„Die Großstadt mein Dschungel, so laut und gefährlich / Tarzan war nie hier ich vertrau keinen Märchen / Ich will helfen die Stadt braucht Helden ohne Angst / Und Gotham City ist ein Scheiß gegen Frankfurt Main und Offenbach“ (Credibil – „Akt Appella 2“)
Warum ist Frankfurt so eine besondere Stadt? Warum prägt die Bankenmetropole mit der einzigen Skyline Europas deutschen Rap, insbesondere Straßen- und Battlerap, so sehr, wie kaum eine andere (Berliner dürfen mich jetzt verfluchen)? Weil Frankfurt nicht nur Sitz der EZB ist: Es ist eine Stadt der Gegenteile, so schön hässlich, wie Credibil so treffend rappt. Glänzende Häuserfassaden ragen bis in die Wolken und zu ihren Füßen sucht ein Typ noch eine gute Einstichstelle für den Schuss am Morgen. Frankfurter Applaus eben. Und wie wir alle wissen, gedeiht guter Rap im Dreck, am Bordstein, besonders dann, wenn die Skyline in Sichtweite ist. Dazu kommt ein weiterer Standortvorteil: Rap kam mit den amerikanischen Militärstützpunkten schon extrem früh nach Frankfurt.
Und er fiel auf einen fruchtbaren Boden: Ein gutes Beispiel dafür ist die Nordweststadt, die in den 50er Jahren als Reaktion auf wachsende Bewohnerzahlen gebaut wurde. Für viele wurde die Nordi ein Zuhause, Azad und D-Flame sind die wohl berühmtesten Bewohner dieses Viertels. Nur wenig kulturelle Einrichtungen waren damals zu finden, die Kriminalitätsrate machte den Nordwesten Frankfurts zu einem sozialen Brennpunkt. Dies gilt für viele Randbezirke, die fernab vom geleckten Westend noch mit halbwegs erschwinglichen Mieten locken. Rödelheim, Sossenheim oder die Römerstadt – eigene Welten, auch mit eigenen Gesetzen – wurden durch ihre Bewohner erschaffen. Und sie stehen zu ihren Vierteln. Moses Pelham und das Rödelheim Hartreim Projekt sind die Urväter der Frankfurter Szene, sowohl im Namen als auch in den Texten wird daran kein Zweifel gelassen. Celo & Abdi benennen ihr Label nach der Bornheimer Postleitzahl 60385 und dass Azad die Faust des Nordwestens ist, steht wohl außer Frage. Es sind harte Gegenden mit einem aggressiven Mindstate, nachts mal die Straßenseite zu wechseln, ist hier keine Schande.
Andererseits, „Die Hauptstadt des Verbrechens“ – naja. Immer Vorsicht mit solchen Behauptungen, die Statistiken ergeben sich vor allem durch Zollverstöße am Flughafen, der ja nun mal zu Europas größten Umschlagplätzen zählt. Frankfurt ist genauso gefährlich oder ungefährlich wie jede andere etwas größere deutsche Stadt auch. Neukölln in Berlin, Ossendorf in Köln, die Eisenbahnstraße in Leipzig, St. Pauli in Hamburg, die Nordweststadt in Frankfurt – diese Viertel gibt es überall, sie sind soziale Phänomene geboren aus großen Einkommensunterschieden innerhalb eines Landes. Damit einher geht Vernachlässigung der Bildungs- und Entwicklungschancen und dass Deutschlands Integrationspolitik ein schlechter Witz ist, zeigt sich derzeit beispielsweise an diversen Montagsmärschen von besorgten Bürgern, die nicht wahrhaben wollen, dass Interkulturalität ein Bestandteil dieser Welt ist und schon immer war.
Gut. Aber warum aber bringt dann gerade Frankfurt Rap hervor, der bezogen auf die Atmosphäre, so einzigartig ist?
Die Anfänge des deutschen Rap verliefen in verschiedenen Städten sehr unterschiedlich. Stuttgart brachte etwa die Fantastischen Vier hervor, die sich vor allem durch humoristische Lyrics und eine Mittelschichtsattitüde auszeichneten. Advanced Chemistry aus Heidelberg, aus deren Crew später Torch hervorging, hatten eine dezidiert politische Haltung, die Absoluten Beginner aus Hamburg waren so etwas wie eine Kombination aus beidem. Berlin war noch gar nicht auf der Karte, an Straßenrap und Ghetto-Feeling im Deutschrap war noch lange nicht zu denken. In Frankfurt machten sich jedoch Anfang der 90er Moses Pelham und Thomas Hofmann mit dem Rödelheim Hartreim Projekt einen Namen. Und zwar hart.
In „Reime“ rappt Moses:
„Wir kommen direkt aus Rödelheim, steck deinen Dödel ein, ein harter Ort, ein hartes Wort, nimm deinen Blödelreim zurück Stück für Stück, die Taste ist gedrückt: Pause, Rücklauf, Stopp – Reim missglückt bestückt mit blauen Flecken, ihr könnt uns lecken, verrecken, euch verstecken“
Bämm. Währenddesen in Stuggi: „Am Wochenende hab ich mir den Kopf verdreht, ich traf eine junge Frau, die hat mir ganz gut gefallen und am Samstag in der Diskothek ließ ich die Korken knallen.“ („Die da!?!“) Man merkt einen gewissen Unterschied…
Zu eben jenem Zeitpunkt traten auch Konrekt Finn auf die Bildfläche. 1994 veröffentlichte das Trio „Ich diss dich“ , das schon im Titel die Blaupause von Battlerap enthält. Mit ihren aggressiv gespitteten Lines leisteten Tone und Iz Pionierarbeit. Was die Etablierung und Umsetzung von harten Punchlines angeht, sind Konkret Finn schlicht Avantgardisten.
Sie und auch das besagte Rödelheim Hartreim Projekt machten eine neue Schublade auf, sie öffneten eine neue Tür: Man erklärt sich selbst zum Maß aller Dinge und schießt gegen den Rest. Rapper wie Kool Savas, Bushido, Sido, Fler, Bass Sultan Hengzt und unzählige andere beschritten später den Weg, den das RHP freigeschaufelt hatte – und bauten ihn aus. Straßenrap wurde immer salonfähiger. Und um Frankfurt wurde es stiller. Nur Azad, der um die Jahrtausendwende auf der Bildfläche erschien und den harten Style mit nachdenklichen, nach innen gerichteten Betrachtungen verknüpfte, hielt die Fahne für 069 stetig hoch . Der Output Berlins war eine zeitlang aber so extrem, dass die Augen fast nur noch auf die Hauptstadt gerichtet waren, in der Main-Metropole brodelte es dagegen eher im Verborgenen. Doch es kam wie es kommen musste: Frankfurt, der Wegbereiter des harten Raps, kam zurück – und zwar breiter aufgestellt als jemals zuvor.
Im zweiten Teil des Frankfurt-Artikels“So schön hässlich“ wird es um die Protagonisten gehen, die den Frankfurter Rap wieder aufleben ließen: Haftbefehl, der mit den Azzlackz einer ganzen Generation einen neuen Namen gab, seine Homies Celo & Abdi, die mit viel Humor und ehrlichen Reimen nicht nur ganz Frankfurt hinter sich versammeln, Vega, der mit den Freunden von Niemand seine eigene, schlagkräftige Armee geschaffen hat und schließlich Credibil, der mit poetischer Straßenlyrik neue Maßstäbe im Deutschrap setzt.