Von verschiedener Seite wird dem neuen Video von Bushido und Shindy unterstellt, durch krasse Bilder provozieren zu wollen. Auch wenn diese Unterstellung aufgrund der Vorgeschichte Bushidos verständlich ist, ist sie in diesem Fall trotzdem falsch.
Schon bevor das neue Video von Shindy und Bushido online ging, kursierte ein Screenshot, der die Richtung in etwa vorgab: Die deutsche Wehrmacht marschiert durch den Arc de Triomphe in Paris. Für viele war allein aufgrund dieses Bildausschnitts klar: Jetzt geht das wieder los. Jetzt wird wieder gezielt provoziert und breitenwirksam für Empörung gesorgt.
Als dann das Video in voller Länge erschienen war und man es sich nach Feierabend nochmal in aller Ruhe reinziehen konnte, wurde schnell klar: Ganz so einfach ist es nicht. Das hier ist nicht einfach Stress ohne Grund, wie der Kollege Leopoldseder in einem etwas hastig hingeschrieben wirkenden Kurzkommentar unterstellt. Diese Unterstellung ist nicht überraschend, sie ist angesichts der Vorgeschichte Bushidos und dessen Neigung zur öffentlichkeitswirksamen Provokationen samt anschließendem achselzuckendem Verweis auf die Kunstfreiheit durchaus verständlich. Trotzdem trifft sie in diesem Fall nicht zu, wenn man genauer hinsieht und -hört
Natürlich werden stark besetzte Bilder verwendet, besonders der Anschlag vom 11. September, quasi der Gründungsmythos aller zeitgenössischen Verschwörungstheorien, ist mehrfach und aus verschiedenen Blickwinkeln zu sehen. Auch die Bücherverbrennung der Nazis, der Anschlag auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo oder der Einmarsch der Wehrmacht in Paris sind keine unschuldigen, neutralen Bilder, sondern lösen im Betrachter eine starke Reaktion (meist Gefühle wie Empörung oder Ablehnung) aus.
Natürlich kann unterstellt werden, dass genau das auch der Zweck ist. Passend zum größenwahnsinnigen Duktus, den Bushido und Shindy auf dem Album anschlagen, ist das Video aus emotional stark besetzten Bildern zusammengesetzt, die mit den jeweiligen Textstellen entweder gar nichts zu tun haben – oder in einem auffälligen Missverhältnis stehen, etwa wenn Shindy in Paris Second-Hand-Platten shoppt und im Bild die Wehrmacht durch die eroberte französische Hauptstadt marschiert.
Zu einer wirklichen Provokation – egal, ob gewollt oder nicht – fehlt aber: irgendeine Aussage. Eine erkennbar vermittelte Sympathie für diese oder jene Gewalttat. Wenigstens eine Andeutung davon. Dies alles ist aber nicht wirklich zu erkennen. Was die Bilder gemeinsam haben ist, dass sie historische Ereignisse zeigen, die emotional stark besetzt sind. Eine bei Musikvideos zumindest nicht unübliche Vorgehensweise. Klar fehlt hier die moralische Richtschnur, die man von Bands wie U2 oder Rage Against The Machine etc. gewohnt ist. Es gibt keine Sympathie mit Gewalttaten, aber auch keine erkennbare Aufforderung zur Ablehnung oder Widerstand gegen Missstände. Diese Neutralität kann man natürlich scheiße finden oder zum Anlass für eine ausufernde Analyse der Macht von Bildern nehmen – den Tatbestand einer plumpen gezielten Provokation erfüllt es jedoch nicht.
Eine Provokation wäre es zum Beispiel, wenn die beiden etwas von den Grenzen der Meinungsfreiheit rappen würden und dazu Bilder vom Anschlag auf Charlie Hebdo zu sehen wären. Das wäre zynisch – und würde garantiert für Aufsehen sorgen. Solche Zusammenhänge oder versteckten Sympathiebekundungen aber findet man in „Cla$$ic“ nicht.
Die einzige Stelle, der man überhaupt irgendeine Aussage unterstellen kann, ist die, an der der israelische Premier Netanyahu in einer Reihe mit (staatlich anerkannten) Scheusalen wie Hitler, Saddam oder Gaddafi gezeigt wird – eine visuelle Gleichsetzung, die ich keineswegs gutheiße oder teile, die aber (leider) kein besonderes Provokationspotential hat: Gerade in Deutschland gehört es doch bei sehr vielen sozusagen zum guten Ton, Netanyahu als „Kindermörder“ und Schlimmeres zu beschimpfen. Zu dieser gerade auch im Deutschrap sehr verbreiteten Israelfeindlichkeit gäbe es einiges zu sagen, aber das verdient einen eigenen Kommentar (kommt auch bald).
Und damit kommen wir zu einem entscheidenden Punkt: Es gibt bislang überhaupt keine empörte Reaktion auf „Cla$$ic“ – bis auf den besagten Kommentar des Kollegen, der allerdings nicht über die Bilder selbst oder deren Verwendung, sondern die unterstellte gezielte Provokation abzielt. Sollte es sich also entgegen meiner in diesem Kommentar vertretenen Annahme doch um einen Versuch gehandelt haben, empörte Reaktionen und somit Aufmerksamkeit zu bekommen, wäre dieser krachend gescheitert.