, der aus jedem Track ein Klassiker machen will. Natürlich gibt es da diesen Song mit Kanye West, dieses "American Boy", aber auf eine seltsame Art fällt der auch raus, aus der Tracklist, oder anders gesagt – er fällt auf.
Das ist alles klasse, was Estelle so macht, aber mehr Hits sind dann tatsächlich nicht drauf. Für den richtig großen Wurf fehlt der Mut, die Dinge radikal anders zu machen. Für das nächste große Ding ist "Shine“ leider zu harmlos. Alles ist da. Die Hip Hop Roots. Die Stimme. Das Aussehen (auch wenn sich ihre Plattenfirma anscheinend darüber beschwert und ihre eine Gebisskorrektur angeraten haben soll, was später dementiert wurde). Die Attitude stimmt ebenfall, wenn Estelle rüberkommt als würde sie unbefangen ans Mic steppen und der Welt erklären: "Ich bin ein London Chick. Hi America.“ Aber vielleicht sollte das ganze mal durch ein kräftiges "Fuck America" ersetzt werden und dann würde es richtig abgehn.
So bleibt eine CD für laue Abende auf dem Balkon. Bei besagten Zigaretten und Rotwein. Vielleicht mit einer Person, mit der man bislang nur befreundet war – "More than Friends". Ist ja auch nicht das Schlechteste. Ist sogar wunderschön. Warum eigentlich nicht?