Seit einigen Monaten befindet sich Deutschland im Ausnahmezustand. Der Hass, der sich sonst nur im Internet Bahn bricht, ist praktisch geworden. Bereits mehr als 170 Straftaten gegen Asylunterkünfte gab es im ersten halben Jahr 2015. Viele davon gehen als lupenreiner Terrorismus durch. Eine beispiellose Welle der Gewalt, die Empörung, Wut und Fassungslosigkeit auslösen müsste.
Doch es geschieht: nichts. Das gilt, wie ein lesenswerter Artikel auf Spiegel Online feststellte, für ganz Deutschland. Es gilt aber auch für Deutschrap. Kein Aufschrei, nirgendwo. Rapper wie Fans, Medien und Experten haben ganz andere Themen. Stadtverbote, Bundesland-Verbote, wer schreibt wessen Texte, wer schafft es, in seinen Interviews am wenigsten über seine Musik zu reden?
Das sind natürlich alles wichtige Fragen, die ausführlich und jeden Tag aufs Neue geklärt werden müssen. Aber nicht ein einziger Song zu diesem leider wortwörtlich brandaktuellen Thema? Okay, Tarek von K.I.Z. hat eine geniale Line auf „Boom Boom Boom„, “Denkt ihr die Flüchtlinge sind in Partyboote gestiegen/ Mit dem großen Traum im Park mit Drogen zu dealen?”, aber sonst? Schweigen in der Shishabar.
Damit wir uns da nicht falsch verstehen: Ich wünsche mir keine Rückkehr zu den „Adriano„-Zeiten der Brothers Keepers. Bevor ein Rapper sich an der Thematik verhebt – was bei politischen Themen ja durchaus nicht selten vorkommt – soll er sich lieber dem Stapeln von imaginären Scheinen, der Verherrlichung von Ehre, Gewalt und/oder Drogen oder dem Begatten zahlloser williger Geschlechtspartnerinnen widmen – alles okay, all good. Rap muss nicht politisch sein und er muss auch nicht zwingend gesellschaftlich relevante Themen aufgreifen.
Aber er kann es. Und mittlerweile gibt es in Deutschland wahrlich genug Rapper, deren lyrischer und inhaltlicher Anspruch weit über die gute, alte Ich-scheiß-auf-alles-Attitüde hinausgeht. Um nur ein paar Namen zu nennen: MoTrip, Chefket, Credibil, Marteria, Casper, Prinz Pi. Dazu kommt, dass gar nicht mal so wenige Rapper selbst eine Vergangenheit als Flüchtlinge haben, Kurdo, Fard, Massiv, KC Rebell, um nur einige zu nennen.
Vielleicht denken manche immer noch, es wäre nicht nötig, zu brennenden Flüchtlingsheimen Stellung zu beziehen, weil in Deutschraphausen ja niemand in Gefahr wäre, solche Ansichten ernsthaft zu vertreten. Das ist aber leider falsch. Dank der umfassenden Erkenntnisse von YouTube-, Facebook- und Twitter-Kommentaren sollte klar sein, dass auch Deutschrap-Hörer nicht immun sind gegen ignorante, menschenfeindliche Einstellungen.
Nicht immer handelt es sich dabei um die Lust an der Provokation. In vielen Fällen sind auch Deutschrap-Fans leider offen für rechtspopulistischen Unfug, von faulen Griechen, faulen HartzIV-Empfängern, gewaltbereiten Moslems, kindermordenden Juden – jeden Scheiß. Auch das widerliche (und widersprüchliche) Klischee vom faulen Asylanten, der Arbeitsplätze und Frauen wegzunehmen droht, ist da keine Ausnahme.
Es muss ja nicht gleich eine Neuauflage der Brothers Keepers, ein neues „Adriano“ sein. Aber es wäre wirklich bezeichnend, wenn Deutschrap ein weiteres gesellschaftlich relevantes Thema einfach links liegen ließe, wie schon bei der NSA-Affäre. Zu dieser hatten sich zwei Jahre zuvor immerhin MoTrip und Elmo musikalisch geäußert. Damals ein Song, dieses Mal nur eine Zeile. Bisschen wenig, Deutschrap.